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7. Februar 2012 |
Jörg Auberg
für satt.org |
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WIE PINKO ES SIEHTEin Suhrkamp-Band versucht sich in der Diskussion über die Hipster-Subkultur. Zu Beginn vom William S. Burroughs' Naked Lunch entkommt der Erzähler Lee im New Yorker Untergrund seinen Häschern, weil ihm ein »junger gutaussehender Ivy League Typ mit Bürstenhaarschnitt, Marke leitender Angestellter in der Werbebranche und schwul wie die Nacht«, die U-Bahn-Tür aufhält. In den Augen des Erzählers ist es ein auf »hip« getrimmter Spießer, dem Lee eine Show liefert und vorgaukelt, er halte ihn für einen Insider, »einen von uns«. »Sein Gesicht leuchtet auf wie ein Spielautomat«, heißt es in Carl Weissners kongenialer Übertragung, »und kriegt einen stupiden rosaroten Schimmer.« Ein halbes Jahrhundert später kehrt diese Figur als Leichenfledderer zurück und seziert jene urbanen Exemplare, die als »Hipster« etikettiert werden. Im Jahre 2009 veranstaltete die Zeitschrift n+1 unter Federführung Mark Greifs eine Tagung zu diesem Thema, deren Beiträge unter dem Titel What Was the Hipster? veröffentlicht wurden und nun in einer erweiterten deutschten Fassung vorliegen. Bereits im Vorwort zur amerikanischen Ausgabe annoncierte Greif das Misslingen seiner Unternehmung. »Jeder Versuch, die Hipster zu beschreiben, ist letztlich zum Scheitern verurteilt«, erklärt er, »weil darin am Ende nie alle die Hipster wiedererkennen, denen sie selbst begegnet sind.« Das Scheitern ist vor allem darin begründet, dass das Konstrukt »der Hipster« auf Projektion beruht. Das Urban Dictionary definiert Hipster als eine aus Männern und Frauen in ihren Zwanzigern und Dreißigern bestehende Subkultur, die unabhängiges Denken, Gegenkultur, fortschrittliche Politik, Intelligenz und geistreichen Witz schätze, wobei diese Deutung in erster Linie der Selbstwahrnehmung dieser Gruppe entspricht, die sich per Distinktion von der »Mainstream«-Gesellschaft abheben und sich als kulturelle Avantgarde fühlen möchte. Dieses Selbstbild versuchte die n+1-Tagung (die im Untertitel A Sociological Investigation genannt wurde) infrage zu stellen, indem sie den vorgeblichen Avantgarde-Charakter der Hipster bestritt und die Vertreter dieser Subkultur realiter als Proponenten einer individualistisch geprägten Konsumkultur porträtierte. Während die Teilnehmer der Debatte – fast ausschließlich in den 1970er Jahren geborene Angestellte der New Yorker Medien- und Verlagsindustrie – einerseits die »falschen Hipster« zu entlarven suchten, wollten sie auf der anderen Seite sich als die wahren Vertreter der »wahren Hipness« darstellen, denn »hip« konnotiert in ihrem Jargon vor allem das »überlegene Wissen«, mit dem sie sich von den übrigen abheben. Zur kritischen Introspektion unfähig, tragen sie ihre »moralisch-rosa Hautfarbe« (die Siegfried Kracauer als ein Merkmal der urbanen Angestelltenmassen beschrieb) zur Schau und gerieren sich in wichtigtuerischer Geschwätzigkeit als Außenseiter, obgleich sie bloße Bestandteile der integralen Gesellschaft sind. Symptomatisch ist Greifs Essay »Nachruf auf den weißen Hipster«, in dem er die Subkultur der Hipster verabschiedet. »Diese Subkultur verachtete die Moral, liebte den Konsum und huldigte dem Lifestyle«, lautet sein Urteil, während sie keineswegs den Weg für eine fortschrittliche Politik ebnete, wie es einer kulturellen Avantgarde geziemt hätte. »Der einzige Grund, warum es den Hipstern trotzdem gelang, sich als oppositionelle Bewegung zu verkaufen, bestand darin, dass ihre Hobbys und Leidenschaften scheinbar gewalttätig waren und bestehende Grenzen verletzten.« Den »falschen Hipstern« kreidet er an, dass sie sich nicht wie eine philanthropische NGO verhalten, in der kapitalistischen Gesellschaft stets nur den eigenen Vorteil verfolgen und sich an den Oberflächen des Konsumismus berauschen, anstatt sich »im hoffnungsfrohen Zeitalter von Barack Obama« (wo Gefangenenlager und der militärisch-industrielle Komplex in Reinkultur fortexistieren) jenseits der Stil-Rebellion in die »Avantgarden der Zukunft« einzureihen, zu denen Greif sich und sein n+1-Cénacle zählt. Dabei argumentiert Greif stets nur aus der verengten Perspektive des New Yorker Akademikers und Medienintellektuellen, in der die persönliche Erfahrung und eine bornierte Ich-Fixierung historische Prozesse überlagern. Indem Greif den Hipster ausschließlich als soziologisches Phänomen der »Nuller Jahre« wahrnimmt, wird nicht nur die vorangegangene Geschichte ausgeblendet, sondern der Begriff »Hipster« historisch entwendet und umgedeutet. In den 1940er Jahren repräsentierte beispielsweise der legendäre Hustler Herbert Huncke, den Hilary Holladay jüngst in ihrer Huncke-Biographie programmatisch als American Hipster bezeichnet, eine tatsächlich subversiv wirkende Subkultur, die in Greifs Diskussion nicht existiert. »Der Sinngehalt des zauberhaften Wortes hip und das Wort selbst drangen, so weit ich weiß, zum ersten Mal bewußt an meine Ohren, als Huncke sie benutzte«, schrieb Allen Ginsberg im Vorwort zu Hunckes Autobiografie. »Er war der Brennpunkt der ersten Informationen und Rituale dieser damals im Entstehen begriffenen Hip-Subkultur.« Zwar erwähnt Greif die klassischen Texte der Hipster-Diskussion wie Anatole Broyards »A Portait of the Hipster« (1948) und Norman Mailers »The White Negro: Superficial Reflections on the Hipster« (1957), doch letztlich geht es ihm lediglich um eine generationsbedingte Meuchelei der Vorgänger wie Mailer, der in Greifs Universum wie ein böser Geist der Vergangenheit spukt und als »dieser selbsternannte Ideologe und linke Aktivist verschiedener Spielarten« in einem öffentlichen Akt des Exorzismus gegeißelt wird. Da Greif eine jegliche historische Perspektive fehlt, kann er Mailers Text nur aus der Warte der heutigen »politischen Korrektheit« entschlüsseln und verurteilen, um schließlich die Hipster als Vehikel für das eigene Vorankommen in den Hierarchien der amerikanischen Celebrity-Kultur und das Anhäufen von kulturellem Kapital zu nutzen. Zwar nennt sich der Band im Untertitel Eine transatlantische Diskussion, doch sind die deutschen Beiträge eher angeheftete Kommentare, wobei sich einige Autoren wie Thomas Meinecke in der Pose der Bescheid- und Besserwisser gefallen, herablassend über »die Mädels und Jungs von n+1« schwadronieren und in einem von ausuferndem Name-dropping und popkulturalistischen Listenerstellen geprägten Diskurs, der nicht mehr Erkenntnisgewinn vermittelt als Metterlings Wäschelisten, die Spezies des »Berlin-Mitte-Hipsters« zu beleuchten versuchen. Schon im deutschen Vorwort lässt sich der Herausgeber Heinrich Geiselberger über die »Diskrepanz zwischen diskursiver Omnipräsenz und begrifflicher Unbestimmtheit« aus, und entsprechend hantiert Tobias Rapp, der es aus dem Komparatistik-Container in die Spiegel-Schreibstube schaffte, gern mit Begriffen wie »untermedialisiert« und »superindividualisiert« und sieht den Hipster als Kreativen, der »Locations« entdeckt und »mit dem Raum umzugehen« wisse. »Hipness ist ja vor allem eine besondere Form des Wissens«, betont Rapp mehrfach und zeichnet den Hipster als Angehörigen eines Rackets, das den Raum okkupiert, ihm seinen Stempel aufdrückt und das »hippe Wissen« zur Herrschaftssicherung benutzt. Während die New Yorker Medienintellektuellen nach der Party den Hipster mit Schmähungen ins Grab stoßen, reanimieren ihn ihre deutschen Cousins unter der Maske der Subkultur mit dem antidemokratischen Geist einer verhängnisvollen Vergangenheit. Das Racket, schrieb Max Horkheimer im amerikanischen Exil, »hat überall den Gegensatz zwischen innen und außen aufgerichtet, der Mensch als solcher war verloren. Aber im Kopf des Vereinzelten noch herrschten die Rackets mittels der Begriffe und Urteilsschemata, der Denkweise und Inhalte, die ihrer Welt entstammen. Die Grenze zwischen drinnen und draußen zu durchbrechen, ist das Ziel der Politik, mit dessen Erfüllung die Welt sich verwandeln wird.« Während die Subkultur auf deutschem Boden zur Kadettenanstalt umfunktioniert wird, in der – altmodisch, jenseits der »Hipness«, gesprochen – die popkulturellen Steißtrommler die Herrschaft perpetuieren, wird die Sprache der Kritik zum Werkzeugkasten der Suggestionspraxis umfunktioniert. Dennoch bleibt – wie Horkheimer schrieb – die Hoffnung auf die wahre Idee der Demokratie, die sich zumindest in der »Ahnung einer vom Racket freien Gesellschaft« manifestiert. Wo sie zu realisieren wäre, ist noch zu klären.
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