Anzeige: |
Der Amerikaner Jamie McMurry zeigte seine Arbeit "Mountainview" auf einem öffentlichen Platz in Odense am historischen Datum des 11. September. Nachdem er sich eine amerikanische Flagge auf seinen Oberschenkel nähte, trank er, mit Erde angereichertes Wasser, übergab sich mehrmals, zerschlug die Wassergläser und fesselte seine Füsse, sodass er sich fortan nur noch hüpfend fortbewegen konnte. Die Anspannung im anwesenden Publikum wurde noch grösser, nachdem McMurry sich auch noch an den Händen fesseln ließ und anschließend zu Personen aus dem Publikum kam, um sie mit der Überreichung von Bildern auf denen Indianer zu sehen waren, aufforderte, ihn niederzuschlagen. Ein Großteil des Publikums lehnte es ab, den hilflosen, mittlerweile an den Füßen blutenden, Künstler zu schlagen. Ein Mitglied des Publikums kam der Aufforderung jedoch nach und verprügelte McMurry hart. Im zweiten Teil dieser Märtyrerperformance bewegte sich der Amerikaner hüpfend und kriechend durch den Stadtraum, um an einem riesigen Schornstein die Worte: "I feel safer" mit Kohle anzuschreiben und sich anschließend erneut unter dem Schriftzug dem Publikum darzubieten. Diesmal hatte er zwei Eimer mit Tomaten und Eiern zur Verfügung gestellt: die Anwesenden sollten ihn bewerfen. Nachdem einige Wenige der Aufforderung nachgekommen waren, wurde McMurry plötzlich von einem Mann des dänischen Secret Service verhaftet, Polizeiwagen riegelten den Ort ab und die Atmosphäre bekam etwas Beunruhigendes. Grund für den Zugriff der Staatsmacht war der Besuch der dänischen Königin exakt gegenüber dem Performanceort. Aufgrund des sensiblen Datums befürchteten die Sicherheitskräfte einen provozierenden oder gar terroristischen Akt und griffen ein. Hier zeigt sich einmal mehr die Präzision und Präsenz von Performance: ein Assoziationsfeld, welches vielleicht in der Form nicht einmal geplant war, macht den Blick frei auf die Zustände, in welchen sich die demokratischen Gesellschaften international nach dem Einbruch des Terrors in scheinbar sichere Gemeinschaften befinden. Ungewöhnliches Verhalten wird als Bedrohung aufgefaßt und als Sicherheitsrisiko eingestuft. Auch weitere Arbeiten des Festivals nahmen Bezug auf diesen Umstand: Daniel Müller-Friedrichsen, einer von sieben Studenten der Klasse von Marina Abramovic, spielte mit seiner Performance "First Order" auf die Sicherheitsmaßnahmen an öffentlichen Plätzen wie Flughäfen an. Bevor das Publikum den Performanceort betreten konnte, an dem die sieben Abramovic-Studenten ihre Arbeiten zeigten, mussten sie sich einer genauen Durchsuchung und Befragung unterwerfen. Müller-Friedrichsen legte dabei ein ähnlich unterkühlt-aggressives Verhalten an den Tag wie es in Sicherheitskontrollen üblich ist. Der Einbruch der Performance ins Leben gelang hier auf beeindruckende Weise.
Überhaupt überzeugten die jungen Performer mit einer durchgängig hohen Qualität und ausgefeilten Performances: Die beeindruckendste Arbeit des Festivals war " Queen Bee" von Dorte Strehlow. Über drei Stunden lag die Performerin in einem überlangen orangefarbenen Kleid unter einem riesigen Glas Honig auf einem Tisch und ließ den Honig in ihren geöffneten Mund laufen. Die Performance ließ gerade in ihrer Ruhe und Konzentration auf diesen simplen Ablauf einen großen Raum für Assoziationen. Neben einer unbestreitbaren Erotik drängten sich auch Bilder von Tod, Ausgeliefertsein und Meditation auf. Im selben Raum bewies auch Franz Gerald Krumpl mit seiner Arbeit "Life Lines #2" eine überzeugende Präsenz. Über die Dauer von vier Stunden bewegte er sich barfüßig über ein exaktes Farbmuster aus Pigment und zerstörte durch seine fast unmerkliche Bewegung die Farbfelder. Jedoch nur, um gerade durch diese scheinbare Zerstörung etwas Neues zu erschaffen: eine sichtbare Transformation von Zeit und Bewegung in ein Bild.
Mit Nezaket Ekicis Performance "I had a dream …" tauchten Erinnerungen an Body Art oder Duration-Performances aus den 70er und 80er Jahren auf: ein 15 Meter langes Rasenstück wurde von der Künstlerin mit den Zähnen "gemäht". Was auf den ersten Blick amüsant erschien, nahm mit fortschreitender Dauer der Performance beklemmende Züge an: Ekici hatte eine Videokamera so positioniert, dass das Publikum im ersten Stock des Ausstellungs-gebäudes die Übertragung der Arbeit auf einem Monitor beobachten konnte. Im Verhalten der Besucher spiegelte sich eine Art amüsierter Distanz angesichts des scheinbaren Films. Wurden sie jedoch darauf hingewiesen, dass die Arbeit im Keller des Gebäudes "tatsächlich" stattfand, änderte sich nach wenigen Momenten der Beobachtung das Verhalten. Ekicis Anstrengung wurde sichtbar, das ständige Wegspucken der abgemähten Rasenstücke aus ihrem Mund, ihr dreckverschmiertes, von der Reibung im Rasen blutig gewordenes Gesicht und die ständige gebückte Haltung auf der Rasenfläche brachten viele Besucher dazu, lange bei der Künstlerin zu verweilen. Auch die anderen Studenten Iris Selke, Ivan Civic und Viola Yesiltac zeigten, dass Marina Abramovic sich in der glücklichen Lage schätzen konnte, junge Performer mit großem Potential als Studenten zu haben. Ob die jungen Künstler auch außerhalb des "sicheren" universitären Rahmens international überzeugen können, muß sich in der Zukunft beweisen.
Melati Suryodarmo (Indonesien) hat dies bereits geschafft. Als ehemalige Studentin von Abramovic kann sie mittlerweile auf eine Vielzahl internationaler Auftritte zurückblicken. In Odense zeigte sie die Arbeit "Exergie - Butter Dance", die dem Publikum das Lachen buchstäblich im Halse stecken bleiben ließ. Suryodarmo beginnt auf einer Metallfläche zu asiatischer Musik zu tanzen. Die Metallfläche ist mit mehreren Stücken Butter belegt. Nach kurzer Zeit stürzt die Künstlerin zum ersten Mal hart, steht erneut auf, um den Prozeß wieder in Gang zu bringen. Im Publikum hört man Gelächter. Nach drei weiteren Stürzen erstirbt das Lachen im Publikum mehr und mehr. Doch die Künstlerin tanzt eine fast unerträglich lange Zeit weiter, stürzt wieder und wieder. Am Ende verläßt sie ungebrochen den Raum. Eine überzeugende, körperintensive aber auch sozial und politisch stark mit Assoziationen beladene Arbeit. Marina Abramovic selbst konnte aufgrund von Krankheit ihre Arbeit nicht auf dem Festival zeigen. Als eine Art "Vertretung" gab die Kunsthistorikerin RoseLee Goldberg einen kurzen Einblick in Abramovic´ Arbeit und reicherte diesen beschreibenden Teil mit Anekdoten aus verschiedenen Begegnungen mit der Künstlerin an. Ein zwar nicht sonderlich informativer, aber dennoch unterhaltsamer Vortrag. Interessanter war eine Art Diskussion mit den Studenten, in welchem die Lehre von Marina Abramovic verdeutlicht wurde und es auch durchschien, dass die Arbeit mit Abramovic für die Studenten Vergleiche mit Erfahrungen in religiösen Gemeinschaften durchaus zulässt. Allein fünf weitere Performer stammten aus Asien, vier von ihnen waren im Zusammenhang des Programms "Asia on the road" auf einer Art Tournee in ganz Dänemark zu sehen. Kaori Haba aus Nagano in Japan zeigte eine meditative, von stoischer Schönheit geprägte Arbeit mit dem Titel "Transmitter". Ihre Performance setzte sich mit dem Literaten H.C. Andersen auseinander und am Ende gelang Haba mit gefesselten Beinen auf einem eigenhändig angelegten Sandhaufen ein geradezu klassisches Bild als "Meerjungfrau". Habas Austrahlung überzeugte mit ruhiger Präzision und ließ vergessen, dass die Künstlerin erst seit knapp vier Jahren im Bereich Performance arbeitet. Auch Yuan Moro O´Campo, zum wiederholten Mal in Odense eingeladen, beschäftigte sich mit Andersen und bezog auf wunderbar humorvolle Art das Publikum in seine Performance mit ein. "Shadow" schwankte zwischen ernsthafter Beschwörung, lustvoll, fast kindlichem Spiel und gehörte beim Publikum zu den erfolgreichsten Arbeiten des Festivals. Seine Frage: "Did I make you smile? Because that was my intention." machte seinen philanthropischen Ansatz noch einmal deutlich.
Mit Chumpon Apisuk wurde einmal mehr Bezug auf die aktuelle Politik genommen. Die Antikriegs-Performance des Künstlers aus Thailand nahm das Bild eines Kindes, welches auf den Helm eines Soldaten uriniert, zum Anlass, starke, dynamische Bilder von Erschaffung und Zerstörung zu finden. Ein Strauss Blumen, eine rollende Metallstange, weiße Handschuhe und Salz genügten Apisuk für ein Statement gegen militärische Gewalt. Zhu Ming aus China zeigte eine Variation seiner mittlerweile berühmten Performance "The Bubble". Hierbei befindet sich der nackte Künstler in einer riesigen Plastikkugel, die die Assoziation zu einer Gebärmutter geradezu fordert. Nach kurzer Zeit wird das Licht gelöscht und Zhu Ming beginnt mit einer Taschenlampe seinen Körper abzutasten. Erst jetzt wird sichtbar, dass sein Körper mit fluoreszierendem Material bestrichen ist. In der Dunkelheit werden Lichtzeichen in grünlicher Farbe auf seinem Körper sichtbar, Der Geruch des Farbmaterials wird immer stärker, das langsame Schwingen der Plastikblase und die kleine leuchtende Person darin erinnern an mystische Zeremonien. Eine starke poetische Arbeit von ungewöhnlicher Schönheit.
Ein weiterer Höhepunkt war die Performance von Jessica Buege (USA). Im Keller des Ausstellungsgebäudes steht eine weiss gekleidete Frau in einer Wanne voller Milch und blickt auf ein Holzbrett, auf welchem 7 leere Gläser stehen. Sie steigt aus der Flüssigkeit und zerschneidet das Kleid in Knöchelhöhe mit einem Messer, wobei sich Blut aus den Schnitten mit der Milch auf dem Boden vermischt. Dann beginnt Buege mit einer Schlauchvorrichtung Milch aus der Wanne zu saugen und diese dann in die Gläser zu spucken. Ein langer Prozess von meditativer Kraft. Als alle 7 Gläser etwa gleich stark gefüllt sind, kniet die Künstlerin hinter den Gläsern und stösst das Brett mit ihrem vorschnellenden Kopf herunter. Die Gläser zerschellen, die Milch verteilt sich auf dem Boden. Buege verlässt auf nackten Füßen den Raum, das Glas und die Milch durchschreitend. In dieser Performance waren die Bezüge zur katholischen Kirche, ihren Ritualen und ihren Inhalten mehr als deutlich: 7 Gläser (die sieben Todsünden), die kniende Haltung der Künstlerin, die Buße des schier endlosen Prozesses, das Blut, das weisse Kleid. Buege gelang mit dieser Arbeit eine fesselnde Auseinandersetzung mit der Bildsprache des Katholizismus und berührte zusätzlich eine starke Auseinandersetzung mit dem Körper als Maß. Ihre Arbeit war eine gelungene Fortführung der Body Art Traditionen mit einer sehr individuellen Ästhetik. Neben den oben besprochen Arbeiten gab es noch andere thematisch differente Äußerungen von Performance Art: Tomoko Takahashi alias Anticool (Japan) verband das Element des Schwebebalkens mit einer amüsanten Form von Medienkritik, Agnes B. Tiffon (Norwegen) mischte ihre Präsenz als Teilnehmer und Beobachter des Festivals zu einer Interaktions-performance, die ihr Ende erst nach mehreren Tagen fand und Tellervo Kalleinen (Finnland) versuchte eine "Storytelling"-Performance in totaler Dunkelheit, die jedoch aus Gründen mangelnder Tiefe wenig zu überzeugen wusste. Als Zusammenfassung lässt sich das 4.Internationale Performancefestival in Odense als Erfolg werten, der sich auch in einer Vielzahl von interessiertem Publikum spiegelt. Weniger Künstler, ein Programm mit mehr Lücken, die mit Gesprächen hätten gefüllt werden können, wäre allerdings noch wünschenswerter gewesen. |
|
|