Kann man natürlich komisch finden – Punk im Museum – oder auch ganz
folgerichtig: 25 Jahre "danach" ist Punk schon längst über die Pubertät
hinaus und reif für die historische Betrachtung. Jürgen Teipel und sein Buch
"Verschwende Deine Jugend" (plus CD, bald kommt auch ein Film) bereiteten
den Weg für die längst fällige Würdigung einer Bewegung, die vielen leider
nur unter dem Oberbegriff "Neue Deutsche Welle" bekannt ist. Auch an die
Protagonisten der ersten Stunde wie Male, S.Y.P.H, der PLAN, Jäki Eldorado
oder Alfred Hilsberg erinnern sich nur wenige.
Der immense Erfolg von Buch, CD und Ausstellung mag verwundern, aber die
Alters-Zielgruppe sind die Leute, die jetzt in den Verlagen, Sendern,
Redaktionen und Agenturen sitzen und dafür sorgen, dass alle Medien dem
Thema genügend Aufmerksamkeit widmen.
Für die Ausstellung wäre kein Ort passender gewesen als die Düsseldorfer
(Beton-)Kunsthalle, höchstens vielleicht ein U-Bahnschacht oder eine
Trinkhalle. Schön ist auch die räumliche Nähe zum ehemaligen Ratinger Hof:
nach der Besichtigung kann man sich auf die Spuren der Düsseldorfer
Punkszene begeben und den Ratinger Hof als das CBGBs von D-Dorf würdigen.
Formal werden alle Kriterien einer "richtigen" Ausstellung erfüllt, es gibt
sogar eine Zeittafel: "1976. Male spielen erste Punkstücke". Imposant geht
es los im ersten Raum: eine riesige Collage aus Zeitungsartikeln (z.B. dem
legendären Spiegel-Artikel über Punk von 1978), Fanzines, Konzertplakaten
und Fotos, die sich über alle Wände erstreckt. Unwillkürlich beginnt man mit
der Suche nach Bekannten, aber schließlich sind Leute wie Campino oder Blixa
Bargeld ja sozusagen alte Bekannte, nicht wahr? Üppig zusammengetragenes
Material in den Vitrinen läßt die eigenen Erinnerungen nur so sprudeln, am
bereitstehenden Kopierer kann man punkig rumkopieren – vielleicht ist es
genau dieses Copy-Shop-Ambiente mit Punkrock aus dem Cassettenrecorder, das
dafür sorgt, dass man sich sofort zuhause fühlt. Das Publikum setzt sich
zusammen aus der APPD-Familienvätern mit drei kleinen Kindern, Leuten wie
Dir und mir so um die 35, "richtigen" Punks mit UK-Subs-T-Shirt und älteren
Damen, die sich wackelige Livevideos von den Specials 1979 aufmerksam
anschauen – ist ja auch Museum. Offenbar kann Punk mittlerweile als eine
Kunstrichtung unter vielen anderen betrachtet werden: sobald eine Bewegung
"Geschichte" geworden ist, interessieren sich auch diejenigen dafür, die sie
beim akuten Erscheinen abgelehnt hatten.
Weiter durch die Ausstellungsräume: in kleinen Wellblechcontainern kann man
sich Filme anschauen über das SO 36 in Berlin-Kreuzberg oder die Geschichte
des Ratinger Hofs. Und überall Fotos und Dias von rührend jung aussehenden
Menschen …
Leider dürfen die originalen Instrumente, z.B. das Metallofon von F.M.
Einheit, der Casio von Annette Humpe oder der gigantische "Brontologic" von
Der Plan weder angefaßt noch gespielt werden – also wieder wie im richtigen
Museum! Dafür gibt´s wirklich witzige Dokumentationen, die immerhin
seinerzeit fürs Fernsehen produziert wurden, wie z.B.
"Dreiklangsdimensionen" mit den großartigen Palais Schaumburg (sehr funky
übrigens! Was heißt hier überhaupt Punk?), oder "New Wave Explosion" mit
jeder Menge Interviews mit KFC, DAF, den Toten Hosen und vielen mehr. Die
großformatigen Gemälde von Moritz Reichelt (Der Plan) fallen ziemlich aus
dem Rahmen – oberflächlich betrachtet wirken sie kitschig und naiv, sind
aber voll subversivem Charme. Man sieht, dass Punk nicht nur die
Sicherheitsnadel in der Backe war, sondern mal über unendliche Möglichkeiten
und Ausdrucksformen verfügte und vor allem kein eng gefaßtes Genre
darstellte. Wem die Bilder bekannt vorkommen: Moritz Reichelt hat die ersten
Depeche Mode-Singlecover gestaltet.
Bei allen Kritikpunkten, die man anführen KÖNNTE (was ich aber gar nicht tun
will), kann man andererseits den Ansatz, endlich öffentlich und in großem
Umfang zu zeigen, was Punk in Deutschland war und hätte werden können, gar
nicht genug loben! Schließlich hatte Punk gesellschaftliche und ästhetische
Gewohnheiten ganz schön durchgerüttelt, schon vergessen? Mode, Frisuren,
Design, besonders aber Werbung, Plakatdesign und Zeitschriftenlayout sind
bis heute nachhaltig von Punk geprägt – nur, dass es niemandem mehr
auffällt. Auch in der heutigen Popmusik wird der Einfluss von Punk deutlich:
elektronisch-experimentelle Bands wie DAF, Krupps, Einstürzende Neubauten
können als Wegbereiter für Techno und EBM gelten. Nicht zuletzt deshalb
spielten DAF in Originalbesetzung bei der diesjährigen Loveparade. Ihre
Stücke, die dem Jugend- und Körperkult huldigen, sind in der hedonistischen
Technoszene bestens aufgehoben.
"Zurück zum Beton" lohnt den Besuch auf jeden Fall und: nehmt Eure jüngeren
Geschwister mit!