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3. September 2009 |
Robert Mießner für satt.org |
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Selbstermächtigung und Schönheit»In Grenzen frei«: Eine Berliner Ausstellung und ein Buch über unabhängige Mode und Fotografie in der DDRSven Marquardt, Fotograf, Model und Türsteher im Berliner Techno-Club Berghain, erinnert sich in Zonic No. 14 - 17 an eine Ostberliner Jugend in den Achtzigern: »Es gab Zeiten, da wohnte ich bei Robert in der Stargarder, da sind wir aufgestanden, haben uns die Augen schwarz kajalt, die Haare aufgesprayt und im Cafe Flair gegenüber gesessen und morgens Gin Tonic getrunken. Mal zwischendurch ein paar Fotos geschossen und ein bisschen überlegt, ob man ein Alkoholproblem hat. Mal zur Alkohol- und Drogenberatung gegangen, und dann wieder doch nicht, darauf gewartet, dass man hoffentlich nicht eingezogen wird.« Das klingt nach süßem Nichtstun, war aber höchst produktiv. Marquardt gehörte zu einer Szene aus Modemachern, Fotografen, Künstlern im allgemeinen, die in der späten DDR in Eigenregie Klamotten nähten, Modeschauen und Kunsthappenings veranstalteten und aus freien Individuen ungenormte Kollektive wie »chic charmant und dauerhaft (ccd)«, »Stattgespräch« »Allerleihrauh« bildeten. Unter den Akteuren waren auffallend viele Frauen. Was sie taten, kann man sich jetzt gleich zweimal anschauen: Die Berliner Ausstellung »In Grenzen frei« zeigt noch bis Mitte September rund 150 Aufnahmen bedeutender Fotografen wie Tina Bara, Sibylle Bergemann, Ute und Werner Mahler, Sven Marquardt, Roger Melis, Helga Paris, Robert Zayd Paris und Frieda von Wild, originale Modellkleider, Videos, Dia-Projektionen und Publikationen.
Parallel dazu ist ein sehr schönes Fotobuch erschienen: »In Grenzen frei. Mode, Fotografie, Underground. DDR 1979-89« versammelt Texte und Fotografien zum Thema. Mitherausgegeben von den Leuten, die schon »Too Much Future – Punk in der DDR« kuratierten, verlegten und auf die Leinwand brachten, zeigt es eins und noch viel mehr: Wer wollte, war in der DDR nicht dazu verdammt, sich zu verstellen. Wer wirklich wollte, konnte sich in ästhetischer Dissidenz seine Freiheit nehmen. Ein unpolitischer Akt, der vor dem konkreten Hintergrund schon wieder politisch war. Die Bilder rufen zurück: Lahmgelegte Viertel, darin Morbidität, Glanz und Glamour. Pelzbesatz und Leder, umfunktionierte Jacketts und Unruhe statt Langeweile. Was die Models auf den Fotos tragen, wie sie sich geben, ihre Gesichter, das ist selbstbewusst und faszinierend. Und meilenweit von dem entfernt, was man auf den zwei staatlichen Fernsehkanälen zu sehen bekam: Ein Modefoto Sibylle Bergemanns für die Zeitschrift »Sibylle« (die Texte im Buch erklären die Querverbindungen zur Szene) zeigt Marisa Jacobi und Liane Sommerlatte 1981 in Sellin an der Ostsee. Zur Veröffentlichung wurden die Mundwinkel retouchiert. Das sagt eine ganze Menge über das öffentliche Selbstbild und die nichtöffentliche Wahrnehmung jener Zeit. Dann sind Geschichten in dem Buch, die schon wieder unglaublich sind. Zum Beispiel die, was das mit Ton Steine Scherben und dem Georg-von Rauchhaus in Westberlin zu tun hatte. Soviel sei verraten: Die Verbindung war mehr als eine ideelle.
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