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Mai 2006 |
Herbert Hindringer für satt.org |
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Religiös, militant, frenetisch:
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Rüdiger Beckmann (Foto: Herbert Hindringer) |
Hamburg. Rüdiger Beckmann ist verliebt. Man merkt es. Er lächelt so. Beckmann, der 1969 in Ostfriesland geboren wurde und seit 1991 in Hamburg lebt, trinkt einen Schluck Bier und erzählt. Verliebte reden gern.
Fünfzig bis sechzig Kameras gebe es hier in der Wohnung, sagt Beckmann. Er meint damit keine Überwachungskameras, sondern analoge Fotoapparate (für die Jüngeren unter den Lesern: Ja, es gab eine Zeit vor den Digitalknipsen! Die Analogen sind sowas wie das Äquivalent zu Unplugged-Konzerten in der Musik). In der WG von Rüdiger Beckmann gibt es Kameras für fast alle Lebenslagen, von einem hochwertigen Profigerät wie der Hasselblad bis hin zu einer kleinen bunten Plastikkamera, in der oben einst ein Lutscher steckte, der sich bei jedem Auslösen verführerisch herausschob. Wenn aber die Rede auf die Pouva Start kommt, dann hat Beckmann wirklich Spaß. Die Pouva ist eine Mittelformatkamera, die mit Rollfilmen beladen wird. Sie wurde seit Beginn der 1950er Jahre bis hinein in die 80er fabriziert, war vor allem in der ehemaligen DDR populär und ist mit einem Preis von 16,50 Mark auch für jedermann erschwinglich gewesen. Der niedrige Preis lag hauptsächlich in der durch und durch schlichten Bauart der Pouva begründet. Sie ist aus Bakelit, was nichts anderes ist als Kunststoff, hat keine ausgefeilte Technik zu bieten, im Gegenteil, sie kommt mit einer Festbrennweite daher und als Sucher dient lediglich ein aufklappbarer Rahmen an der Oberseite. Ungewöhnlich ist allenfalls der herausschraubbare Tubus, sowas wie der Einschaltknopf des rein mechanischen Apparates.
Rüdiger Beckmann, ein faszinierender und hochinteressanter Fotograf mit sehr eigenem Stil, arbeitet gern mit der Pouva. Von den einfachen, sprich billigen, sprich „schlechten“ Kameras, sei ihm die Pouva die liebste, sagt er. Sie war ihm von Anfang an sympathischer als die von allen Seiten gehypte Holga (ebenfalls ein Plastikapparat, in China produziert), sie sei von der Haptik her angenehmer und zudem ein entscheidendes Stück kleiner, sodass man sie besser in die Jackentasche stecken könne. Und überhaupt. Jetzt guckt Beckmann ganz eindringlich. Ihm geht es nicht darum, möglichst schräge, trashige Bilder zu machen, was ja das Credo der Lomografie-Bewegung ist (nach dem Motto: „Nicht hingucken, einfach nur abdrücken“), er möchte vielmehr Bilder machen, die den Geist der Pouva atmen, wie er sagt, die aus den vermeintlichen Schwächen der Kamera ein maximales Ergebnis herausholen. In diesem Sinne sieht er die Pouva als absolut gleichwertig gegenüber Geräten, die um ein paar Gehaltsstufen mehr kosten. Und er setzt gar noch einen drauf, indem er bekennt, dass er sich in die Pouva verknallt habe. Er stellt die Bierflasche weg und nimmt die Pouva in die Hand. Er lächelt wieder.
Da Beckmann Gründungsmitglied des in St. Pauli ansässigen „Kunst- und Kulturverein LINDA eV“ ist, eines Vereins, dessen elf Mitglieder seit Herbst letzten Jahres alle zwei Wochen eine neue Ausstellung unterschiedlichster Gattungen in der Hein-Hoyer-Strasse auf die Beine stellen, reifte in ihm die Idee, eine Veranstaltung ausschließlich für Bilder, die mit der Pouva gemacht wurden, aufzuziehen. Seit Ende letzten Jahres hat er dann diese Idee in der fotocommunity, der größten Internetplattform für Amateurfotografie in Europa, propagiert. Als Endergebnis dieses ebenso ehrenamtlichen wie leidenschaftlichen Engagements findet nun vom 20. bis zum 30. Mai eine Gruppenausstellung mit 30 Fotografen in der LINDA statt. Laut Beckmann reicht die Palette der teilnehmenden Künstler vom Hobbyknipser bis hin zum ausstellungserprobten, „richtigen“ Fotografen. Es seien sowohl Leute beteiligt, die seit mehr als 20 Jahren ganz selbstverständlich mit der Pouva arbeiten würden, aber auch solche, die erst durch seinen Aufruf dazu animiert worden seien, sich dieser speziellen Kamera anzunehmen. Lächelnd fügt Beckmann hinzu, dass seit Beginn seines Werbens ein leichter Anstieg der für die Pouva erzielten Preise bei Ebay festzustellen sei.
Was die ausstellenden Fotografen, die aus allen Teilen Deutschlands sowie aus Österreich und Frankreich kommen, eine, sei ein gewisser Respekt im Umgang mit den Möglichkeiten der Pouva, was an den eingereichten Bildern auch ersichtlich sei. „Wenn man sich wirklich mit einer Kamera beschäftigt, dann merkt man irgendwann, was man mit dieser Kamera anstellen kann“. Nico Baldauf, Beckmanns Mitbewohner und ebenfalls mit eigenen Bildern an der Ausstellung beteiligt, erzählt, dass ein ungestümer Zeitgenosse ihn körperlich attackiert habe, weil er wohl dachte, er werde von ihm geheimdienstlich abfotografiert. Sowas aber macht die Pouva nicht. Auf dem betreffenden Bild ist der arme Tropf dann auch nur als winziger verschwommener Fleck im Hintergrund einer Landschaftsaufnahme auszumachen. Wen solche Erfahrungen abschrecken, dem hält Rüdiger Beckmann in seiner leidenschaftlichen Art entgegen, dass für ihn persönlich das Fotografieren mit der Pouva eine „militant-religiöse Erfahrung frenetischer Natur“ sei. Dabei lächelt er nicht mehr nur, jetzt lacht er laut. Was er aber bestimmt ernst meint, der Beckmann, das ist, dass er die Pouva ernst nimmt.
Wer sich davon überzeugen will oder auch davon, was den Zauber dieser Kamera ausmacht, der sei nachdrücklichst aufgefordert, die Gruppenausstellung „Pouva Start – Kamerad Kamera“, die vom 20. bis 30. Mai in der LINDA (Hein-Hoyer-Str. 13, 20359 Hamburg St. Pauli) stattfindet, zu besuchen. Die Öffnungszeiten: Do 17-21 Uhr, Fr 20-22 Uhr, Sa 20-22 Uhr, So 16-19 Uhr und nach Vereinbarung. Vernissage: 20. Mai, 20 Uhr.
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