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März 2007 |
Sigrid Gaisreiter für satt.org |
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Politästhetische SchnittmengenDie Künstler Igor und Svetlana Kopystianski (*1954) setzten auf einer Großleinwand in Berlin ein Kunstwerk mit dem Titel "Kunst ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln". Sie liefern damit einen Kommentar zu einer Idee, die so alt ist, wie es politische Ordnungen gibt, nämlich dass Künstler eine politische Ordnung gestalten, ja erst schaffen. Ulrich Raulff, seit 2004 Direktor des Literaturmuseums der Moderne in Marbach am Neckar, rief und ein Symposion kam im März 2004 am Wissenschaftskolleg in Berlin zu ästhetischen und politischen Utopien von Künstlern zustande. In sieben nun in Buchform veröffentlichten Referaten wurden Utopien von Künstlern, die sich als politische Herrscher imaginierten, vorgetragen.
Politologen referierten nicht, das ist zu bedauern. Denn sie hätten gewiß gegen eine ahistorische Rede vom Staat, der ein Produkt der Neuzeit ist, Einspruch erhoben, die man Künstlern, nicht jedoch Gelehrten nachsehen mag. Im Unterschied zu vielen genuin politischen Utopien haben die hier vorgetragenen Künstlerutopien, seien es Bayreuth (Richard Wagner) oder Rom (Fritz Overbeck), einen konkreten Ort. Erst am Ende des Bandes, im besten Beitrag von Eberhard Lämmert, werden die Träume von einem anderen politischen Gemeinwesen auf ihr soziales und historisches Fundament gesetzt. Daß gerade deutsche Künstler, Richard Wagner (1813-1883) ebenso wie Friedrich Overbeck (1869-1909) oder Stefan George (1868-1933), heftig von sich als Künstlerpolitiker träumen, verwundert nicht, die Stichworte – fehlende politische Freiheit und nationale Einheit – sind bekannt. So dichtete Heinrich Heine in "Deutschland ein Wintermärchen": "Wir aber besitzen im Luftreich des Traums / die Herrschaft unbestritten. Hier üben wir die Hegemonie, / Hier sind wir unzerstückelt; / Die anderen Völker haben sich / Auf platter Erde entwickelt." Und so bieten alle in dem Buch vorgestellten Utopien wenig Konkretes, Staat ließe sich in keinem Fall damit machen. Das gilt auch für Vorstellungen, die sich auf einen Umbau bereits vorhandener Staaten beziehen. Die Rede vom "Künstlerstaat" darf deshalb politologisch nicht so genau genommen werden. Jedenfalls darf man bei allen vorgestellten Utopien froh darüber sein, dass die Ideen nicht Realität wurden – sie haben alle kaum demokratische Facetten. Ulrich Raulff spricht in seiner Einleitung deshalb auch von einer "Diktatur der Dichter". Im Beitrag von Egon Flaig, Professor für Alte Geschichte, klingt das an: "’Ästhetisierung von Politik’ kann vielerlei heißen". Im Fall Nero (37-68) lebte ein realer Herrscher seine künstlerischen Ambitionen spät aus, doch der aus künstlerischen Motiven gelegte Brand von Rom brachte ihm bei der Bevölkerung keinen guten Ruf ein. Im zweiten Fall läuft die Bewegung von der Politik zur Kunst im Musenhof der Anna Amalia in Goethes Weimar. Auch hier wurde kein Künstlerstaat daraus, allenfalls gelang partiell die Versöhnung von Kunst und Macht, die sich im Konzept des "Dichterfürsten" Goethe personalisierte, der allerdings in der Darstellung von Ernst Osterkamp strikt zwischen Politik und Kunst trennte. Von anderem Zuschnitt ist hingegen das Paar Richard Wagner und Ludwig II. Wagner, so legt Jens Malte Fischer überzeugend dar, hatte Großes vor, eine ästhetische Utopie im Gesamtkunstwerk, das "gleichzeitig Modell für die Gesellschaft der Zukunft" sein sollte. Als "intellektuelle und ästhetische Machtzelle innerhalb des Kirchenstaats" nahm sich laut Michael Thimann schließlich das Atelier von Friedrich Overbeck in Rom aus. Auch wenn Thimann nicht müde wird zu behaupten, hier sei ein Künstlerstaat zu besichtigen, so ist die These reichlich kühn, denn diesem "glücklichste(n) kleine(n) Freystaat von der Welt" fehlt es an elementaren staatlichen Strukturen und Funktionen. |
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