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10. Dezemberr 2014
Patrik Schmidt
für satt.org

Trotzki

Trotzkisten
waren im
Publikum!

 

Gekommen waren sie, weil auch Jürgen Kaube (FAZ) gekommen war, um an einer Podiumsdiskussion im Deutschen Theater in der Berliner Schumannstraße teilzunehmen. Der Merkur hatte am Freitagabend zum Gespräch über „intellektuelle Beißhemmungen“ geladen, um „Polemik und Wissen in der Wissenschaftskultur“ sollte es gehen.

Die im prachtvollen Foyer versammelte Runde um Merkur-Herausgeber Christian Demand diskutierte ausgesucht höflich, zunächst vor allem entlang der These, die die Kulturhistorikerin Nina Verheyen gleich zu Anfang vorstellte: Die Diskussionskultur der alten westdeutschen Bundesrepublik sei maßgeblich durch die amerikanischen Erfahrung nach 1945 geprägt, durch reeducation in Sachen demokratischer Diskurs und USA-Austauschreisen westdeutscher Intellektueller.

In die akademische Wissenschaft habe dieser Kulturwandel, so befand das Podium einhellig, allerdings nur begrenzt Einzug gehalten, die polemische Debatte als „Schlachtfest“ (Demand) fände in Deutschland immer noch Teilnehmer. Zwar wurden durchaus Namen genannt. Den Abend selbst zur „Grillparty“ (Kaube) machen, das wollte aber niemand aus dem Quartett, zu dem als Vierter der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers geladen war.

Man war schon zum freundlichen Austausch mit dem Saalpublikum übergegangen, als sich aus der Tiefe des Raumes plötzlich die Trotzkisten zu Wort meldeten. Jürgen Kaube solle Stellung nehmen, forderten sie. Kaube solle den offenen Brief der World Socialist Web Site (herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale) beantworten oder wenigstens in der FAZ abdrucken! Unruhiges Getuschel im Saal. Das Publikum wusste natürlich Bescheid.

Am vergangenen Montag hatte Kaube in der FAZ unter der Überschrift „Mobbing, trotzkistisch“ über den Osteuropa-Historiker Jörg Barberowski (HU Berlin) und die Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit geschrieben. Barberowski war es Anfang des Jahres durch ein geschicktes Manöver noch gelungen, seinen Gast, den umstrittenen Trotzki-Biographen Robert Service, vor trotzkistischen Kritikern zu bewahren: Er ließ die Falschmeldung verbreiten, die Veranstaltung müsse ausfallen. Tatsächlich war sie nur heimlich in einen anderen Raum verlegt worden. Im Deutschen Theater aber waren nun zwei Barberowski-Kritiker lautstark anwesend und forderten Kaube auf, sich für seine publizistische Intervention zu rechtfertigen.

Als Nina Verheyen anmerkte, diese Art Wortmeldungen erinnerten sie frappierend an das Diskussionsgebaren von 1968, da begriffen die beiden das offenbar als Ermunterung: Sie forderten eine Generalabstimmung über das Diskussionsthema des Abends. Die Begeisterungsfähigkeit des Berliner Bildungsbürgerpublikums hatten sie damit aber wohl doch etwas überschätzt. Man wollte lieber weiter über Beißhemmungen diskutieren als über die Frage, wie der rechte Geschichtsrevisionismus von Barberowski et al. im Lichte neuerwachter bellizistischen Tendenzen deutscher Außenpolitik zu bewerten sei. Die Trotzkisten verließen enttäuscht den Saal.

Der Rest des Abends verlief versöhnlich. Kritik aus dem Publik wurde allerdings noch daran geäußert, dass Nina Verheyen, als einziger Frau in der Diskussionsrunde, weniger als 25% der Redezeit zugekommen war. Verheyen selbst konnte da wohl schlecht selbst auf Quantität und Qualität verweisen. Zum Glück hatte das Zeit Magazin für Sonntag, ebenfalls im Foyer des Deutschen Theaters, zur Buchvorstellung von Lena Dunham geladen, deren Girls ja bekanntlich ein Frauenquartett sind.