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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



August 2005
Enno Stahl
für satt.org

Kölner Galerien
im Sommer 2005

Enno Stahl besucht
Ausstellungen in der Dommetropole

Folge 1 (Mai/Juli 2005)
Folge 2 (Juli/August)



Elizabeth Cooper
in der Galerie
Schmidt Maczollek
(bis Ende Juli 2005)

Galerie Schmidt Maczollek
Volksgartenstr. 10
Di-Fr 10-13, 14-18h
Sa 11-15h

www.schmidtmaczollek.de
Betrachtet man die Bilder Elizabeth Coopers in der Galerie Schmidt Maczollek, meint man auf den ersten Blick, der Welt berühmtester Malaffe Congo habe sich hier ausgetobt. Wirre Kleckse, verlaufende Farbnasen, Gesprenkel auf bonbonbuntem Gründen: pink, hellblau, mintgrün, lemon usw.
Bei näherem Hinsehen allerdings erweist sich das Ganze als gar nicht so absichtslos. Zunächst fällt der exzessive Einsatz an Mischtechnik auf: Acryl, Lack, Dispersion und Öl, ungewöhnlich genug, denn so entfalten die Töne sehr heterogene Wirkung. Sodann bemerkt man, dass die Bilder in Schichtungen entstehen, auf den monochromen Grund werden erste Lasuren mit Acryl gesetzt, zumeist handelt es sich dabei um scharf konturierte Flächen, bisweilen aber bewirkt eine höhere Verdünnung der Farbe Auflösungsprozesse, ausgefranste Ränder. Zuletzt werden pastöse Ölkrusten appliziert, die mitunter beinahe skulptural-gegenständliche Effekte auslösen. Minimale Einlassungen kräftiger Kontratöne erzeugen fein ziselierte Mikrostrukturen. Auffällig ist, dass die Motivgeflechte sich selten über das gesamte Bild erstrecken, sondern sich, fast immer vom unteren Rand ausgehend, wie ein Pilzbefall in den Bildraum hinein zu fressen scheinen.
Das alles belegt: was im Anfangseindruck wie zufällig hingeworfen erscheint, ist Ergebnis einer bewussten Steuerung, einer Ziel orientierten Komposition. Zitathafte Anklänge an die prallbunten Farben der Pop Art sind unverkennbar. Noch stärker treten Coopers Arbeiten in Beziehung zu Jackson Pollocks "drip paintings", wenngleich hier eben der Zufall verbannt wird, die gleich wirkenden Effekte tatsächlich Resultat absichtlicher Eingriffe sind.
Unklar bleibt jedoch, was - über die traditionellen Anleihen hinaus - die eigene Qualität der Cooper’schen Bilder letztlich darstellt. Sollte sich in den Arbeiten der viel gelobten, jungen New Yorkerin wirklich die Zukunft der zeitgenössischen Malerei andeuten? Das wäre wenig: "peinture pure", Meditationen über Farbverhältnisse und –wirkungen, das ist wahrlich nicht neu und erweckt ein bisschen den Eindruck, als solle das Malen hier noch einmal erfunden werden. Eine echte Meta-Ebene dagegen vermisst man. (Preise: 1.700-6.700 Euro).

Ewa Kulasek
in der artothek
(bis Ende August)

Artothek
Am Hof 50
Mo-Do 13-19h
Fr 10-17h

www.museenkoeln.de/artothek
Skulpturen, die man auf dem Kopf tragen kann? Das klingt widersinnig, und doch ist es wahr: die polnische Künstlerin Ewa Kulasek zeigt in der artothek eine Reihe von Hüten, denen es nicht schwer fällt, sich von Mode abzusetzen, statt dessen als serielles Skulptur-Konzept wahr genommen zu werden.
Gefertigt sind diese künstlerischen Kopfbedeckungen aus Kaninchen- bzw. Hasenfilz, der erheblich kräftigere Färbungen zulässt als gewöhnlicher Filz. Nicht umsonst sagt Kulasek zu ihren Hüten: "Sie handeln von Form/ Sie handeln von Farbe/ Sie handeln von Struktur/ Sie haben nicht viel mit Dekoration zu tun".
Das Interessante ist tatsächlich das Verhältnis von Farbwirkung und Gestalt, da gibt es hellblaue, braune, orange. Schwarze, karmesin- und purpurrote Hüte, jeweils in satten, geradezu bildhaften Tönen. Mal treten sie als Rundkappe in Erscheinung, dabei quasi seriell geschnitten, mal kleiner, mal größer – von der Schalenform bis zu einer vollendeten Halbkugel. Dann wieder als Fez-artige Käppis, ebenfalls in verschiedenen Größen.
Diesen geradezu geometrisch konstruierten Formen stehen freiere, verspieltere Exponate entgegen – wie die neckisch-verzogene Zipfelmütze, die aus dem Hänneschen-Theater stammen könnte, hätte Kulasek sie nicht ihrer Spitze beraubt. Auch mag man – angesichts ihres Titels "Granada", dem Bezug auf das maurische Spanien – arabische Magiker, ihren Zauberhut damit assoziieren. Die Titel verweisen zumeist auf Städtenamen, eine Ausnahme bilden zwei Arbeiten, die stark an Wehrmachtshelme erinnern, "Voyage" heißen sie mit gewolltem oder ungewolltem Sarkasmus, und nicht von ungefähr sind sie schwarz. Während das leuchtende Orange einer Pickelhaube, die den französischen Armeehelmen des Ersten Weltkriegs ähnelt, in deutlichem Kontrast zur Form steht. Soll ihr Name "Nizza" tatsächlich darauf verweisen oder doch nur auf das mondäne Badeparadies, die Welt der Promis und der Mode?
Wie dem auch sei: Hüte können hier, auf Stelen präsentiert, ringsum betrachtet werden wie Plastiken, sie stehen als architektonische Siglen, als Farb-Form-Zeichen im Raum – und zugleich, diesen Beweis und mehr hat Ewa Kulasek erbracht, kann man diese Plastiken auch anziehen, manchen kleiden sie vielleicht gar nicht so schlecht. (Preise dieser Auflagen-Objekte 150-250 Euro).

Leiko Ikemura
in der Kunst-Station
St. Peter
[bis Ende August]

Kunst-Station St. Peter
Leonhard-Tietz-Str. 6
Di-Sa 11-17
So 13-17h

www.kunst-station.de
Die Kölner Kunst-Station St. Peter ist eine besondere Kirche, nicht nur, weil hier regelmäßig Ausstellungen und Konzerte stattfinden, sondern ihr Interieur ist eigentlich selbst so etwas wie eine künstlerische Installation. Denn hier herrscht spirituell aufgeladene Leere: der Chilida-Altar wie absichtslos im Raum, keine Bänke, keine Mauervorsprünge und Winkel – das Ganze eine Fläche für den Geist.
Daher erscheint dieser Raum sehr geeignet, die beiden zentralen moralischen Antagonismen in Kirchen- und Geistesgeschichte miteinander zu konfrontieren, wie es Leiko Ikemura, die in Köln lebende japanische Künstlerin, mit ihren beiden fragmentierten Bronzeplastiken unternimmt. Beides wachsen heraus unförmigen Füßen, schrauben sich wie Spiralwürmer in die Höhe. Darauf zwei verzerrt-menschenähnliche Figuren, "Engel" und "Teufel". Erstere skizziert halbwegs nachvollziehbare Putte, die Luzifer-Gestalt ist da abstrakter. Der Torso erinnert an eine stilisierte Colombine mit seltsam heterogenen Proportionen, dazu passt – zumindest assoziativ – das Gesicht als leere Maske nach Art der Commedia dell’Arte. Jedoch, es ist überdimensioniert, überproportioniert mit langer Nase und feixendem Maul, dahinter gibt es keinen Kopf, nur eine grausame Leerstelle.
Der zweite Teil der Austellung besteht aus acht "Zwischenglasbildern": mit Pastell auf Papier hat Ikemura flüchtig konturierte Mädchen am Wasser dargestellt, mit Schwänen, mit Wellen, mit Wind – und diese Blätter zwischen Glasscheiben in Fenster eingesetzt. Damit korrespondiert farblich und ansatzweise auch vom Gegenstand her eine Reihe von Bodenskulpturen – kindsgroße Ton-Ballerinen bäuchlings. Sie bedecken die Augen, bergen sich, als ginge es um ein Versteckspiel. Doch die Figuren sind innen hohl, die Illusion wird zerstört, bevor sie überhaupt aufkommen konnte.

Hommage
à Harald Szeemann:
Auftakt bilden
Rückriem und Toroni
(bis September 2005)

Kewenig Galerie
Apostelnstr. 21
Mo-Sa 10-18 Uhr
Gesamtprojekt bis 27.8.

www.kewenig.com
Vor wenigen Monaten ist er gestorben, der international bekannte und allseits hoch verehrte Ausstellungsmacher Harald Szeemann. Als Leiter der legendären Documenta 5 (1969) hatte er Weltruhm erlangt. Kurz vordem hatte er die wichtige Gruppenausstellung "When Attitude Becomes Form" in Bern kuratiert, die den Schaffensprozess als Teil der künstlerischen Arbeit definierte. Acht Künstler aus der damaligen Schau, die mit Szeemann zeitlebens eng verbunden geblieben waren, nehmen nun an dem Projekt "In Progress I-IV" der Kewenig Galerie Teil, das als künstlerische Hommage diesen inhaltlichen Aspekt in Szeemanns Arbeit aufgreifen und weiter führen soll. In vier Projektschritten werden jeweils zwei Künstler den Raum bearbeiten, umgestalten, auf die bereits formulierten Positionen reagieren oder diese gar verdrängen. Den Anfang haben nun Niele Toroni und Ulrich Rückriem gemacht. Toroni, den Szeemann zahlreiche Male in seiner Ausstellungstätigkeit berücksichtigte, zeigt hier jene Variante analytischer Malerei, die ihn berühmt gemacht hat. Der Bildgegenstand ist reduziert auf Abdrücke eines Pinsels der Stärke Nr. 50, die Toroni minutiös in Abständen von jeweils dreißig Zentimetern auf verschiedene Malgründe gebracht hat. Einmal ist es kräftiges, rotes Acryl auf weißen Leinwänden, die wiederum sehr unregelmäßig im Raum verteilt sind. Dann tafelbildartige Holzgründe, die er mit weißen Abdrücken bedeckt. Auch die Galeriewand selbst, ein Türelement oder die Kellerwand werden zum Bildträger. Der Problemkomplex wird so ganz auf Untergrund, Farbwirkung und Format verlegt.
Ulrich Rückriem, unbestritten einer der bedeutendsten deutschen Bildhauer, hat eine umfangreiche Bodenskulptur geschaffen, die auf den ersten Blick streng konstruktiv erscheint: vier voluminöse Quaderlinien, zwei grau, zwei eher bronzen koloriert. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man, dass jede dieser Linien aus jeweils acht seriellen Kuben geformt wird, jeder dieser Würfel hat ein Volumen von 35 Kubikzentimeter und nimmt damit exakt das Maß der Steinplatten in der Galerie auf. Die Bodenfläche wird so in die Höhe, in die Dreidimensionalität fortgedacht. Gerade für Rückriem ist die Ablesbarkeit des Werkprozesses von großer Bedeutung, auch wenn sie hier angesichts der Klarheit der Formgebung beinahe zu verschwinden scheint: seiner bekannten Technik gemäß hat er die Ursprungssteine (Anröchter Granit) mit Keilen sauber gespalten, daraus dann die den regelmäßigen Kuben geschnitten. Die Schnittflächen jedoch bleiben nahezu verborgen, man denkt zunächst, der Stein sei noch ungetrennt und homogen. Die unterschiedlichen Oberflächentexturen rühren nun keineswegs von einer nachträglichen Einfärbung her, sondern sind genuine Eigenschaft der Steine, die aus verschiedenen Schichten stammen. Während die bronzenen, fast patinösen Flächen aus einer höheren, sedierten Gesteinsschicht gebrochen wurden, hat Rückriem die anderen, regulär grauen Steine einer tieferen Schicht entnommen.
Außerdem haben in der Folge Giovanni Anselmo und Lawrence Weiner in den offenen Prozess eingegriffen, es folgten Hanne Darboven/Giulio Paolini und als letztes demnächst Jannis Kounellis/Christian Boltanski (ab 29.7.05). (Preise: Toroni: 20.000-40.000 Euro, Rückriem: 100.000 Euro)