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Mai 2007 |
Sigrid Gaisreiter für satt.org |
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TeilchenbeschleunigungGroße Auftritte sind dem Impressionismus dieses Jahr sicher. Noch bevor in Berlin im Sommer Meisterwerke aus dem Metropolitan Museum New York gezeigt werden, starteten zwei Ausstellungen, die sich einzelnen Aspekten dieses Stils widmen. Eine Neubewertung des Oeuvres von Pierre-Auguste Renoir (1841-1919) strebt eine Ausstellung an, die in Europa in London (21.2.-20.5.2007) Station macht. Zwar gilt Renoirs Kollege Claude Monet als Meister der Landschaftsmalerei, aber auch Renoir, der durch seine Porträts bekannt wurde, hat viele Landschaften gemalt. In Berlin wartet die Deutsche Guggenheim (27.1.-15.4.2007) mit einer Überraschung auf und schaut auf den Ausklang des Impressionismus, der Neoimpressionismus, alternativ Pointillismus (französisch. Point: Punkt) oder Divisionismus genannt wird. Für deren Entwicklung als bedeutsam können Renoirs Vorarbeiten angesehen werden, die in einigen Landschaftsbildern, gezeigt werden in der Ausstellung Arbeiten der Jahre 1865-1883, zum Ausdruck kommen, bislang aber kaum gewürdigt wurden. Tanz der Farbtupfer
Bekanntlich revolutionierte der Impressionismus die Malerei, da er sich von der glatten Pinselführung und von der Imitation der Renaissance, wie sie in der Historienmalerei zum Ausdruck kommt, absetzte. Edouard Manet und Kollegen inszenierten das moderne Leben in skizzenhaft hingeworfenen Bildern mit starken Farbkontrasten und Lichtspielen. Bei allen Gemeinsamkeiten setzte jeder aus der Künstlergruppe allerdings unterschiedliche Akzente. Die Eigenheiten bei Renoir zu verdeutlichen ist erklärtes Ziel von Ausstellung und Katalog. Die ersten beiden Textbeiträge widmen sich Renoirs öffentlicher Wahrnehmung als Landschaftsmaler und dem Aufstieg der französischen Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert, der Kreis um Camille Corot (1796-1875) leistete darin Vorarbeiten für den großen Durchbruch der Impressionisten. Nach einem weiteren Text zum Thema "Renoir in der Stadt" folgt dann der große Beitrag von Colin B. Bailey zu Renoirs Landschaften. Die VisionRenoir bereitete den Boden für die zweite Generation von Impressionisten um Georges Seurat und Paul Signac, die dem Stil eine neue Nuance geben. Im Unterschied zu ihren Vorgängern, denen das Theoretische gleichgültig war, werden sie von neu aufkommenden Farbtheorien beeinflußt. In ihren Bildern setzten sie kleine Farbtupfer in reinen Farben als Simultankontraste von benachbarten Pigmenten. Der Gesamteindruck eines Bildes entsteht erst im entfernt vom Bild sich befindenden Betrachter. Durch optische Integration und additive Farbmischung formen sich Punkte zur Gestalt. Der italienische Zweig des Neoimpressionismus wird Divisionismus genannt, der hierzulande, bis auf Giovanni Segantini, fast unbekannt war. Sehr begrüßenswert daher die Initiative der Deutschen Guggenheim, italienische mit französischen Neoimpressionisten zu konfrontieren. Unter dem Titel "Arkadien und Anarchie" spüren Kuratoren und Herausgeber der Spezifik der italienischen Variante des Neoimpressionismus nach, ehe im Tafelteil in fünf Abteilungen "Licht, Landschaft, Landleben, Gesellschaftskritik" und "Symbolismus" Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kollegen und Rivalen anschaulich gezeigt werden.
Mehr als ihre französischen Kollegen standen die Divisionisten politisch links, darauf spielt der zweite Teil des Titels "Anarchie" an. Eher gemeinsam war ihnen ein idealistischer Zug mit idyllischen Landschaften, dafür steht "Arkadien". Stärker als die Franzosen neigten die Italiener zur "modellierten Form und zur Wiedergabe des dreidimensionalen Raums und der Bewegung. Wieder im Unterschied zu ihren französischen Kollegen, die vor allem Szenen des bürgerlichen Lebens malten, fanden die Italiener zu "metaphysischen" und "symbolistischen Motiven" und gesellschaftskritischen Themen. So hat auf dem Monumentalgemälde (293 x 545 cm) von Giuseppe Pelizza da Volpredo der Vierte Stand seinen Auftritt und erinnert an das Eingangsbild des berühmten Films "1900". Den Italienern ging es nicht anders als ihren französischen Kollegen, das Moderne dieser Kunst war heftig umstritten. Die Debatte um den Divisionismus zeichnet die Autorin Giovanna Ginex gekonnt nach, hier mischten sich politische Motive, die Ablehnung der Linksorientierung vieler Divisionisten, mit ästhetischen. Schnell wird diese Kunst als pathologisch angesehen, da sie die Erwartungshaltung von Kunstkritikern durchkreuzte. Nicht weniger drastisch war die Ablehnung, als 1907 zum ersten und einzigen Mal in Paris Malerei der Divisionisten gezeigt wurde, kein leichtes Pflaster für italienische Kunst, da Italien und Frankreich, so der Autor Dominique Lobstein, "seit der Renaissance zugleich Partner und Rivalen auf dem Gebiet der Künste" seien. So mag es wenig überraschend sein, dass selbst Signac, der ja der gleichen Strömung angehörte, harsch über die Ausstellung urteilte: "Zwei oder drei gerissene Burschen … und ein paar [Nichtskönner]. Schraffuren, Punkte, Blasen … alles ohne Kontrast und Harmonie. Kein Maler darunter." Viel Lärm also um nichts, folgt man Signac. Dabei müßten ihm die Ablehnungsgründe vertraut sein, denn so ähnlich verlief die Aufnahme der Bilder seiner älteren Kollegen im eigenen Land. Aber auch untereinander faßten sich manche Impressionisten nicht mit Glacéhandschuhen an. Manet warf Renoir den Fehdehandschuh hin, auch Seurat und Signac traf es wiederholt und als dann später Pablo Picasso kam, da wurde Renoir wütend. Die Reihe ließe sich fortsetzen, heute aber ist das Geschichte. In der ersten Reihe der Moderne hat die Bewegung Platz genommen. Beiden Ausstellungen ist es gelungen, bisherige Randpositionen ein wenig mehr ins Zentrum zu rücken. Bei der Neujustierung helfen zwei schöne Kataloge. |
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