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10. Oktober 2011 |
Jörg Auberg
für satt.org |
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DER EINDIMENSIONALE REVOLUTIONÄRDie deutsche Ausgabe von Dan Bergers Geschichte des amerikanischen Weather Undergrounds beschwört hagiografisch den bewaffneten Antiimperialismus der 1970er Jahre und ist ein verlegerisches Armutszeugnis. Die Geschichte der amerikanischen Linken ist in erster Linie eine Geschichte des Scheiterns. In diese Tradition fügte sich auch nahtlos die selbsternannte Widerstandsgruppe »Weather Underground Organization« (WUO), die Ende der 1960er Jahre in einem sektiererischen Machtkampf die amerikanische Studentenbewegung ins Abseits der Politik manövrierte und anschließend als marxistisch-leninistische Kaderorganisation im Untergrund den imperialistischen Moloch des amerikanischen Herrschaftssystems mit vereinzelten Bombenanschlägen zu zerstören versuchte. »Aber das Einzige, was ihnen zu zerstören gelang, war die Hoffnung einer demokratischen Linken in den Vereinigten Staaten«, resümierte 2003 der Historiker James Weinstein, der unter anderem die immer noch erscheinende linke Wochenzeitung In These Times gegründet und über lange Jahre herausgegeben hatte, den Erfolg der »Weathermen«. Trotz (oder vielleicht auch wegen) ihres destruktiven, für die amerikanische Linke desaströsen Charakters ist der Weather Underground inzwischen Teil der amerikanischen Popkultur geworden: Die einstigen Umstürzler werden als »Hippie-Terroristen« gefeiert, welche (von den »bösen Geistern« abgesehen) die erfolgreiche Mission der Destruktion unbeschadet im Abenteuer-Camp des amerikanischen »Untergrunds« überstanden und sich mittlerweile als Anwälte und Universitätsprofessoren im Mittelstandsamerika wieder eingerichtet haben. In Dan Bergers hagiografischer Geschichte des Weather Undergrounds, die 2006 unter dem Titel Outlaws of America in den USA erschien (zur Kritik der Originalausgabe siehe die Rezension »Nomaden und Outlaws«) und nun unter dem martialischen Titel Kampf im Herzen der Bestie: Militanter Widerstand in den USA in der Reihe »Edition Provo« des Laika-Verlages herausgebracht wurde, wird der Weather Underground als Paradebeispiel der »Widerstandskultur« ans Publikum verkauft. In einem schlichten Szenario wird die selbsternannte Guerilla als folgerichtiges Resultat der historischen Entwicklung von der Gründung der Studentenorganisation SDS (Students for a Democratic Society) zu Beginn der 1960er Jahre über die gesellschaftliche Opposition gegen den Krieg in Vietnam bis zum militanten Antiimperialismus und Antirassismus am Ende des Jahrzehnts präsentiert, während individuelle Widersprüche nicht vorkommen. Zentrale Figur in Bergers Erzählung ist David Gilbert, ein Intellektueller, der Mitte der 1960er Jahre zum SDS stieß, an der Formulierung der Theorie der »neuen Arbeiterklasse« mitarbeitete, in die Besetzung der Columbia-Universität 1968 involviert war und schließlich in den Untergrund abtauchte. Als nahezu alle »Untergrundlinge« Ende der 1970er Jahre wieder »aufgetaucht« waren, beteiligte sich Gilbert 1981 an einem Überfall auf einen Geldtransporter, bei dem zwei Polizeibeamte starben, und wurde 1983 zu 75 Jahren Gefängnis verurteilt, obgleich er niemals zuvor kriminell auffällig geworden war. Jedes Kapitel in Bergers Buch ist mit einem Zitat Gilberts eingeleitet, den Berger wie einen revolutionären Wiedergänger des mythischen Westernhelden Shane oder einen »perfekten Menschen« in Gestalt eines tadellosen, nahezu übermenschlichen Revolutionärs schildert. Zwar hat Bergers Buch – im Gegensatz zu anderen Werken wie Ron Jacobs' The Way the Wind Blew (1997) oder Jeremy Varons Bringing the War Home (2004) – den Vorteil, dass es auf Interviews mit ehemaligen WUO-Mitgliedern zurückgreifen und so Innenansichten der Organisation präsentieren kann, doch geht dies auf Kosten einer kritischen Auseinandersetzung: Der Kampf der chosen few war gerechtfertigt, lautet der Tenor, und Kritik ist konterrevolutionär. Die Schwächen des Originals potenziert die deutsche Ausgabe noch, indem sie eine im Jahre 2006 eingefrorene Geschichte der Orthodoxie präsentiert und spätere kritische Einsichten von ehemaligen »Weatherpeople« ausschließt. Als das Original veröffentlicht wurde, hatte Berger exklusiven Zugriff auf Manuskripte von Cathy Wilkerson und Mark Rudd, die anfangs zur »ersten Garde« der WUO gehörten, aber nach dem Abtauchen in den Untergrund rasch auf Distanz zur autoritären Führung der Organisation gingen. Wilkerson Autobiographie Flying Close to the Sun: My Life and Times as a Weatherman (2007) und Rudds Memoiren Underground: My Life with SDS and the Weathermen (2009) sind überaus kritische Auseinandersetzungen mit der Geschichte der »Weathermen«, welche am popkulturellen Mythos der selbsternannten amerikanischen Stadtguerilla kratzen, doch schirmt sich Bergers Geschichte gegen solche – von realer historischen Erfahrung gezeichneten – Erfahrungen vollständig ab. Tatsächlich enthüllen die Autobiographien ehemaliger WUO-Mitglieder mehr über die geschichtliche Realität des amerikanischen Untergrunds als Bergers Versuch einer »wahren Geschichte« des Weather Untergrounds. Vermutlich wird auch in David Gilberts demnächst bei PM Press erscheinender Autobiographie Love and Struggle: My Life in SDS, the Weather Underground, and Beyond ein größerer Erkenntnisgehalt vorhanden sein als in Bergers von einer penetranten Boy-Hero-Attitüde geprägten Erzählung, in der Gilbert zum revolutionären Märtyrer stilisiert wird. In seiner gestanzten, eindimensionalen Sprache betont Berger die vorgebliche »Hinterlassenschaft« des Weather Undergrounds für nachwachsende Oppositionsgruppen und spricht von einer »lebendigen und dynamischen Bewegung, die sich der fundamentalen und progressiven Gesellschaftsveränderung verschrieben hatte«. Dass der Weather Underground keineswegs die Antizipation einer besseren, antiautoritären Gesellschaft war, sondern als elitäres Racket die repressiven Verhältnisse der Gesellschaft reproduzierte, nimmt Berger nicht wahr. Darüber hinaus stellt die deutsche Ausgabe nicht nur aufgrund der bisweilen holperigen Übersetzung ein Ärgernis dar. Das Bildmaterial, die Bibliographie und das Stichwortverzeichnis des Originals wurden vom Verlag eliminiert, und der Anmerkungsapparat ist nicht mehr als ein Torso. So kann dieser Band der »Edition Provo« nicht einmal den üblichen wissenschaftlichen Standards Genüge tun und präsentiert sich – ungeachtet des Pathos der »Widerstandskultur« – als editorisches Armutszeugnis, das dem Leser besser erspart worden wäre.
Als Komplement zu Bergers Geschichte des Weather Undergrounds kann die Anthologie The Hidden 1970s gelesen werden, die Aufsätze linker Akademiker und Aktivisten über verschiedene Oppositionsformen in den 1970er Jahren versammelt. So geht es in diesen Texten um den Widerstand von Gefangenen in amerikanischen Haftanstalten, militante Reaktionen von Frauen gegen Vergewaltigung und Missbrauch, die Organisation von ethnischen Widerstandsorganisationen wie dem American Indian Movement oder der puerto-ricanischen Unabhängigkeitsbewegung. Obgleich auch die Geschichte der Schwulenbewegung oder des Pazifismus thematisiert wird, dominiert auch in diesem Band die Ideologie des revolutionären Antiimperialismus, die das Leben darwinistisch als Kampf entwirft. Immer wieder wird das Hohelied des Widerstands gesungen. Die Niederlagen werden stets der Übermacht des Feindes zugeschrieben, während Fehler und Unzulänglichkeiten der Widerstand leistenden Protagonisten kaum zur Sprache gebracht werden. Das Problem dieser eindimesionalen »Widerstandsgeschichte« ist, dass sie in einem manichäischen System den Widerstand als permanenten Kampf gegen das Böse überhöht und letztlich nicht fähig ist, die historische und gesellschaftliche Realität zu reflektieren. Statt Fehler zu analysieren, verliert sie sich in der Beschreibung des Immergleichen: Und ewig stampft die Kampfmaschine.
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