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18. Juni 2008 |
Matthias Jackisch für satt.org |
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Nipaf ´08 ReiseberichtMatthias Jackisch war eingeladen zu einem Performance-Festival "on Tour" in Japan. Hier berichtet er, was er sah und hörte.Ich komm nicht wieder – die Zeitverschiebung greift mir plötzlich in die Augenlider und sagt: Klappe. Hinter den geschlossen Augen sind zu viele Bilder. Das Festival in Japan brachte 12 japanische und 10 eingeladene Künstler in vier Städten auf die Bühnen. Ich sortiere erst mal nach dem Alter.
Osamu Kuroda beging am 4. März seinen 77. Geburtstag mit seiner vierten Performance auf dieser Tournee. Ich fand in seiner Lebensbeschreibung den Begriff "picture story teller". Er beschleicht die Bühne und trillert mit seiner Pfeife um Aufmerksamkeit. Dann zieht er aus dem Hosenbund ein zerlesenes Buch und beginnt darauf bezogen eine gestenreiche Propaganda. Leider verstehe ich den Japaner nicht, aber er bezog sich auf den Text des japanischen Anarchisten Osugi Sakae. Dabei wechseln tänzerisch verklärt wirkende Momente mit scharfen Einschnitten. Er trägt das Flair einer Zeit herein, die wir nicht sahen. Das kann eben nur ein Alter, der fit im Kopf geblieben ist. Dazu ist Kuroda-san auch noch beweglich wie ein Affe; er hat Riesenspass dabei, die Füsse zu setzen wie eine klassische Tänzerin und den Kopf baumelnd zu schwenken, als sei er eine Marionette.
Einem Traum ganz anderer Art blieb Zbigniew Warpechowski aus Polen treu. Er sprach von Poesie. Auf dem Cover des diesjährigen Nipafkatalogs ist seine frühe Arbeit abgebildet: eine Forelle mit herausgenommenen Innereien, die das Wort "Poem" schreiben. Warpechowskis Performances sind immer auf der Suche nach dem Gedicht im Tag. Seine erste Performance in Tokyo war denn auch wie ein Vortrag aufgebaut, in dem er aus Überdruss ob der Bilderflut unserer heutigen Welt, seine Hinwendung zum poetischen in jedem Ding zelebrierte. Für mich war hier der Höhepunkt eine Stück, das er zum ersten Mal 1975 in Krakow gezeigt hatte: Licht aus; das Geräusch zweier aufeinander klatschenden Hände ist zu hören, Licht an; seine beiden Hände umgreifen einen leeren Raum, den er als "dunkle Kammer" bezeichnet. In Kawaguchi zeigte er u.a. eine Performance, die ich 1995 auch in Krakow bereits sah: er verspricht jedem im Publikum sein eigenes Gedicht und geht dann durch die Reihen, vermeintlich etwas ins Ohr flüsternd. Wenn Du dann selbst an der Reihe bist, bläst er Dir sanft hinters Ohr. Giovanni Fontana hatte ich 15 Jahre nicht gesehen. Er ist jünger und noch feiner geworden. Seine "POETRY AND SOUND MASK" genannte Performance war spritzig, witzig und perfekt. Zwischen zwei Mikrofonen agierend, eins mit- und das andere ohne Hall, baute er sein Sprachgebilde. Dazu kamen noch Stimmen vom Band, die gesamte Erscheinung – im weissen Overall mit Atemschutz und weissem Dreitagebart – alles passte zusammen und auch wenn ich, wie das Gros der Zuschauer, nur wenig vom italienisch bestimmten Wortgefecht verstand, war die Mitteilung schlussendlich angekommen: der orgiastische Konfettiregen aus aufgefetztem Reißverschluß wurde Eins mit der Stimme aus den Tiefen des Künstlers. Am zweiten Ort, in der artfactory Kawaguchi, liess er die Kostüm und Tonkoserve weg. Er las ein Kapitel aus seinem Roman über den Tarot: eindringlicher Singsang bis zur Sprechorgie. Für mich steigerte Giovanni Fontana sich in der Mojira noch einmal. Er schrieb in fünf Sprachen den Begriff "Vokale" an die Wandtafel des ehemaligen Klassenzimmers und spielte danach skriptgenau allein auf Vokalen (Selbstlauten!) beruhende Ausdrucksformen in dramatischer Brechung und mit immer neuen Steigerungen durch. Ein Grieche namens Dimosthenis Agrafiotis mit einer Performance "EMPEDOKLES" – da bin ich versucht zu schweigen. Allen vier Aktionen war folgendes gemeinsam Videoprojektion, Publikumsbeteiligung, Schrift- bzw. Schreibformen. Der Wechsel von Positionen, der Vortragende wird zum Mitspieler... das Publikum wird Akteur, dies sind seine Methoden der Befragung heutiger Möglichkeiten des Handelns. Als profunder Kenner auch der japanischen Kultur wagte er in seiner letzten Performance gar einen Gewaltausbruch gegen Dauerfreundlichkeit, unerwartet und kräftig. Ich bin schon wieder Müde, auch trifft mich Scheu, Scheu davor, auswählen zu müssen, wer von den vielen noch in diesem Bericht erscheinen soll. Die Last soll Lust werden, sag ich mir und erzähle ab jetzt, wer mir gerade einfällt. Chrissie Cadman ist eine Frau von enormem Platzbedarf und damit allein schon eine Provokation für die japanische Raumaufteilung. Ihre Arbeit ist dann auch ein Rundumschlag: Kettenbehangen und laut schnaufend schleppt sie sich schlammig durch den Raum mit dem Ziel, Wasser, Wasser, Wasser. Wäscht sie sich? Suhlt sie ihren Leib genüsslich oder kämpft sie um die nackte Haut? Der Nordirische Background lässt einiges vermuten... Dagegen wirkten alle Japaner Raumbescheiden: Sie arbeiten ganz sparsam mit dem, was der Ort bietet, Ihr Material passt in die (Hosen)Tasche, die Musik wird selbst gesungen und ist aus Kindertagen bekannt. Shohei Nomoto kämpft jedes Mal mit seinem japanischen Lieblingsessen. In Plaste-Schüsselchen angerichtete Bohnen mit einer Sosse, die immer länger werdende Fäden bildet. Einmal bewegte er sich so vehement um die eigne Achse (platzsparend!), dass er am Ende ganz eingesponnen in seine Bohnensosse seltsam grauglänzend den Rückzug antrat. Harumi Terao thematisiert die Fähigkeit, die Bewegung zu koordinieren, dabei entsteht so ein Moment des Verschwindens. Oder besser gesagt: sie geht in den jeweiligen Raum ein. Ihre unscheinbare Art der Agierens ist auf Austausch konzentriert: ich gebe dir etwas, du machst etwas damit, ich nehme das auf, indem ich es nachmache. Koji Oike ertastet die Geräusche und Klänge der Gegenstände und Räume, die gerade da sind. So entsteht eine Möglichkeit der Annäherung im Moment seines Hierseins, die für ihn daselbst ebenso neu ist, wie für die Zuschauer. Yusuke Ikuma hat sich bepisst. Der Körper sollte wohl lernen, durchlässig zu sein, jedenfalls trank er in einer Schüssel stehend und es lief recht viel gleich wieder raus. Am eindrucksvollsten wirkte seine letzte Arbeit: er hing kopfunter an einer Leiter und es lief über seinen nackten Oberkörper in die Schüssel. mich hat das beeindruckt. Es ist ein Drang nach Freiheit sichtbar gemacht worden, der die Grenze deutlich an Körperlimits misst. Asao Sekine setzt mitgebrachte Gegenstände aus seinem Alltag ein, um eher erzählerisch zu agieren, deshalb brauchte er immer grosse Taschen. So kleine Momente von DU SIEHST NICHT WAS DU SIEHST machten seinen stillen Humor mit surrealem Einschlag zu einem Vergnügen. Ich habe mir vorgenommen, über Shimoda san zuletzt zu berichten, deshalb höre ich mit den japanischen erst mal auf und schiebe ein, das all die jungen Leute dieses Festival als ein Volontariat betrieben. Sie haben ihren Urlaub dafür genommen, mit dem Festival zu arbeiten. Sie haben für alles selbst bezahlt und ALLE anfallenden Arbeiten erledigt. Alle. Alle. Alles. Um dann letztlich ihre eigene Performance vorzustellen. Nyo Win Maung aus Myanmar habe ich nicht verstanden. Weder sein Video noch die Aktionen. Ich könnte jetzt aufschreiben, was zu sehen war, habe aber Angst, Ihm völlig Unrecht zu tun, weil er war dabei sehr innig und konzentriert. Kaye O´yek von den Phillipinen hat mir ob ihrer infantilen Spielfreude gut getan. Und wenn sie singt, ob Traditional oder Kinderlied, geht es nahe. Ich habe so ein Bild im Kopf, das mir eine Frau zeigt, die völlig versunken und kichernd fröhlich das uralte Hoppespiel betreibt, wo am Ende alles aufgeht und die Börse wieder in die Tasche wandern darf. He Li aus China, bewegte sich auf zwei Ziegelsteinen rutschend durch den Raum und reichte keinem Gegenüber einen grossen Strauss Blumen. Diese Anordnungerfuhr dramatische Balancemomente und Umschwünge gewollterer Art, wenn er böse Geistermaske aus Pappe aussetzte. Sehr innig und eigen aber machte er das solange es ging. S S Listyowati hatte aus Indonesien für jeden der vier Orte eine andere Arbeit in der Tasche mitgebracht. Ich erzähle ihre Kochshow: sie brät zu flotter Musik einige Pfannen mit Herzen – ich gebe euch mein Herz. Nach dem alle ans Publikum verfüttert waren, versuchte sie es mit rohen – vergeblich und schrieb an die Tafel: wir bevorzugen das Modifizierte, vielleicht hab ich mir das nicht gut übersetzt, aber sie schlang anschliessend unter grossem Stress ein rohes Herz in sich hinein. Über Hamlet Lavatista aus Cuba zu schreiben, überlasse ich seinen Lehrern in Cuba. So jung frech gebildet und eitel geht Cuba nicht unter.
Shimoda auf seinem alten Tisch, kurz vor dem Ende lockerte sich eine Schraube und destabilisierte diese immer wieder atemberaubende Aktion. Was macht er, wenn das einkracht? Er machte an der Stelle weiter, an der er mit seinem Tisch umgefallen war und schaffte es im zweiten Anlauf. Eine noch? Gut, ich hab den Namen dieses jungen Mannes nicht aufgeschrieben, aber in Kawaguchi tritt ein scheuer Künstler in die Fabrikhalle und schreibt seinen Namen auf ein Blatt Papier. Danach radiert er sich wieder aus und krümelte die Rubbeln in eine Schüssel. Rasch klettert er in die Konstruktion der Halle und hängt sich über die Schüssel verkehrt rum auf. Seine Brust ziert die Aufschrift: don´t look at me. Er spuckt in die Schüssel. Ich musste sehr an Theodor Kramers "vergiss mich" denken und hab diese Performance als Kleinod in ihrer überraschenden Anonymität zu denen im Olymp gepackt. Gute Nacht, verzeiht mir meine Vergesslichkeit. Matthias Jackisch |
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