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24. Dezember 2011 |
Joe Paul Kroll
für satt.org |
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ALLES, WAS RECHTS ISTCorey Robin versucht, den Konservatismus in Geschichte und Gegenwart auf den Begriff zu bringen Seit der Französischen Revolution, also seit dem Aufkommen dessen, was man gemeinhin die politische Philosophie des Konservati(iv)ismus nennt, habe dieselbe in Wahrheit nur aus Rückzugsgefechten bestanden, die sein Aufgehen im Liberalismus verschleierten – so Panajotis Kondylis, Autor einer der originellsten und klügsten Studien zum Thema. Und doch: Allen Versuchen einer theoretischen Widerlegung zum Trotz werfen sich dem aufgeklärten Denken der Neuzeit immer wieder Blöcke in den Weg, die das Etikett »konservativ« tragen. Nun liegt es schon im Begriff des Konservatismus, dass er sich stets auf etwas beziehen muss, dem sein konservatorisches Interesse gilt, und mit dem Voranschreiten der Moderne und dem Verschwinden der alten feudalen Ordnungen hinter den Horizont des Gedächtnisses der Lebenden gewann die Frage nach dem »worauf« immer mehr an Dringlichkeit. So Franz Josef Strauß die Flucht nach vorn an: »Konservativ heißt nicht nach hinten blicken, konservativ heißt an der Spitze des Fortschritts marschieren.« Somit sind diejenigen, die sich heute in Deutschland »konservativ« nennen oder genannt werden, zumeist Wirtschaftsliberale, die nebenbei gerne »Werte« im Munde führen, als deren Garanten Familie und Kirche dienen sollen. Dass der Kapitalismus auch diese Bastionen unweigerlich schleift, merkten zwar Marx und Engels schon vor 160 Jahren, aber konservativ sein hieß lange Zeit eben auch, seine Lehren lieber aus noch der schlechtesten Wirklichkeit zu beziehen, als nach den Gründen für diese Schlechtigkeit zu fragen. Neuerdings sind aber einigen dieser neoliberalen Konservativen die zentrifugalen Tendenzen des Kapitalismus aufgefallen, und in Feuilletonaufmachern wurde die (wirtschafts-)liberale Komponente des eigenen Denkens kurzerhand abgestoßen. BEWAHREN – ABER WAS? Damit ist jedoch wenig mehr getan, als den »bewahrenden« Charakter des Konservatismus zu bestätigen. Es fehlen jedoch die Begriffe und Gedanken, die eine Einheitlichkeit im Konkreten bezeugen. Diesen Nachweis zu Erbringen verspricht nun Corey Robin, Politikwissenschaftler an der City University of New York, mit seinem Buch The Reactionary Mind. Doch schon der Untertitel täuscht: Einen subtilen Denker wie Edmund Burke mit der Fernsehkrawallschachtel Sarah Palin auch nur in einem Atemzug zu nennen, kann man noch als Polemik durchgehen lassen, mit der die geistige Verkommenheit des Konservatismus auf den Punkt gebracht wird. Das Problem liegt eher darin, dass der Anspruch einer historischen Gesamtschau ebenso wenig eingelöst wird wie jener, eine tragfähige Definition zu liefern. Dabei liest sich die Einleitung noch vielversprechend. Robin sucht die Ursprünge konservativen Denkens recht konventionell (und obwohl er mit Hobbes, also mit dem Englischen Bürgerkrieg, beginnt) in der Französischen Revolution, und legt bestimmte Prinzipien und Grundgedanken fest, deren Ausführung man dann von den Fallbeispielen erwarten darf. Doch nach einer etwas einseitig autoritären Hobbes-Deutung und einem Kapitel zu Burke geht Robin recht schnell zum heutigen amerikanischen Konservatismus über. Den Entwicklungen der Zwischenzeit wird durch kurze Namensnennungen Rechnung getragen. Doch wer Carl Schmitt und David Hume, Ernst Jünger und Alexis de Tocqueville, Joseph de Maistre und Francis Fukuyama in eine Kategorie setzt, darf sich die Mühe einer Rechtfertigung nicht ersparen. In der Einleitung wird zumindest der Versuch einer Begriffsbestimmung gemacht: Der Konservatismus sei das Unterfangen »über die gefühlte Erfahrung, Macht zu besitzen, diese bedroht zu sehen und sie zurückgewinnen zu wollen, nachzusinnen und sie theoretisch zu erfassen.« Es geht um Interessen, nicht um Ideologien. So denkt Robin auch vom Kampf her, und nicht von einer Idee wie jener der »organischen Gemeinschaft«, die gerne zur Verklärung handfester Interessen herangezogen wird. Auf diese romantische Spielart des Konservatismus geht Robin gar nicht erst ein. Es gehe dem Konservatismus schlicht um Klassenkampf von oben, um den Versuch, das bestehende Machtgefüge und die damit verbundenen Privilegien zu wahren: »Konservatismus ist die theoretische Stimme dieses Widerwillens gegen die Macht der untergeordneten Klassen.« Dazu gehöre auch eine Propaganda, die diesen Klassenkampf verschleiert und die Identität von Herrschern und Beherrschten suggeriert: »Wie aber überzeugen sie uns, dass wir ihresgleichen sind? Indem sie Bevorzugung demokratisch nennen und die Demokratie aristokratisch. Der Konservative verteidigt nicht die alte Ordnung, er ist Fürsprecher alter Ordnungen in der Familie, der Fabrik, auf dem Feld.« Damit meint Robin aber eben keine organische Gemeinschaft, sondern letztlich den konservativen Versuch, die Aggressionen der unteren Schichten durch eine Neudefinition von Eliten umzulenken – auf das liberale Establishment oder auf Minderheiten. Diese These bedürfte der weiteren Ausführung, betrifft sie doch letztlich das, was Robin »Ideologie« zu nennen sich nicht traut, d.h. die Massen hinsichtlich ihrer eigenen Interessen hinters Licht zu führen. Stattdessen aber konzentriert er sich auf ein anderes Element, das er als dem Konservatismus wesentlich betrachtet: die Gewalt. Liest man die einschlägigen Äußerungen Robins, kommt man zu dem Schluss, dass vielleicht nicht alle Konservativen die Gewalt lieben, doch sie alle bereit sind, eine auf Gewalt aufbauende Ordnung zu unterstützen. Dieser Einfall verliert allerdings in dem Maße seine Überzeugungskraft, wie der Gewaltvorwurf immer undifferenzierter vorgebracht wird und es auffällt, dass er kaum mehr vom Gewaltmonopol zu unterscheiden ist, das noch den liberalsten Gemeinwesen zugrunde liegt. Solche Gedanken finden ihren Platz eher im anarchistischen Flügel der Ethnologie denn in der Politikwissenschaft. Bei den Minderheitenrechten ist Robin auf festerem Boden – deren Rollback ist eine reelle Gefahr, und dafür stehen die Konservativen aller Couleur, wenn auch wiederum unter unterschiedlichen Vorwänden: Es ist etwas anderes, aus einem konsequent verstandenen Liberalismus heraus gegen die »affirmative action« zu argumentieren als aus tiefsitzendem Rassismus, mögen sie sich auch in der Praxis annähern. MACHT STATT IDEOLOGIE Selbst der amerikanische Konservatismus, auf dessen Kritik sich Robin zunehmend beschränkt, wird sehr selektiv behandelt: Robin zeichnet eine Traditionslinie, die von Ayn Rand zu den Marktfundamentalisten und Neokonservativen von heute reicht, aber Paläo-Konservative vom Schlage Patrick Buchanans ausspart. Man sollte auch meinen, der US-Konservatismus unterscheide sich von jenem der alten Welt grundsätzlich darin, dass dieser auf ein Ancien Régime sich bezieht, während der US-Konservatismus eine Ordnung hochhält, die revolutionärer Natur ist. Robin geht aber auf den Widerspruch, dass amerikanische Konservative sich auf Philadelphia 1776 beziehen und trotzdem Selma 1965 und die Folgen bekämpfen können, nicht ernsthaft ein. Doch Robin denkt in Machtverhältnissen, nicht in Kategorien wie jener der Aufklärung. Dann würde ihm auch auffallen, dass der vermeintlich zur Linken konvertierte ehemalige Thatcher-Apologet John Gray in Wahrheit rechter denn je ist: in seinem Hass auf die utopischen Hoffnungen der Aufklärung, auf eine von Menschen für Menschen gemachte Welt. Mit seinem grimmigen Pessimismus, eher Schopenhauer als Marx verpflichtet, passt Gray in eine Linke, die sich von der Aufklärung abgewendet und damit konservative Schuldzuweisungen akzeptiert hat: die Schuld an einer neuzeitlichen Überhebung, deren Blutspur von Voltaire bis in den Gulag reiche. Der problematische Status der Aufklärung in diesem Buch hindert Robin wohl auch daran, in den Neocons tatsächlich Konservative neuen Typs zu sehen: Er sieht nur die Fortdauer des Gewaltpragmas. Mit den Neocons will Robin abrechnen, aber eine Geschichte des Konservatismus eignet sich zu diesem Zweck nur beschränkt, zumal deren altkonservative Gegner ihnen eher das Utopisch-unpolitische vorhalten. Gerade ein Carl Schmitt hätte in den Neocons und ihrer Missachtung nationalstaatlicher Souveränitätsrechte, wie sie im Zuge des Westfälischen Friedens festgeschrieben wurden, eher Nachfolger Woodrow Wilsons denn Joseph de Maistres gesehen. Diese letzten Kapitel, die sich mit der zunehmend konservativ dominierten politischen Kultur der USA beschäftigten, sind jedoch nicht uninteressant, auch wenn sie zur näheren Bestimmung des Konservatismus nicht allzu viel beitragen. Robins eigener Groll gegen diejenigen, die den »Krieg gegen den Terror« führten, lässt ihn zu einer verengten Definition des Konservatismus kommen, die sich eher auf dessen vermeintliche Kriegstreiberei konzentriert als auf dessen Vertiefung der Klassengegensätze in der amerikanischen Gesellschaft bei deren gleichzeitiger Ausnutzung. Auch von den von Daniel Bell 1976 so genannten und schon von Marx begriffenen »cultural contradictions of capitalism«, von der alle festen Bindungen auflösenden Kraft des Geldes, ist hier wenig die Rede, obwohl gerade hier die Schwäche der konservativ-liberalen Allianz sich zeigt. Zwar entgeht es Robin nicht, dass viele Konservative Vorbehalte gegen die Geldwirtschaft hegen, er untersucht aber nicht die Problematik, die sich daraus ergibt, dass die etablierten Interessen, die der Konservatismus seit je her verteidigt, heute ausgerechnet die des alles in Bewegung bringenden, alle Verhältnisse auf ein reines Geldverhältnis reduzierenden Kapitalismus sind. So bleibt zum Schluss die Frage, was denn der Konservatismus heute sei oder sein könne, unbeantwortet. Was vorliegt, ist eher eine mal mehr, mal weniger überzeugende Schilderung einzelner Phänomene, die zwar zu einer umfassenden Analyse des Konservatismus gehören, diese aber nicht ersetzen. Es fehlt schlicht das analytische Bemühen, die ganze Heterogenität des Konservatismus zu erfassen. Eine Lehre ist jedoch, dass ein intellektuell satisfaktionsfähiger, also in sich geschlossener und logischer, Konservatismus sich vielleicht denken lässt, aber eben Gedanke bleibt: Die Realität ist, mögen Konservative das auch anders sehen, eben nicht konservativ, und eine konsequent konservative politische Praxis müsste wohl ihre Widersprüche grausam unterdrücken. Alles andere bleibt eine mehr oder minder pragmatische oder fadenscheinige Allianz mit dem Liberalismus, dem man ein retardierendes Gegengewicht zu bieten versucht.
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