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Januar 2006
Marko Hild
für satt.org

Tod der Folklore

Die Kunstszene in dem ehemaligen GuS-Staat Kirgistan versucht sich zu etablieren und kämpft dabei gegen die kommerzielle Folklore.

In der kirgisischen Hauptstadt Bischkek gibt es neben dem Weißen Haus, dem Schauplatz der Märzrevolution, eine kleine überdachte Freiluftgalerie. Der Volksmund nennt sie „Pferdegalerie". Bei einem kurzen Blick über die Exponate weiß der Betrachter, warum. Auf zahlreichen Bildern sieht man die gleiche Szenerie: Eine Yurte, ein Fluss, ein Pferd, links und rechts eingerahmt von schneebedeckten Bergen. Des Kirgisen Lieblingsmotiv, wahrscheinlich vergleichbar mit dem röhrenden Hirsch, der vor einigen Jahrzehnten seinen festen Platz in vielen deutschen Wohnzimmern hatte.
Daneben gibt es noch einige Variationen des Pferdemotivs und bildliche Darstellunges der Manas-Sage, des kirgisischen Nationalepos.
Die Bilder werden häufig gekauft. Viele Maler können damit sich selbst und ihre Familien einigermaßen ernähren. Daher machen sie auch nichts anderes. Für eigene kreative Ansätze gibt es keinen Markt in dem fünf Millionen Einwohner zählenden, bergigen Land an der chinesischen Grenze. Dennoch gedeiht mehr oder weniger im Verborgenen eine Szene, die versucht, sich jenseits des Folkloremarktes über Wasser zu halten. Die meisten haben einen Brotberuf und widmen ihre gesamte Freizeit dem künstlerischen Schaffen.

In der Sowjetunion gab es klare Vorgaben. Kunst sollte national in der Form und sozialistisch im Inhalt sein. Geographisch zogen die Sowjets künstliche Grenzen und legten damit die Grundsteine für die zentralasiatischen Staaten Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan und Kasachstan.
Mit der Unabhängigkeit Kirgistans 1991 waren auch die engen Vorgaben des sowjetischen Kunstverständnisses verschwunden. Kunstschaffende konnten nun ihre eigenen Visionen umsetzen, ihre eigenen Ausdrucksformen finden. Für viele war dies ein mühsamer Prozess. Beeinflusst wurden sie auch durch den damals auftretenden Nationalismus und der Suche nach einer nationalen Identität der einzelnen Länder, eine Identität, die es vorher nie gegeben hat und die bis heute vor allem durch die Lobpreisung einzelner Nationalhelden getragen wird.
Heute bemühen sich die zentralasiatischen Künstler aus Bereichen wie Videokunst, Schmuckdesign, Malerei, Skulptur um eine grenzübergreifende Zusammenarbeit und gemeinsame Repräsentation. Ein Ergebnis war eine gemeinsame Ausstellung zentralasiatischer Kunst in Paris.
Die etwa 300 Mitglieder zählende Künstlergewerkschaft, ein Überbleibsel aus der Sowjetunion, vertritt dabei die Interessen der Künstler in Kirgistan. Unterstützt wird die Künstlergewerkschaft aber auch von außen. Die „Swiss Organisation for Development and Organisation“ (SDC), betreut Künstler, organisiert Veranstaltungen und sponsort ein paar Räume im Kunstzentrum. In dieser ehemaligen Fabrikhalle arbeiten und leben zum Teil Künstler schon seit der Sowjetunion, zur Zeit etwa 100. Viele haben ihre Studios mittlerweile für wenig Geld gekauft und so eine dauerhafte Bleibe für ihre Werke gefunden. In ihrem Metier waren die Bischkeker Künstler sehr produktiv, doch von marktwirtschaftlichen Prozessen wussten sie nicht viel.
Die SCD beauftragte eine Unternehmensberatung mit einer Analyse des Art Centers. Als Resultat arbeitet das Kunstzentrum zur Zeit einigermaßn profitabel, zumindest die Unkosten sind gedeckt.


Dinara Chochunbaeva
Dinara Chochunbaeva
(Foto: Marko Hild)

Von staatlicher Seite können die Künstler auf keine Hilfe hoffen, da die neue Regierung nach der Revolution im März sich zunächst um die innere Sicherheit und die Stabilisierung der Wirtschaft bemüht. Aber auch bei dem geflohenen Präsident Akaiev hat die Förderung einheimischer Künstler keine Rolle gespielt. „Die Situation für Kunst und Kultur ist schrecklich", meint Dinara Chochunbaeva, die Managerin des Kulturprogrammes bei SDC, „ohne staatliche Hilfe wird es keine Weiterentwicklung geben. Unsere Regierung muss verstehen, dass Kunst kein Luxus, sondern eine gesellschaftliche Aktivität und ein Spiegel des wirklichen Lebens ist. Kunst muss ein Teil unseres Wertesystems werden.“ Vor allem plädiert sie dafür, das Kunstverständnis schon in den Schulen zu fördern. Zu Sowjetzeiten gab es Kunststudios, die Jugendliche besuchen konnten. Die restlichen dieser Einrichtungen werden sich nicht halten könen, da sie nicht mit öffentlichen Geldern unterstützt werden. Eltern sind nicht bereit dafür zu zahlen, da es früher auch umsonst war. „Erst langsam registrieren Eltern, dass wir eine Marktwirtschaft haben und man auch für Kunststudios zahlen muss,“ konstatiert Frau Chochunbaeva.
Auch die bei den meisten Kirgisen beliebte Folklorekunst ist für sie nicht das Hauptproblem, sondern eher ein Symptom.
"Es ist keine Frage des Geschmacks, es ist eine Frage der Bildung. Wenn die Leute noch nie etwas von moderner Kunst gehört haben, woher sollen sie es besser wissen? Wenn ein Geschäftsmann sein Geld investieren will und keine Ahnung hat, was wird er tun? Wir müssen Werkzeuge entwickeln, mit denen wir den Geschmack der Leute beeinflussen."

Interview mit Ulan Djaparov,
Videokünstler aus Bischkek

Auf welcher Stufe ist die zeitgenössische Kunst in Kirgistan jetzt?

Ulan: Wir sind in einer neuen Entwicklungsphase. Die erste Phase endete mit der Teilnahme bei der Biennale 1997. Das war quasi eine Zusammenfassung dessen, was bis dahin geschehen ist. Es waren erste vorsichtige Versuche, Richtungsfindungen, um zu sehen, was zeitgenössische Kunst eigentlich ist.

Woher bekamen sie ihre Inspirationen?



Ulan Djaparov
Ulan Djaparov
(Foto: Marko Hild)

Vor 15 Jahren habe ich angefangen, kleine Texte und kleine Bilder zu machen. Ich habe meine Sprache gesucht. Ich habe eigene Ausstellungen organisisiert und dann gemerkt, dass es nahe an moderner Kunst ist. Das Problem war, dass ich weder Schriftsteller noch Maler war, da ich keine Akademie besucht habe. Und wer keine Akademie besucht hat, wird nicht ernst genommen, wie es auch damals in der Sowjetunion war.

Was beinflusst Sie heute?

Ich versuche meine Einflüsse und Inspiratonen aus dem wirklichen Leben zu ziehen.

Mit dem Fokus auf einem bestimmtem Aspekt?

Ulan: Schwierig zu sagen. Im wahren Leben hat man viele Ideen und Gedankenprozesse. Wenn man Leute trifft und sich austauscht, ist das auch eine Inspiration, die Synergie mit anderen Personen.
Das bezieht teilweise auch gesellschaftliche und politische Prozesse ein.
Bei einem meiner Projekte, das nach der Unabhängigkeut entstand, wurde ich aufgefordert, alles in kirgisischer Sprache zu machen. Leute nannten mich Mahjurt, wie die Figur aus einem Roman von Dschingis Aitmatov.
Überall im öffentlichen Leben kann man dumm angemacht werden, wenn man Russisch spricht. Eines meiner Projekte habe ich dann diesem Thema gewidmet, Performance and Foto in 1999.

Was hat sich seit der Unabhängigkeit Kirgistans verändert?

Anfangs, nach der Unabhängigkeit 1991, war die Kunstszene nicht so gut organisiert.
Jetzt gibt es Netzwerke, Galerien, Kunstgruppen usw., jetzt haben wir Erfahrungen. Der Grundstein ist gelegt.

Inhaltlich?

Das Denken hat sich verändert. Es gab eine Entwicklung hin zum konzeptionellen Denken. Die Grenze zur modernen Kunst war irgendwann verschwommen. Als Künstler habe ich einen mediativen Ansatz zur gegenwärtigen Kunst. Er ist nahe am kirgisischen Volk.

Kann ein Künstler von seiner Kunst leben?

Nein, das ist nicht möglich. Du musst einen Job haben, um Geld zu verdienen. Ich selbst bin Architekt.

Gibt es so etwas wie Kunstkritiker?

Ja, aber wir haben noch viele Kritiker aus der Sowjetzeit, die moderne Kunst nicht verstanden haben und nicht verstehen. Jetzt gibt es junge Kritiker, die einen anderen Zugang zur Gegenwartskunst haben, die uns verstehen. Das sind allerdings meistens Hobbykritiker, die nur in ihrer Freizeit rezensieren. Sie werden von der Öffentlichkeit nicht so intensiv wahrgenommen wie die Profis.

Werden Ihre Werke auch in Zeitungen rezensiert?
Nimmt die Öffentlichkeit sie wahr?




Ulan Djaparov
Ulan Djaparov
(Foto: Marko Hild)

Ja. Wir machen auf unsere Aktionen durch Mundpropaganda aufmerksam.
Es gibt aber auch Ankündigungen in Zeitungen.
Ich gebe noch zwei Magazine heraus, die über die Kunstszene informieren: Den Kunst-Almanach „Urbi et Orbi“ und das „Bulletin für zeitgenössische Kunst Zentralasiens". Im Bulletin befassen wir uns analytisch mit zeitgenössischer Kunst, über Ausstellungen und Events. Urbi et Orbi befasst sich mehr mit experimenteller Literatur in Zentralasien. Der Almanach hat etwa eine Auflage von 200 Exemplaren, das Bulletin 300. Wir stellen die Zeitschriften selbst her und bei einer höheren Auflage müssten wir uns registrieren lassen, um es verkaufen zu können.
Beide werden per Hand verteilt und erreichen Künstler und Kunstinteressierte in Zentralasien und Osteuropa. Wenn man es per Hand verteilt hat man den direkten Kontakt mit dem Leser, und erfährt seine Reaktionen. Der Leser wird so Teil des Ganzen. Für die Zukunft haben wir auch einen Internetauftritt geplant.
Es gibt aber auch andere Plattformen, wie das internationale Videofestival in der kasachischen Hauptstadt Almaty.

Wer ist Ihr Publikum?

Künstler, Leute, die an zeitgenössischer Kunst interesiert sind, allgemein offene Menschen.

Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft der Kunst in Kirgistan?

Dass wir uns weiterentwickeln und unsere eigene Sprache finden. Und dass Kunst größere Anerkennung in der Bevölkerung findet.