Benjamin
von Stuckrad-Barre
Blackbox
Man kann ihn für arrogant halten und ihm vorwerfen, sich
nur mit Oberflächlichkeiten zu befassen und Unwichtiges in
den Vordergrund zu stellen, oder man findet ihn schlichtweg grandios
und das System durchschauend. Eine Reihe von Mitgliedern letzterer
Gruppe jedenfalls sorgte am 31.8. dafür, daß das Columbia
Fritz in Berlin absolut ausverkauft war und ich mir nicht mal
mehr eine Presse- Akkreditierung für die Gästeliste
erschleichen konnte. So beliebt ist also der Popautor inzwischen.
Ich muß zugeben, daß ich so meine Zweifel mit „Blackbox"
hatte. Ein vorab im Spiegel veröffentlichter Auszug zeigte
einen Teil des 2. Kapitels, dessen Erzählperspektive sich
der dritten Person bediente. Die Rede war also nicht mehr vom
Ich-Erzähler sondern vom Jungen Mann und irgendwie war der
Auszug dann noch relativ lieblos zusammengekürzt, daß
es mir beinahe die Tränen in die Augen trieb. Darauf sollte
ich nun so lange gewartet haben?
Nun ja, ich war mir nichtsdestotrotz sicher, daß auch der
vierte Roman Stuckrad-Barres mein Eigen würde und gab bereits
Anfang August meine Bestellung beim Buchhändler meines Vertrauens
auf. Das sollte sich dann an einem besonders verregneten Sonnabend
etwa zwei Wochen später auch auszahlen, denn allein der Kommentar
meines Literatur Dealers über das so liebevoll gestaltete
Cover ließ das Werk seine 19,90 Mark wert sein. So blätterte
ich also freudig erregt durch den neuen BSB-Band und konnte mich
sogleich an dem dargebotenen Daumenkino erfreuen, das durch einen
Pariser Flugzeugabsturz eine erstaunliche Aktualität an den
Tag legte.
Lange Rede, kurzer Sinn: es gibt einige nur schwer zugängliche
Passagen über Drogenkonsum, ein Dramolett, das sowohl Lindenstraßen
als auch „Schtonk"-Kenntnisse erfordert, aber meine
beiden Favoriten sind eindeutig weiter gegen Ende zu finden. Ein
"Standarddokument“ enthüllt Sinn und Unsinn von
Talkshows anhand einer „wahren Hintergrundgeschichte".
Zudem beschäftigt sich Stucki (das hört er wohl nicht
gerne) gegen Ende mit einem Neustart, der allerdings faßt
gar keine Parallelen zu den Umzugsgeschichten in „Soloalbum"
zuläßt, soll heißen nix Altbewährtes, sondern
neue, aufgelistete Ungereimtheiten.
Wäre ich noch sechzehn, dürfte ich sagen, der Anzugträger
Stuckrad sei mein derzeitiger Held. Da er aber drei Wochen jünger
als ich ist, hier also meine bloße objektive Kaufempfehlung:
Der Autor ist - ohne, daß er das gemußt hätte
- reifer in seinen Geschichten geworden und macht immer noch Spaß.
Von wegen Bildungselite, Hah! Da macht wieder jemand Lust aufs
Lesen, ohne allzusehr versnobt zu wirken (da müßt ihr
erst mal Christian Kracht lesen!). Das ist vielleicht auch der
Grund für seine Beliebtheit und ausverkaufte Häuser
diesseits und jenseits der Spree, denn die Leser lernen auch gleichzeitig
wieder das Zuhören!