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Februar 2008 |
Matthias Jackisch für satt.org |
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»el arte es actión«
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Esther Ferrer, im Vordergrund: Bartolomé F. Irma Optimist Clemente Padin Janusz Baldiga Matthias Jackisch, Steinflöte in der Luft Matthias Jackisch, Steinwal im Wasser (Fotos: Hilario lvarez) |
Der Dresdener Performer und Bildhauer Matthias Jackisch berichtet vom Festival „el arte es actión“ Performance-Event im Museum Reina Sofia, Madrid 2008, an dem er selber mitwirkte.
Ich bin schon wieder da. Das spanische Kulturministerium veranstaltete ein internationales Performancefestival unter dem Titel: "el arte es actión". Bartolomé Ferrando wurde als Kurator bestellt, zur Hand gingen ihm auch Hilario Alvarez und Nieves Correa, zwei Künstler aus Madrid. Er war 1993 in Hellerau mit seinen Soundpoetry und Fluxus verpflichteten Arbeiten zu erleben. Ich kam zum ersten Mal im Leben zu spät zu einem Festival. Als ich eintraf, lief bereits seit einer halben Stunde die Performance von Esther Ferrer.
Ihre damals nur zehn Minuten dauernde Arbeit in Hellerau hatte für große Irritation gesorgt, eben weil alles so schnell vorbei war. Diesmal dauerte es eine Stunde. In einer Gruppe von 20 Studenten saß die heute 70jährige und zählte mit allen gemeinsam immer wieder bis 100. Anfangs ganz leise, jeder/e für sich, dann immer lauter und somit auch immer mehr nach außen.
Es war so ausgedacht, dass gleichzeitig die Performance von Janusz Baldyga aus Warschau stattfand. Er hantierte sehr empfindliche Symbolhaltigkeiten parallel zu einer Videoprojektion von seiner früheren Handlung mit Glas und Wasser, die gleichsam in ihrer ständigen Wiederholung den Grundklang von etwas leicht Zerbrechlichem entstehen ließ. Kleine Fähnchen im Ärmel verbrannt und großes Tischtuch von beiden Seiten: Weinglasspuren ...
Esther endete danach. Dann spielte ich eine Steinflöte, die in der Luft tönt, bis ihr Klang im Aquarium erstickte um anschließend den "Wal" im Wasser seinen Gesang herausblubbern zu lassen. Steine zum durchatmen eben.
Danach war der erste Tag gegessen und wir gingen essen.
Immer wenn jemand Performance erzählt, klingt das so, als hätten einige gutgelaunte Leute einen Haufen Blödsinn verzapft, aber das macht wohl den Reiz aus: Dabeisein funktioniert, transportiert werden kann davon nur wenig. Den zweiten Tag begann Irma Optimist aus Helsinki. Nun ist hierzu eigentlich nur zu sagen, dass Sie Mathematik unterrichtet und als Seiteneinsteigerin der Kunst, einen distanzierten Standpunkt einzunehmen versucht. Auffällig sind ihre präzise vorbereiteten Klarsichtfolien, die dann, ganz wissenschaftsentsprechend, über den Overhead-Projektor projiziert, Thema und Titel dokumentieren.
Diesmal Toilette. Und da drin sollte die Kunst landen, also sie selbst und ihre Wurstsuppe ... zumal es ein Geheimnis dieser Frau bleiben wird, ob es Sinn für Humor außerhalb eines allgemeinen Missverstehens in der Kunst überhaupt gibt.
Jason Lim, Singapore, hatte Wassergläser und stapelte und stürzte und dann kam dieses Finale, bei dem er versuchte, das über einem Eimer ausgegossene Wasser mit demselben Glas wieder aufzufangen. riesige Konzentration und Reaktion und am Ende: ein letzter dramatischer Tropfen.
Der Abschluss des zweiten Tages: Clemente Padin aus Uruguay. Ein Mann von 68 Jahren, der von der experimentellen Poesie kommend, erst spät begann, Performances zu machen. Er benutzte Sprache, wendete sich ans Publikum, machte Polaroids - ich hab’s ja nicht verstanden - aber am Ende stand so ein Bild: da sass er und verbrannte seinen Schatten und ich musste spontan an Octavio Pas denken:
"auf der mauer der schatten des feuers
in dem feuer dein schatten und der meine"
So ein Festival mit all - inclusive - Charakter kann sich eben nur ein Kulturministerium leisten, und es braucht Gastfreundlichkeit, jedenfalls gab’s auch am zweiten Abend wieder die grosse Tafel danach.
Den abschließenden dritten Tag eröffnete Herma Auguste Wittstock aus Berlin. Sie ist so eine dicke Prinzessin ohne Scheu, sich fast nackt aus einem großen Papierberg zu wühlen und einfach dazustehen, so üppig wie die Venus von Willendorf. Das saß.
Die folgenden Tanznummern, erst mit spielzeugigem Stier, dann mit aufgeforderten Männern und der Hinweis auf ihre Ausgeraubtheit trafen mich nicht mehr so stark. Concha Jerez ist in Spanien besonders durch Installationen sehr bekannt geworden. Ihre Aktion berührte Aspekte verschiedener Spiele - von Himmel und Hölle bis Poker und MenschÄrgerDichNicht. Allerdings wirkte alles in etwa so, als ob ich dem Aufbau einer Installation beiwohne und das Video läuft schon.
Zum Abschluss und Höhepunkt dann Seiji Shimoda "on the table". Der Japaner hatte so in etwa diese Arbeit auch 1993 in Hellerau gezeigt. Dann wohl 10 Jahre nicht mehr auf dem Tisch, wie wir in Dresden 1999 auf dem Dampfer erleben durften und jetzt wieder. Shimoda umspielt mit seinem Körper den Tisch in kraftvoller und meditativer Balance. Sein Atmen ist der einzige Ton im Raum, Meister Shimoda eben.
Das war’s, fast, wären da nicht die vielen Besucher gewesen, jeden Abend war das Auditorium im Museum Reina Sofia so voll, dass nicht allen Interessierten Einlass gewährt werden durfte, und sie waren bei der Sache und neugierig mit ihren Fragen.
Ich bekam ein kleines Steinchen aus der Hosentasche einer Begeisterten geschenkt und das baumelt jetzt hier fröhlich in meinen Bildhaueralltag.
Nachtrag:
Auf dem Flughafen in Madrid haben die Sicherheitspolizisten
meine Steinflöten nicht durchgehen lassen. Ich habe das Falt-
blatt von "el arte es action" gezeigt und versucht zu erklären,
das es Musikinstrumente sind, aber mein Spanisch war zu klein
oder die Steine zu schwer, jedenfalls sollte der Koffer nicht
mit ins Flugzeug. Da habe ich begonnen, die Flöte zu spielen
bis der Oberste sagte, es reicht, und so hab ich alles gut nach
hause gebracht.
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