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17. September 2013
Jörg Auberg
für satt.org
  »Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?« von Wolfgang Kraushaar
Wolfgang Kraushaar. »Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?« München 1970: Über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus. Reinbek: Rowohlt, 2013.
875 Seiten, 34, 95 Euro.
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Dunkles Raunen

Seit geraumer Zeit bemüht sich der Historiker Wolfgang Kraushaar, der deutschen Linken eine antisemitische Verwurzelung nachzuweisen. Auch in seinem neuen Buch über eine Anschlagserie im Februar 1970 präsentiert er eine Geschichte der Verstrickung von deutschen und palästinensischen Terroristen und versucht unter anderem den APO-Aktionisten Fritz Teufel als sinistren Drahtzieher des Terrors zu entlarven. Die Beweise für seine Thesen bleibt Kraushaar allerdings schuldig.

Innerhalb von elf Tagen im Februar 1970 ereigneten sich in rascher Folge vier terroristische Aktionen. Auf dem Flughafen München-Riem versuchte ein palästinensisches Kommando, eine israelische El-Al-Maschine in seine Gewalt zu bekommen, scheiterte aber am Widerstand der Passagiere und der Besatzung. Drei Tage später kamen bei einem Brandanschlag auf das Haus der Israelitischen Kultusgemeinde in München sieben Menschen, die dem Holocaust entronnen waren, ums Leben. Darüber hinaus gab es zwei Bombenanschläge auf österreichische und schweizerische Flugzeuge, bei denen 47 Menschen getötet wurden.

Für den Historiker Wolfgang Kraushaar, der seit einigen Jahren der deutschen Linken nach 1967 eine antisemitische Verwurzelung attestiert, stehen diese vier Aktionen in einem direkten Zusammenhang. In seinem voluminösen Buch »Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?« (der Titel geht – nicht ganz textgetreu – auf ein Zitat des ehemaligen Kommunarden und Stadtguerillero Dieter Kunzelmann zurück) versucht Kraushaar, eine vorgebliche »Arbeitsteilung zwischen bundesdeutschen und palästinensischen Terroristen« nachzuweisen und in den »führenden« Köpfen der Untergrundgruppen »Tupamaros Westberlin« und »Tupamaros München« in Gestalt von Kunzelmann, Fritz Teufel und Georg von Rauch die Drahtzieher und entscheidenden Akteure zu entlarven, wobei er jedoch in erster Linie mit Mutmaßungen, Unterstellungen, Behauptungen und zweifelhaften Indizien aufwartet, während er nicht in der Lage ist, stichhaltige Beweise für seine Argumentation zu präsentieren.

Seine Rekonstruktion stützt sich in erster Linie auf die Berichterstattung in bürgerlichen Medien wie Süddeutsche Zeitung, Abendzeitung, tz, Stern und Quick sowie auf den Fundus staatlicher Institutionen, während er Primärquellen für seine Beweisführung nicht heranzuziehen vermag. So ist etwa die Quelle für Georg von Rauchs mutmaßliche Olympia-Attentatspläne ein Bericht der Süddeutschen Zeitung, ohne dass Kraushaar diesen Informationshintergrund kritisch hinterfragt. Ohnehin geht es ihm in erster Linie darum, Geschichte in seiner subjektiven Version als »wahre Geschichte« darzustellen, wobei er zwar zahllose Details wie Benzinmarke, Waffenkaliber und Wagenmodell aufzulisten weiß, doch da er nichts Beweiskräftiges zu liefern vermag, kaschiert er die Dürftigkeit seines aufgeblähten Opus mit erratischem, zuweilen kurzatmigem Themen-Hopping. Gespickt ist seine im Präsens gehaltene »Geschichtsrekonstruktion« mit raunenden Phrasen wie »Es spricht vieles dafür ...«, »Eine weitere Merkwürdigkeit besteht darin ...« oder »Das alles legt den Verdacht nahe oder schließt ihn zumindest nicht aus ...«. Über die handwerklichen Mängel hinaus ist das Buch durch eine erzählerische und sprachliche Unzulänglichkeit gekennzeichnet, die dem Wesen des allwissenden, sensationshaschenden Geschichtsreporters geschuldet ist, der jedes Detail kommentieren und ins rechte Licht rücken möchte. In manchen Momenten wird Kraushaar gar zum Cineasten: So erscheint ihm Steven Spielberg als »der wohl erfolgreichste Filmregisseur aller Zeiten«, ohne zu erläutern, wie sich dieser Erfolg bemessen lässt. An anderer Stelle gibt er eine Bewertung zu einem amerikanischen Agentenfilm ab: »Der Hollywood-Streifen ist ebenso plakativ wie brutal«, lässt er den Leser wissen. »Außerdem hat er Überlänge.« Das Letztere könnte man auch über sein Buch sagen.

Auch in Bezug auf Terrorismus und Anarchismus stellt Kraushaar bloße Behauptungen auf, die er nicht belegt. »Während der moderne Terrorismus mit Waffen, Sprengstoff und anderer Ausrüstung [sic!] arbeitet und in der Regel ein militärisches Know-how voraussetzt, kommen bestimmte Spielarten des Anarchismus und der Bewegungsmilitanz ohne all das aus«, räsoniert er. »Sie bedienen sich der Brandstiftung. Das Feuerlegen in Gebäuden oder das Anzünden von Fahrzeugen stellt insofern eine mögliche (keine notwendige) Vorform des Terrorismus dar.« Der raunende Geschichtsreporter rekonstruiert keine Geschichte, sondern konstruiert Verdachtsmomente jenseits der geschichtlichen Erfahrung, vermengt disparate Elemente ergeht sich in vagen Andeutungen, ohne je Konkretes liefern zu können. Was »bestimmte Spielarten des Anarchismus« sein sollen, führt er an keiner Stelle aus; ebenso wenig klärt er den Begriff der »Bewegungsmilitanz«. Kraushaar täuscht Sachkenntnis und Tiefgang vor, um munkelnd Gerüchte in seinem Sinne zu verbreiten.

Neben der Abscheu gegenüber den diabolischen Terroristen der deutschen Tupamaros gilt sein Furor auch der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung jener Zeit, die seiner Ansicht nach zu kraftlos und willensschwach mit den Mitgliedern der palästinensischen Terrorkommandos umging und eine »Appeasementpolitik« verfocht. Diese Kritik der deutschen Sozialdemokratie (vor allem Hans-Jürgen Wischnewski, der »einstige Trotzkist«, gilt Kraushaar als böser Bube) gehörte seit je zum Steckenpferd des Historikers. Nach dem Deutschen Herbst 1977 attestierte der damalige Sponti-Linke der SPD-geführten Bundesregierung »Unmenschlichkeit« und sprach von einem »polizeistaatlichen Sieg« über die RAF. Heute echauffiert er sich in der Pose des moralisch Entrüsteten und hat immer noch die sozialdemokratischen Missetäter und ihre »Unmenschlichkeit« im Visier: Der Kampf geht weiter.

Für den Rowohlt-Verlag (der einst vor Jahrzehnten in seiner von Ernesto Grassi herausgegebenen Klassikerbibliothek »Quellentexte der gegen das Privateigentum an den Produktions- und Informationsmitteln und gegen die zentralisierte Staatsgewalt gerichteten politisch-sozialen Bewegung« neu auflegte) ist Kraushaars Buch ein »ebenso faszinierender wie erschreckender Report«, und er rühmt die »spektakulären Ergebnisse« seines Autors. Kraushaars Resultate sind jedoch lediglich eine in seiner Dürftigkeit frappierende Melange aus obsessiver Faktenhuberei und raunendem Spekulationsgeschäft, wobei der Autor seinem Anliegen, die »antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus« aufzuzeigen, zu keinem Zeitpunkt gerecht wird. In seiner verzerrten Perspektive gerät ihm die Mikro-Organisation der BRD-Tupamaros zur Synekdoche für den »deutschen Terrorismus«, als wäre dieser ein monolithischer Block, während er zu differenzierteren Analysen nicht in der Lage ist. So argumentiert beispielsweise Jeremy Varon in seinem Buch Bringing the War Home (2004), dass die linken terroristischen Gruppen nicht allein die gegenwärtigen Charaktereigenschaften der deutschen Gesellschaft reflektierten, denen sie sich vorgeblich widersetzten, sondern auch jene der Vergangenheit. In ihrem »Spektakel der Grausamkeit« waren sie in den psychischen Strukturen des »deutschen Wesens« gefangen, die – wie Eric Santner in seiner Studie Stranded Objects (1991) argumentiert – ein Denken in rigiden Binäroppositionen förderten, das die sozialpsychologische Basis für jegliche Suche nach Sündenböcken darstelle. So unterschieden sich die deutschen Stadtguerillagruppen wesentlich von ihren amerikanischen Pendants wie den Weatherpepole, denen diese historische Dimension fehlte.

Der leninistische Antizionismus, der im israelischen Staat den Wiedergänger des NS-Faschismus sah, beruhte auf antisemitischen Argumentationsmustern, die nach 1967 ins Repertoire der Neuen Linken Einzug gehalten hatten. »Braucht es eines besonderen soziologisch-politologischen Genies, um sich deutlich zu machen«, fragte Jean Améry 1969, »dass man mit Antizionismus dem Antisemitismus jenen kleinen Finger reicht, dem unweigerlich die ganze Hand nachfolgen muß?« Anstatt das Thema Antisemitismus und Terrorismus in Deutschland intellektuell zu reflektieren, geht es Kraushaar im typischen Entlarvergestus des rasenden Konvertiten nur um die Darstellung eines ideologisch obsessiven, krude-verschwörerischen Whodunits: An dessen Ende steht nicht Aufklärung, sondern die Stigmatisierung der gesamten Linken als Agentur des Antisemitismus. So treffen sich Autor und Verlag in ihrem gemeinsamen Opportunismus in der stromlinienförmigen Holtzbrinck-Kultur wieder, in der der reaktionäre Zeitgeist eine behagliche Heimstatt gefunden hat.