Ilja Repin (Selbstportrait, 1887)
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Ilja Repin:
Der Magier mit dem Licht
Im Westen kaum bekannt, in Russland ein Kulturheros. In Berlin präsentiert die Alte Nationalgalerie Gemälde und Skizzen von Ilja Repin (1844-1930).
Es ist etwa fünf Jahre her, da verschlug es mich für kurze Zeit als Gastdozent für BWL nach Moskau. Zum kulturellen Rahmenprogramm, das meine Gastgeber für mich organisierten, zählte neben dem obligatorischen Puschkin-Museum mit seinen Kunstwerken aus der westlichen Welt auch ein Besuch in der Tretjakow-Galerie, dem staatlichen Museum, das die Gemälde und Ikonen der Maler aus Russland beherbergt. Voll Stolz wiesen meine studentischen Begleiter schon während der Metrofahrt auf die großen Namen hin, die dort auf uns warten würden, auf Makowski, auf Surikow und natürlich auch auf Ilja Repin, den wunderbaren Meister. Wie bestürzend, wie peinlich der Moment, als ich gestehen musste, dass all diese Namen mir einfach gar nichts sagten. Berührtes Schweigen, ich konnte spüren, dass meine russischen Studenten in mir jetzt einen völlig kulturlosen Trottel sahen. Sie wollten es nicht glauben: Surikow! und vor allem: Repin! Die kannte ich nicht?! Ich erntete Blicke, als würde hierzulande grad ein durchschnittlicher Bildungsbürger verkünden, er habe von einem Renoir noch nie was gehört und von diesem - wie heißt der? Liebermensch? Eilig versuchte ich, den Studenten zu vermitteln, dass ich mit dieser Ignoranz nicht alleine dastünde, dass so gut wie keiner meiner (west-) deutschen Landsleute jemals … Nein, sie verstanden es nicht, sie glaubten mir nicht, und ich schämte mich sehr.
Beim Besuch setzte ich immerhin den Versuch einer Ehrenrettung: doch, das Portrait von Tolstoi war mir vertraut und die Wolgatreidler auch. Aber all die anderen Meisterwerke, die so tief im russischen Gedächtnis haften, die sah ich zum ersten Mal. Und sie haben mich begeistert.
Nun ist Ilja Repin nach Deutschland gekommen. Die Alte Nationalgalerie in Berlin stellt bis zum 02.11. knapp hundert Gemälde und Zeichnungen des russischen Nationalmalers aus. Um es gleich zu sagen, in Berlin fehlen zwei seiner berühmtesten Werke. So sind weder die Wolgatreidler noch der wahnsinnige Iwan ausgestellt, der seinen Sohn im Arm hält, den er gerade ermordet hat. Das ist schade, aber die Ausstellung bietet üppigen Ersatz. Sie zeigt etwa Studien zu beiden Gemälden, die es gestatten, Repin quasi über die Schulter blicken, ein bisschen von seiner Arbeitsweise zu erahnen, zu spüren, wieviel kompositorische Akribie hinter den scheinbar leicht hingeworfenen Szenen liegt.
Wenige Maler der Zeit verfügten über eine so breite Möglichkeit, sich auszudrücken wie Ilja Repin (1844-1930). Von der klassischen Akademiemalerei über zarte impressionistische Anwandlungen, die er aus seiner Pariser Zeit mitgenommen hat, bis zu ersten Elementen expressiver Kraft in seinen späten Lebensjahren reicht seine Bandbreite, und was er auch anpackt, es ist ihm meisterhaft gelungen.
Wolgatreidler (Burlaki na Wolge, 1870-1873)
Reichlich gelobt wurde allseits Repins psychologisches Feingefühl, das besonders in den zeitgenössischen politisch motivierten Milieuschilderungen zum Ausdruck kommt, wenn er in einem Gemälde ganze Lebensgeschichten schildert: der ertappte Propagandist oder der unerwartet aus der Verbannung heimkehrende Sohn der Familie. Einzigartig in seiner Virtuosität ist für mich aber vor allem Repins souverändes Jonglieren mit Licht und Schärfe. Deutliche Schärfe und verschwommene Elemente ergänzen einander wie in einem fokussierten Foto nach heutiger Technik. Ein winziger Reflex bringt Figuren zum Leben, in der Ausstellung befinden sich Gemälde, die man auf zwei oder drei Meter Distanz erstmal für Fotos hält. Beim näheren Hinschauen entdeckt man nicht etwa die detailverliebte Filigran-Technik der Photorealisten, sondern bemerkt, dass es die hingeworfenen Lichtreflexe sind, die der Illusionist Repin so zum Tanzen bringt, dass wir sie greifen zu können glauben. Repin steht den großen französischen Impressionisten an technischem Können in nichts nach, aber seine scheinbar konventionelleren Kompositionen nehmen das Lichtspiel als Ausdrucksmittel auf. Repin protzt nicht mit seinem Können, seine Virtuosität bescheidet sich im Dienst für die Aussage, für den Gesamteindruck, für die Geschichte, die er in seinem Werk erzählen will.
Nicht immer versteht man Repins Geschichten sofort, wenn man seine Gemälde betrachtet. Die zahlreichen Anspielungen auf das Tagesgeschehen, das allegorische Arbeiten, zu dem der zaristische Staat seine kritischen Künstler gezwungen hat, bleibt uns ohne Erläuterungen verborgen. Das verlangt von einem Museum, für die heutigen Betrachter ausreichende Hintergrundinformationen bereit zu stellen. Die Berliner geben sich da Mühe: Neben kurzen Begleittexten zu den Bildern bietet die Nationalgalerie als Service einen Audioführer mit Kommentaren zu ausgewählten Ausstellungsstücken. Diese Zusatzinformationen sind sehr professionell und kurzweilig gestaltet, könnten aber da und dort mehr Substanz vertragen.
Dafür bietet der Fundus der Nationalgalerie eine andere, höchst reizvolle Variante der Werkschau: Welche Virtuosität Repin nämlich an den Tag legt, wird dem Besucher besonders deutlich, wenn man die Vergleichsmöglichkeit nutzt, die uns die Nationalgalerie bereithält. Deutsche und französische Zeitgenossen, deren Einfluss auf Repin bekannt ist, hängen in Räumen direkt neben der Sonderausstellung und werden ins Gesamtkonzept der Schau einbezogen. Die großen Namen westlicher Kunst geben eine blasse Vorstellung: Wie leblos, wie manieriert und plump wirkt da vieles, wenn das Auge satt ist von so viel Leben und Licht, wie es in den Gemälden Repins zu finden ist.
Ja. Doch. Es ist allerhöchste Zeit, dass auch das breite Publikum im Westen zur Kenntnis nimmt, dass die russsische Malerei jener Zeit einen ebenso wichtigen Beitrag zur Kulturgeschichte beizutragen hat wie die russische Literatur. Dostojewski und Tolstoi werden ja hierzulande auch gelesen. Warum kennt - außer einer Handvoll Kunstfachleute - kaum jemand hier die Russen aus der Zeit vor dem Blauen Reiter?
Fluch und Segen dieser Künstler dürfte der Mäzen Pawel Tretjakow verursacht haben, in dessen Auftrag der Großteil von Repins Gemälden entstand: Segen, weil die große Zahl der Gemälde, die er angeschafft hat und deren Gesamtheit er 1892 der Stadt Moskau geschenkt hat, in einem Haus beisammen bleiben konnte und bis heute in der Tretjakow-Galerie in einzigartiger Vollständigkeit bewundert werden kann. Darin liegt andererseits der Fluch, weil so praktisch keins der Werke anderswo in der Welt Bewunderung und Interesse für diesen großartigen Künstler wecken durfte, erst recht zu Zeiten der Sowjets, die Repin als Vorläufer des sozialistischen Realismus in Beschlag nehmen wollten.
Hingehen! Satt sehen! Der Eintritt kostet 8 Euro, der Katalog mit klugen Texten, ordentlichen Wiedergaben und einer spiegelverkehrten Abbildung (für die man sich mit einem Erratum-Zetterl entschuldigen hätte können) ist für 29,90 Euro zu haben.