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28. Dezember 2013
Jörg Auberg
für satt.org
  Maike Albath. Rom, Träume
Maike Albath. Rom, Träume: Moravia, Pasolini, Gadda und die Zeit der Dolce Vita. Berlin: Berenberg Verlag, 2013. 304 Seiten, 25,00 Euro
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Von Mussolini zu Berlusconi

In ihrem Buch »Rom, Träume« schildert Maike Albath am Beispiel der Autoren Alberto Moravia, Elsa Morante, Pier Paolo Pasolini, Carlo Emilio Gadda und Ennio Flaiano die Entwicklung der italienischen Kultur vom Ende des Faschismus zu einer von Medienkonglomeraten beherrschten Gesellschaft. Dabei fehlt ihr jedoch das kritische Instrumentarium, um über die Personen hinaus die politischen und ökonomischen Prozesse des gesellschaftlichen Strukturwandels stimmig darstellen zu können.

Nach dem Untergang des Faschismus in Italien weste das Unheil fort. Cinecittà – 1937 von Benito Mussolini als filmische Propagandafabrik unter dem Slogan »Das Kino ist die mächtigste Waffe« gegründet – wurde in den 1950er Jahren von den Hollywood-Studios genutzt, um den europäischen Markt gleichzeitig preisgünstig abzuschöpfen und mit höchstmöglicher Profitrate zu beliefern. Neben »Sandalenfilmen« wie Quo Vadis und Ben Hur wurden auch Filme gedreht, die Rom als zeitgenössisches Ambiente in US-amerikanischer Perspektive verwendeten. Symptomatisch für den Zeitgeist der 1950er Jahre ist William Wylers romantische Komödie Roman Holiday (die in Deutschland unter dem Titel Ein Herz und eine Krone vertrieben wurde): Während sich Wyler in seinem Nachkriegsklassiker The Best Years of Our Lives noch einem kritischen Realismus verpflichtet fühlte, huldigte er nun dem von dem Mussolini-Sympathisanten Henry Luce im Jahre 1941 verkündeten »American Century«: Rom wurde zum Schauplatz einer international operierenden Mediengesellschaft, in der Italiener nur noch (in Gestalt von Hausmeistern und randalierenden latin lovers) für das Lokalkolorit zuständig waren.

Bezeichnenderweise überarbeitete der Romancier Ennio Flaiano zusammen mit der Drehbuchautorin Suso Cecchi d'Amico das für Roman Holiday von Ben Hecht verfasste Originaldrehbuch, dem nach Wylers Meinung das römische Flair fehlte. Sieben Jahre später griff Flaiano das Thema der Boulevardmedien in schärferer und kritischer Form für den epochalen Film La dolce vita auf, in dem Federico Fellini die römische Mediengesellschaft attackierte. Die Ironie des Films lag freilich darin, dass das »süße Leben« auf der Via Veneto in Rom eine Erfindung Fellinis war, und aufgrund des phänomenalen Erfolgs des Films wurde die Straße in den 1960er Jahren zum Ziel des kulturindustriellen Personals. So trugen Fellini und Faiano zum Fortbestand von Zuständen bei, die sie bloßstellen und kritisieren wollten.

»Der ironische Titel La dolce vita galt bald international als Chiffre für das ganze Land und steht heute für italienische Lebensart und Stilbewusstsein«, schreibt die Literaturkritikerin Maike Albath in ihrem Buch Rom, Träume. »Kritik wurde in Affirmation umgemünzt.« Noch Silvio Berlusconi rechtfertigte seine Taten am Rande der Illegalität mit dem Hinweis, »er liebe nun einmal la dolce vita«. Albath möchte in ihrem Buch ein »Epochenbild« zeichnen und schildert am Beispiel ihrer fünf Protagonisten – Alberto Moravia (1907-1990), Elsa Morante (1912-1985), Pier Paolo Pasolini (1922-1975), Carlo Emilio Gadda (1893-1973) und Ennio Flaiano (1910-1992) – unterschiedliche Facetten in der kulturellen Entwicklung Italiens vom Ende der faschistischen Herrschaft bis zum prolongierten Niedergang des demokratisch-parlamentarischen Systems in den 1970er Jahren. In ihrer mehrschichtigen Erzählung versucht sie den Weg von der italienischen Kulturlandschaft zur Mediengesellschaft nachzuzeichnen, wobei sie neben Büchern, Essays und Filmen ihrer Protagonisten auch Zeitgenossen und die urbane Topografie Roms einbezieht.

In ihrem Vorgängerbuch Der Geist von Turin über den Aufstieg und Fall des Verlagshauses Einaudi ging Albath nach einem ähnlichen Schema vor und entwarf anhand der Biografien von Einaudi-Autoren wie Cesare Pavese, Natalia Ginzburg und Italo Calvino sowie dem Einaudi-Verleger Giulio Einaudi ein konzentriertes und stichhaltiges Porträt eines kulturellen Unternehmens, das schließlich aufgrund individueller, gesellschaftlicher und ökonomischer Faktoren in den Abgrund gerissen wurde. In Rom, Träume ist nicht nur die Perspektive ausgeweitet, sondern auch der Anspruch: Albath möchte mit ihren fünf Protagonisten eine Entwicklung beschreiben, die sich aus individuellen Blickwinkeln allein nicht stimmig beschreiben lässt. Was bei der Geschichte Einaudis aufgrund des klar umgrenzten Themas funktionierte, scheitert in der Beschreibung der ausgeweiteten Zone der römischen Mediengesellschaft: Zum einen fehlt eine theoretische Grundstruktur der politischen, ökonomischen und kulturellen Prozesse, welche eine Analyse der Entwicklung zur Mediengesellschaft, zur »Kultur des Spektakels« jenseits des Starkults (den Albath mit ihrer Beschwörung des kreativen Subjekts in Zeiten der Massenkultur betreibt) ermöglichte. Zum anderen verschwendet sie keinen Gedanken darauf, wie Autoren als Intellektuelle in einer Landschaft der Rackets operierten, wie sie den »Widerspruch zwischen Wahrheit und Glauben« (wie Jean-Paul Sartre in seinem »Plädoyer für die Intellektuellen« schrieb) auflösten. Stattdessen verharmlost sie das organisierte Racketwesen (das die gesamte italienische Gesellschaft in ihren politischen, ökonomischen und kulturellen Strömungen umgreift) als »Klientelismus«.

Charakteristisch für Albaths apolitische Perspektive ist die Gegenüberstellung der beiden Autoren Gadda und Moravia. Während Gadda frühzeitig auf den faschistischen Zug sprang (bereits 1921 trat er der faschistischen Partei bei), blieb Moravia dem Regime gegenüber distanziert: Auch wenn er kein praktizierender Widerständler im politischen Sinne war, kam er nie in die Versuchung, dem Regime als Mitläufer oder Mittäter zu dienen. Doch während Albath Moravia in seinem Verhalten in der Endphase des faschistischen Regimes politische Naivität unterstellt, entschuldigt sie Gaddas Mitläufertum. »Gaddas Bekenntnis zum Faschismus ist ein schwieriges Kapitel, auch weil er selbst sich nicht mehr damit auseinandersetzen wollte«, resümiert sie. »Eine symptomatische Haltung vieler Intellektueller.« Da Gadda in ihren Augen große Literatur produziert hat, sind seine faschistischen Verstrickungen als kleinere Verfehlungen zu entschuldigen.

Moravia wabert dagegen als bête noire durch das Buch. Stets schon ist er Tölpel, Versager, literarischer Durchschnittsproduzent. Er »klimperte auf der Schreibmaschine wie ein Pianist bei Fingerübungen«, weiß Albath zu berichten. »Ein Automatismus hatte sich eingeschliffen. Moravia produzierte Literatur in Serie.« Während Moravia für Albath im Manierismus erstarrte, bewahrte Gadda die italienische Kultur, indem er die sprachlichen Ausprägungen der verschiedenen römischen Gesellschaftsschichten in der Tradition von François Rabelais und James Joyce verband. Dagegen war Moravia in den Augen Albaths ein Repräsentant einer Standardsprache, der die Massenkultur bediente. »Mit einer derartig gradlinigen Sprache ohne Resonanzboden konnte Gadda nichts anfangen. Er wollte schwelgen in der Fülle.«

Gadda schwelgte im geschwätzigen Schweigen über den Faschismus, während Moravia stets betonte, dass die italienische Gesellschaft trotz aller vorgeblichen libertären Tendenzen autoritäre Ideen tolerierte und mit dem untergegangenen faschistischen Regime Nachsicht übte. So war der Weg von Mussolini zu Berlusconi nur folgerichtig. Für Albath lautet jedoch die Schlussfolgerung: »Moravia ist doch sehr zeitverhaftet. Gadda wird bleiben.« Am Ende triumphiert das Alte, das 1922 an die geschichtliche Oberfläche gespült wurde. Hoffnung auf Besseres scheint es nicht zu geben.