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9. Dezember 2013 |
Kerstin Petermann
für satt.org |
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Die Kopie der Kopie der KopieEnde 2011 machte ein latentes Raunen die Runde durch die Medienbranche. »Boah, schon gehört? Andy Warhol’s InterView wird jetzt auch in Deutschland rauskommen.« Jetzt ist das auch schon wieder zwölf Monate her und die ersten neun Ausgaben sind erschienen. Zeit für eine kleine Rückschau und Analyse. OK, Andy Warhol‘s InterView heißt nicht umsonst ANDY WARHOL’S InterView. Der Pop-Art-Künstler ist nun einmal prägend für das Magazin gewesen. Aber einen Namen so vor sich her zu tragen, kann ja auch nicht reichen – wie genau lässt sich InterView denn nun in seine Kunst einordnen? Diese Frage sei gleich vorangestellt, da ich zunächst das Aushängeschild des Originalkonzepts von InterView beschreiben möchte, bevor ich mir die deutsche Adaption anschaue. Und da wird eines gleich klar: Für Andy Warhol reichte es wohl doch, den Namen vor sich herzutragen. Jedenfalls hat er es immer verstanden, sich (als Marke) zu inszenieren. Er hat sichergestellt, dass seine Werke immer mit seinem Namen verbunden sind, auch wenn es Auftragsarbeiten waren. Kaum ein anderes Plattencover ist zum Beispiel denkbar, auf dem nicht der Name der Band zu sehen ist, sondern der Name des Künstlers, der es entworfen hat. Und doch steht unter der berühmtesten Banane des Pop nicht Velvet Underground, sondern Andy Warhol. Unzählige seiner Bücher tragen seinen Namen im Titel und auch die Fernsehshow »15 Minutes« sind »Andy Warhol’s 15 Minutes«. Andy Warhol war also immer auch sein eigenes Kunstwerk. Und wo er nicht selbst sich zur Berühmtheit machte, bediente er sich der Berühmtheit anderer und macht sie zum Mittelpunkt seiner Werke (siehe etwa Marilyn Monroe, Elvis Presley, Truman Capote und zahlreiche Portraits anderer VIPs). Ein zweites Element von Andy Warhols Werken scheint seinem Faible für den Ruhm zu widersprechen: Da, wo er nämlich keine Berühmtheiten zum Thema machte, bediente er sich beim Dadaismus und stellte bewusst Alltägliches in den Mittelpunkt. Diese beiden widersprüchlichen Aspekte seiner Kunst betreffen den Inhalt von Andy Warhols Werken. Zwei weitere Aspekte beziehen sich hingegen auf die Technik. Und Technik ist bei Andy Warhol ja durchaus wörtlich zu nehmen. Nicht umsonst war sein Atelier eine Factory. Er experimentierte nicht nur mit Polaroid, Auricon-Kameras und Verfremdungen an den ersten Amiga 1000 Computern. Er setzte vor allem auch Siebdruck- und Blotted-line-Verfahren ein, was ihm eine serielle Reproduktion von Bildern ermöglichte, die weniger von künstlerischer Gestaltung als vom technischen Verfahren geprägt ist. Und das kann im Prinzip jeder nachmachen und ist daher unabhängig von einem Künstler. Immer wieder hat Andy Warhol deshalb ja auch auf die Mitarbeit von FreundInnen und Bekannten zurückgegriffen, die dann die technische Reproduktion übernahmen. Serienproduktion und Reproduktion von Kunst ist also ein wesentlicher technischer Aspekt von Andy Warhols Kunst, was sich auch im zweiten technischen Aspekt zeigt: Andy Warhol bediente sich – wie andere Künstler seit den 1920ern auch – der Readymades und arbeitete mit dem, was er schon fertig vorfand und verwendete dafür häufig Produkte, die als Massenware Bestandteil des Alltags sind. Warum jetzt diese lange Einleitung und Einführung in Andy Warhols Kunst? Nun, weil InterView alle die genannten Elemente beinhaltet:
Dass InterView dann auch nach Andy Warhols Tod 1987 weitergeführt wurde und nun auch als deutsche Version exportiert worden ist wie eine McDonalds-Filiale, ist keine Überraschung, denn zu allererst ist Andy Warhols Kunst dem heutigen Franchise-Gedanken ja durchaus nahe: Nimm eine gute Idee, recycle sie und mache vor allem Geld draus. Funktioniert das Konzept InterView dann aber auch so gut? Nun, in erster Linie einmal funktioniert es genauso: VIPs treffen sich zum Plausch mit anderen VIPs. Dabei ist häufig noch nicht einmal zu erkennen, wer InterviewerIn und wer InterviewteR ist. Immer stehen sich zwei gleichberechtigte GesprächspartnerInnen gegenüber, die allerdings nahezu unvorbereitet ins Gespräch gehen, wobei man ihnen zugutehalten muss, dass sie durch ihre Arbeit ein größeres Hintergrundwissen mitbringen als einE JournalistIn mit gleicher Vorbereitung. Immer stellen sie aber auch das ICH mehr in den Vordergrund, als man das von einem journalistischen Interview erwartet. Herauskommen dann dabei sehr Ego-lastige Gespräche, die leicht in Banalitäten abgleiten können und ihren Unterhaltungswert vor allem dadurch erhalten, dass die GesprächspartnerInnen VIPs sind. Geschulte und strukturierte Gesprächsführung ist allerdings auch nicht der Hauptaspekt der Interviews, wenn man davon ausgeht, dass die interviewenden VIPs (als nicht ausgebildete InterviewerInneren) keine grundlegende Einweisung bekommen und vor allem ihre Neugierde und Persönlichkeit als Qualifikation in die Waagschale werfen. Immer wieder blitzen dabei Perlen auf, wenn Andy Warhol zum Beispiel Jerry Hall fragt, ob sie ihren BH ausgestopft hat. Oder wenn Chloe Sevigny Kim Gordon von dem Grauen der Penisprothese bei den Dreharbeiten zu Hit and Miss erzählt. Darüber hinaus dokumentieren die Gespräche aus den Originalausgaben heute – 40 Jahre später – natürlich eine Szene, eine Zeit und einen Lifestyle. Vielleicht sagen wir das in 40 Jahren ja auch über die Gespräche aus den aktuellen Ausgaben. Interessant wird es vor allem dann, wenn RedakteurInnen das Interview führen und nicht VIPs. Dann muss das Gespräch nämlich jenseits des Glamourfaktors tragen und interessant sein. Leider fehlt diesen Interviews mitunter das, was die Gespräche zwischen den VIPs zu viel haben: der Gesprächscharakter. Da, wo dann Nachfragen und ein Einlassen auf die InterviewpartnerIn notwendig wäre, scheint das Interview eher wie ein Fragebogen, der abgearbeitet wird: Springen von einer Frage zur nächsten Frage, die häufig auch noch (halb) geschlossen sind - und eine Interviewstruktur in Form von Themenfeldern, die diskutiert werden, bleibt dabei ein wenig auf der Strecke. Im Grunde beruht Andy Warhols Ansatz ja wie gesagt auf Serienproduktion von Kunst, auf Verarbeitung von schon Existierendem und auf Kommerzialisierung. Irgendwie scheint es da nur konsequent, dass ausgerechnet Helene Hegemann eine regelmäßige Kolumne über ihr Leben in InterView schreibt. Ist die (deutsche) Weiterführung von InterView dann also zumindest eine konsequente Adaption von Andy Warhols Kunst – wenn ich jetzt schon die Interviewführung kritisiert habe? InterView ist eine Eins-zu-Eins-Übernahme des Originals, aber deshalb nicht unbedingt konsequent. Andy Warhol hat bei aller Repetition immer eine Aussage und ein Konzept verfolgt. In jedem neuen Werk – egal ob es in der Technik dem vorherigen ähnelte – steckte eine neue Aussage, ein neuer Gedanke. Genau diesen Anspruch »eine Kristallkugel zu sein, in der sich die Zukunft früher sehen lässt«, negiert Chefredakteur Jörg Koch direkt im Editorial der ersten Ausgabe: »Heute, mehr als 40 Jahre später, ist diese Kristallkugel keine große Hilfe mehr: Ob der Geschwindigkeit von Tweets, Likes und +1s heben sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf. Prophetische Qualitäten wollen wir uns daher nicht zuschreiben«, schreibt er und fährt den Anspruch des Magazins zurück: »Aber ein anderes Versprechen, liebe Leserinnen und Leser, das wollen wir Ihnen geben [...] Unser hehres Ziel: Jeden Monat einen so überraschenden Mix aus Mode, Kunst, Musik und Film zu produzieren, dass dieser nicht nur unverschämt gute Laune verbreitet, sondern die Welt ein wenig anders aussehen lässt.« Das klingt irgendwie nach Werbung und Marketing-Jargon. Und das ist wiederum konsequent in Andy Warhols Kunst eingepasst – denn Werbezeichner und Marketingexperte war der ja auch. Und das ist im besten Sinne gemeint, denn das Versprechen, dass Jörg Koch gibt, kann er mit InterView allemal einlösen: Unterhaltung, Kunst, unterhaltende Kunst und künstlerische Unterhaltung. Damit ist InterView aber leider nicht viel mehr als ein Lifestylemagazin mit unhandlichem Format. Es könnte dabei so viel mehr sein: Vor allem dem Titel »Interview« gerecht werden, also noch mehr mit Interviewformaten und Gesprächsformen spielen.
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