Auf der 3. Berlin Biennale
keine kettensägegetunten
neoexpressionistischen Fetische
Eine ehemalige Margarinefabrik im zweiten Stock: Eine Frau mit einem schwarzen Kunstwerke-T-Shirt lächelt, kommt auf mich zu und fragt: »You want to try this perfume? It is the smell of the Southeast.« Ich nicke, schnuppere an dem Pappstreifen, den sie mir entgegenhält, sage »aha« und denke »igitt«. »This is the perfume of Neukölln« sagt sie dann. Ich erkenne sie wieder: »You are a dancer. I have you seen you in the …« – »Yes, Schaubühne«, sagt sie, weicht meinem Blick aus und dreht sich einem anderen Besucher zu. Sie ist jetzt in einer neuen Rolle, nicht mehr bei Waltz, sondern Teil eines Werks der norwegischen Künstlerin Sissel Tolaas, die aus den verschiedenen Gerüchen Berlins vier Grundessenz destilliert und in schnieke Flakons abgefüllt hat. Ich sehe ihr nach und denke: »Das ist also die berühmte Berliner Luft … In jedem Viertel weht ein anderer Wind.« Die Tänzerin habe ich nicht nur bei »Insideout«, sondern auch schon an meinem Heimat-Bahnsteig, der U8 am Hermannplatz gesehen. Google offenbart mir nachts um halb drei schließlich ihre Herkunft: Venezuela.
Migration heißt dann auch treffend der erste Hub der Berlin Biennale. Hubs sind jene Dinge, von denen eigentlich keiner weiß, wozu sie gut sind, aber deren Fehlen Computernetze nahezu unmöglich macht. Die Berliner Ausstellung hat fünf Hubs – viel zuwenig für ein komplexes Netz: Migration, Urbane Konditionen, Sonische Landschaften, Moden und Szenen und Anderes Kino. An drei Orten, den Kunstwerken, dem Martin-Gropius-Bau und dem Kino Arsenal, hat die künstlerische Leiterin Ute Meta Bauer ihre Vision einer Biennale zeitgenössischer Kunst aus, über und auf Berlin bezogen in Szene gesetzt. Es ist die dritte Auflage und endlich hat die Veranstaltung das erreicht, was sie immer schon angestrebt hat: eine dauerhafte Finanzierung. Ab der nächsten garantiert der Hauptstadtkulturfond, der jetzt schon kräftig zum 1,7 Millionen Euro Etat zugeschossen hat, eine dauerhafte »Strukturförderung« zu übernehmen. Alles in Butter, möchte man, nicht nur in Bezug auf die ehemalige Margarinefabrik, meinen.
Oder auch nicht: Ausstellungen zeitgenössischer Kunst widmen sich seit ein paar Jahren wieder dezidiert politischen Themen. Die Berlin Biennale macht da keine Ausnahme. Die heutzutage international gefeaturete Kunst ist aber nicht im strengen Sinne »engagiert«, einer grenzen- und staatensprengenden Weltrevolution verpflichtet, sondern selbst in ihren globalisierungskritischsten Ansätzen erstaunlich ortsfixiert und staatstragend. Entsprechend hat sich auf den Ausstellungsparcours ein Verweissystem herausgebildet, das an geopolitischen Rastern orientiert ist und das durch die Medien vorstrukturierte Erwartungshaltungen der Betrachter bestätigt und festschreibt: Künstler und ihre Werke werden gemäß ihrer Provenienz, ihrem Aufenthalts- und Arbeitsort mit lokalen soziopolitischen Konflikten kurzgeschlossen. Größere Zusammenhänge fallen dabei meist unter den Tisch. Das funktioniert dann so: Südafrika – Apartheid, Brasilien – Favelas, Israel/Palästina – Israel/Palästina, Australien – Aborigines, usw.
Hito Steyerl: Euroscape
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Auch die dritte Ausgabe der Berlin-Biennale ist mit diesen Identifizierungen gespickt: Bosnien steht in der Videoinstallation von Hito Steyerl für das bürgerkriegszerstörte Land, Shanghai für die hypermoderne Wirtschaftsmetropole. Der – übrigens sehr schöne – elfminütige Film »Baltimore« von Isaac Julien aus London beschäftigt sich mit Problemen der Repräsentation von Afroamerikanern in der Stadt mit dem schwarzen Ghetto und dem Wachsfigurenkabinett, das bedeutende Schwarze ausstellt. In analogem Gestus wird der Ausstellungsstandort Berlin auf Transformationen im Zuge der Globalisierung und seiner Lage als Tor Europas zum Osten abgeklopft. Die deutsche Hauptstadt ist in den Fotoarbeiten des Argentiniers David Lamelas und der Deutschen Ulrike Ottinger der Fall der Mauer und der Bau des Potsdamer Platzes.
Die globalisierungskritischen Ansätze sind programmatisch an den Anfang des Rundgangs durch den Martin-Gropius-Bau gesetzt. In der Videoinstallation »Euroscape« von Steyerl wird von verschiedenen Orten Europas »berichtet«. Auf einem Bildschirm flimmern Kinder vor einer zerbombten Industrielandschaft im Stadtteil Sangaj von Novi Sad, auf einem weiteren sieht man die futuristische Modelle Shanghais, die auf der Expo in Hannover gezeigt wurden, auf einem dritten Bildschirm fährt die Kamera durch das abgeriegelte Stadtteil von Brüssel, in dem das Europäische Parlament untergebracht ist und zu dem kein Normalsterblicher zutritt hat. Die Sicherheitsfirma, die das Viertel bewacht, betreibt laut Steyerl auch private Gefängnisse und detention centres für Flüchtlinge. Die Filmemacherin schwingt sich aber dennoch nicht zu einer Kritik der imperialen Gelüste supranationaler Länderblöcke wie der Europäischen Union auf, sondern verliert sich in der Beschäftigung mit sekundären Phänomenen, wie dem auf dem Schengener Abkommen gegründete Grenzregime der Europäer. Überhaupt scheint das Thema Grenze das Lieblingsbeschäftigungsfeld poststrukturalistisch inspirierter Künstler zu sein.
Womit wir beim zweiten Problem der zeitgenössischen »Politkunst« angelangt wären: Begriffe wie »Biopolitik« und »Deterritorialisierung«. Die Sprache, der sich Künstler und Ausstellungsmachern bedienen, ist eine Sprache, die den politischen Impuls der Werke in die Watte eines von Deleuze/Guattari, Foucault und Toni Negri geprägten Vokabulars packt. Mit ihr werden zum Teil völlig unterschiedliche Phänomene in ein analoges Begriffskorsett gezwängt. Beispielhaft mag der im Katalog zur Ausstellung vorgeführte Vergleich des EU-Gipfels in Thessaloniki und der Gegen-Proteste sein. Sowohl den Politikern »drinnen«, als auch denen da »draußen« wird unterstellt, sie seien an der Produktion des »Spektakels Europa« beteiligt. Eine Sprache der Gleichmacherei, die die wahren Beweggründe zwei antagonistischer Seiten für ihr Handeln missdeutet.
Zu fragen bleibt aber immer noch, wie authentisch der Impuls der Künstler sein mag, sich statt mit Medium und Form, mit politischen Themen auseinander zu setzen. Ob dieser Antrieb nicht auch der augenblicklichen hegemonialen Strömungen im Feld der Kunst geschuldet ist. Ohne den Künstlern, die vor ein paar Jahren noch neoexpressionistische Fetische ins frisch geschlagene Holz kettensägten, eine politisch Bewusstwerdung angesichts der Bilder aus Seattle absprechen zu wollen, ist doch unübersehbar welchen Erfolg derartig »anpolitisierten« Werke mittlerweile international feiern. Man denke nur an die vergangene Biennale in Venedig. Mag man auch einwenden, dass sich die Werke auf dem Kunstmarkt nicht besonders gut verkaufen, bei Stiftungen und Kulturfonds stehen sie hoch im Kurs. Politik sozusagen als fördernswerter Mehrwert von Kunst?
Dass sich die in Berlin gezeigte Kunst in den kommende Ausgaben der Biennale radikalisieren wird, ist nicht zu befürchten. Der Hauptstadtkulturfond hat die Veranstaltung, die von Ausgabe zu Ausgabe einen offizielleren Charakter gewinnt, längst geschluckt. Womit der janusköpfige Charakter derartiger Veranstaltungen offenbar wird. Zum einen beruhigen sie das Gewissen der letzten Gutmenschen im Kulturbetrieb, zum anderen sind sie subventionierte Fabriken für Staatskunst.
In dem Maße, wie echte politische Debatten aus dem Politikteil der Zeitungen verschwinden und in den Feuilletons in Form von Ausstellungsrezensionen wiederauftauchen, wird die Austragung gesellschaftlicher Konflikte zunehmend auf symbolischen Spielwiesen verbannt. Weder der Kunst, noch der Politik als eigentlich getrennten gesellschaftlichen Systemen wird man dadurch gerecht. Kunst, die wie im Hub Urbane Konditionen sich in Form von gebastelten 3D-Modellen an einer Visualisierung von offiziellen Statistiken über Problemkieze, Hotelübernachtungen, Erster-Mai-Demorouten und den permanente Umzug illegaler, halblegaler und legaler Clubs in Berlin versucht, ist von einer ästhetischen Warte aus gesehen belanglos.
Überzeugen kann auf der Berlin Biennale nur der Teil, der sich mit der Verquickung bislang ungehörter Sounds und Transgender-Perspektiven beschäftigt. Chicks on Speed und Le Tigre machen es vor: Neue Klänge revolutionieren die Sichtweisen und Bilder von Geschlechtsrollen. Warum haben viele Künstler den Glauben an eine Veränderung der Welt durch eine Veränderung der Form verloren? Sie sollten sich erinnern: Das Thema ist nicht das Thema.