Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




27. Oktober 2013
Jörg Auberg
für satt.org
  Michael Richards. After the Civil War
Michael Richards. After the Civil War: Making Memory and Re-Making Spain Since 1936. Cambridge: Cambridge University Press, 2013. 409 Seiten. Hardcover £ 60,00, Paperback £ 21,99, E-Book £ 28,00.
» Verlag
» amazon



Landschaften nach der Schlacht

In seiner glänzenden Studie »After the Civil War« stellt der britische Historiker Michael Richards die traumatischen Erfahrungen der Spanier im Bürgerkrieg der Jahre zwischen 1936 und 1939 dar und sieht vor allem in der »Intimität der Gewalt« dieses Konflikts die Langzeitwirkungen begründet, die bis heute in das kollektive Gedächtnis Spaniens hineinwirken.

Im Sommer 1936 nahmen zwei Ereignisse ihren Anfang, die eine ganze Generation von Intellektuellen und politischen Aktivisten in Europa und Nordamerika prägen sollten. Am 17. Juli putschte das spanische Militär unter Führung Francisco Francos gegen die demokratisch gewählte Volksfront-Regierung in Madrid und stürzte das Land in einen verheerenden Bürgerkrieg. Während die westlichen Demokratien um jeden Preis einen europäischen Krieg verhindern wollten und in ihrer verfehlten Nichteinmischungspolitik tatenlos zusahen, wie das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien zugunsten der Putschisten in den Bürgerkrieg eingriffen und in der Generalprobe für den Zweiten Weltkrieg Material und Technik testeten, unterstützte die Sowjetunion den antifaschistischen Kampf in Spanien mit Waffen und »technischen Beratern« (zu denen auch Agenten der sowjetischen Geheimpolizei gehörten). Das sowjetische Engagement war freilich keineswegs selbstlos: Wie die faschistischen Mächte sammelte auch das Moskauer Regime auf dem spanischen Versuchsfeld wertvolle Informationen über moderne Kriegsführung. Zudem eignete sich die Unterstützung der spanischen Republik, um die Aufmerksamkeit der linksliberalen Öffentlichkeit von den »Säuberungen« in Moskau abzulenken: Im August fand der erste Schauprozess gegen Sinowjew, Kamenjew und andere alte Bolschewiki statt, der mit der Verurteilung und Liquidation der Angeklagten endete. »Hier war das Ende einer geschichtlichen Periode«, schrieb Herbert Marcuse später rückblickend, »und der Schrecken der kommenden kündigte sich an in der Gleichzeitigkeit des Bürgerkriegs in Spanien und der Prozesse in Moskau.«

Anfangs schien der Spanische Bürgerkrieg die letzte Chance zu sein, den Vormarsch den Faschismus in Europa zu stoppen und der Katastrophe Einhalt zu gebieten. Viele Schriftsteller und Intellektuelle gingen nach Spanien, um entweder vor Ort Widerstand zu leisten oder die öffentliche Meinung für die republikanische Sache zu mobilisieren, doch kehrten die meisten desillusioniert zurück. Für John Dos Passos fand im spanischen Territorium hinter dem offiziellen Krieg zwischen Demokraten und Faschisten ein zweiter zwischen dem marxistischen Konzept des totalitären Staats und dem anarchistischen der individuellen Freiheit statt. In diesem Kampf setzten sich, meinte er 1937 in einem Zeitschriftenartikel, die Kommunisten als Organisatorin des Sieges an die Spitze, während Anarchisten und Sozialisten mit ihren Ideen der individuellen wie der lokalen Freiheit und der Selbstverwaltung Schritt um Schritt von dieser gewaltig effizienten und ruchlosen Machtmaschine zurückweichen. Für die meisten »Spanienkämpfer« war Spanien eine Chiffre des Widerstands, die nach dem verlorenen Kampf zur Unkenntlichkeit verblasste, und das Land – das für Dos Passos eine Zufluchtsstätte der Utopie eines zukünftig Besseren, ein Ort der Erinnerung an eine ungebändigte, impulsive, sich schrankenlos bewegende Freiheit, ein Chaosmal inmitten der kapitalistischen Weltordnung war – verschwand in den verlorenen Territorien der Niederlage.

Für die zurückgebliebenen Spanier stellten die traumatischen Erfahrungen des Bürgerkriegs noch jahrzehntelang »unversöhnliche Erinnerungen« im kollektiven Gedächtnis des Landes dar, wie der an der University of the West of England in Bristol lehrende Historiker in seiner glänzend recherchierten Studie After the Civil War ausführt. Nach dem franquistischen Sieg über die spanische Republik bemächtigte sich die triumphierende Staatsmacht auch der nationalen Erinnerung: Der Bürgerkrieg wurde als »Kreuzzug« gegen die »gottlose« Demokratie und die liberale Moderne, als »Befreiung« Spaniens von den marxistischen »roten Horden« glorifiziert. Der »Heilige Krieg« wurde zum Gründungsmythos des franquistischen Spaniens, in dem in einem totalitären Totenkult das Gedenken an »Helden« und »Märtyrer«, an die »für Gott und Vaterland Gefallenen« staatlich institutionalisiert und die Erinnerung an das »andere Spanien« systematisch getilgt wurde. Nach 1939 wurden zahlreiche Lehrer wegen politischer Unzuverlässigkeit aus dem Schul- und Universitätsdienst entfernt und durch regimetreue Kräfte ersetzt, und die Geschichte des Bürgerkrieges wurde von den siegreichen Putschisten umgeschrieben. Erinnerungen an jene, die für die Republik gekämpft hatten, wurden mit aller Gewalt unterdrückt und aus den offiziellen Annalen gestrichen.

Wer das Gedenken an die »Loyalisten« wach hielt, war sozialen Sanktionen ausgeliefert, und selbst die Überlebenden der Republik wurden als störendes, leibhaftiges Eingedenken an die Vergangenheit aus den pueblos (die Dos Passos noch 1922 in seinem Buch Rosinante on the Road Again als unaustilgbare Heimstätten des spanischen Individualismus gefeiert hatte) verjagt. Die Verlierer wurden nicht allein durch die Enteignung der Erinnerung gedemütigt, sondern büßten zudem ihre materielle Existenzgrundlage in den ländlichen Gebieten ein, indem sie von den Siegern und ihren opportunistischen Handlangern enteignet und vertrieben wurden. Großstädte wie Madrid wuchsen in den Jahrzehnten nach dem Bürgerkrieg exorbitant an, boten den Landflüchtlingen zwar Zuflucht, doch zugleich konnten diese Vertriebenen unter prekären Bedingungen nur eine klägliche Existenz führen. Der Schriftsteller Juan Goytisolo, dessen Bücher in Spanien zu Zeiten Francos verboten waren, wies daraufhin, dass die »schweigende Komplizität zuhause« in den 1950er Jahren nur an den Universitäten im Zuge der Politisierung und der Organisation einer kritischen Öffentlichkeit und dem Lesen allmählich zugänglicher objektiver historischer Darstellungen des Krieges unterminiert wurde. Die kritische Generation jener Jahre entwickelte eine »Nostalgie für eine Republik«, die sie niemals kennengelernt hatte und in einem gegen die totalitäre Unterdrückung gerichteten Mythos überhöhte und stilisierte.

Nachdem die franquistische Herrschaft in den 1970er Jahren implodiert war, blieb die Unversöhnlichkeit beider Erinnerungsströme bestehen. Ähnlich wie in der postfaschistischen Bundesrepublik misslang die »Aufarbeitung der Vergangenheit«: Zwar folgte dem jahrzehntelangen Schweigen ein »Erinnerungsboom« in Literatur, Film und Fernsehen; zugleich wurden stetig Versuche unternommen, einen »Schlussstrich« unter die Vergangenheit zu ziehen, ohne die Ursachen der spanischen Katastrophe aufzuarbeiten und zu beseitigen. Auch heute noch ist der post-franquistische Staat Erbe und Abkömmling beider konkurrierenden Kräfte aus den Trümmern des Bürgerkrieges. Die politischen Kämpfe um die demokratische Macht, den Sozialisten und Konservative seit den 1980er Jahren führen, waren auch immer Auseinandersetzungen um die Erinnerung als Definitionsmacht des herrschenden Diskurses auf der iberischen Halbinsel.

Richards beschreibt diesen fortwährenden Kampf in einer vielschichtigen, komplexen Erzählung, die nicht schwarz-weißen Mustern folgt, sondern auch die Grauzonen der Geschichte erforscht – etwa die tragischen Verstrickungen von einfachen Charakteren, die in der Konfrontation zwischen der herrschenden Staatsmacht und dem im Untergrund agierenden kommunistischen Maquis zerrieben wurden. Während der Bürgerkrieg von seinen internationalen Veteranen als »guter Krieg« glorifiziert wurde, gelingt es Richards, mittels einer geschickten Verwebung von Mikro- und Makro-Dimensionen die »Intimität der Gewalt des Bürgerkriegs« und ihrer traumatischen Langzeitwirkungen bis in die Gegenwart offenzulegen. So ist die scheinbar weit zurückliegende historische Episode des Bürgerkrieges nicht Teil einer »verstorbenen Epoche«, sondern west auch in der heutigen Zeit fort.