Leander Scholz: Rosenfest Carl Hanser Verlag, 2001
246 Seiten, gebunden EUR 17,90
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Jetzt ist es heraus: Andreas Baader und Gudrun Ensslin, das Top- und Pop-Paar des deutschen Terrorismus, hießen eigentlich Hänsel und Gretel. Der bewaffnete Kampf geschah nur aus Zufall nebenher wegen der bösen Repressivität des Staates und am Anfang stand eine wunderschöne Liebesgeschichte. So jedenfalls lautet stark vereinfacht die Version, die Leander Scholz in seinem Roman “Rosenfest zum Besten gibt.
Soviel Spott über die - je nach politischer Perspektive - heiligen oder teuflischen Ahngestalten der RAF musste auf ein geharnischtes Echo treffen, und das blieb nicht aus. Natürlich tarnte es sich als Literaturkritik, wo politischer Widerspruch gemeint war. So beanstandet Sigrid Löffler “die albernen Erfindungen, “die verkrampften Beschreibungen und “kitsch-triefenden Dialoge . Leander Scholz´ grammatisches und imaginatives Vermögen beurteilt sie als “wahrhaft gräßlich. Iris Radisch ist nicht amüsiert vom ZITAT “juvenilen Revolutionskitsch und der “zahmen Ästhetik der Schreckschußpistole. Und die FAZ vermisst die “RAF selbst bei dieser RAF-Geschichte. Wie erklärt Scholz selbst die große Zahl vernichtender Verrisse?
Leander Scholz: Naja, interessant war für mich an den Rezensionen, dass sich natürlich ein Großteil der Besprechungen auch mit der politischen Position des Rezensenten selbst beschäftigt und ich nehm an, was teilweise Anlass zu teilweise wirklich heftigen Rezensionen war, dass das Buch natürlich eine gewisse Respektlosigkeit vor der Geschichte darstellt, und das ist vielleicht, [wie soll man sagen, auch ein Teil der Geschichte] der Geschichte, denen nimmt, die meinen, dass sie ihnen gehört, und das ist ja immer eine Frage der Definitionsmacht hat über Geschichte.
Über die RAF, ihre Protagonisten und ihre Geschichte ist ungeheuer viel geschrieben worden: wissenschaftlich, journalistisch oder auch propagandistisch. Ein Wust an Material also, durch den ein Romanautor sich arbeiten muss, zumal im “Rosenfest weniger vom allgemein Bekannten die Rede ist, sondern vom Privaten, von dem, was wohl nur wenige Menschen tatsächlich mit Baader/Ensslin teilten - wie kam Scholz zu seinen Informationen?
Leander Scholz: Also das Buch ist ja in dem Sinne kein historischer Roman und auch kein Doku-Drama, sondern man muss sich das vorstellen, dass ich im Grunde Bilder gesammelt habe und sie wie in einer Collage zerschnitten habe und sie nach dem Muster, also dem Motiv, dem Liebesmotiv zusammen gesetzt habe. Und was mich interessiert hat, war ja nicht, jetzt noch einmal die Geschichte wie ein literarisches Doku-Drama zu bearbeiten, sondern die Ikonisierung selber zu bearbeiten, den Mythos auch als Mythos ernst zu nehmen und ihn als Mythos zu bearbeiten, also neu zu re-arrangieren unter dem Aspekt der Liebesgeschichte.
Baader und Ensslin, die gesamte RAF, also nicht mehr als eine verklausulierte Liebesgeschichte?
Leander Scholz: Naja, ich würde natürlich sagen, insofern als ich gesagt habe, dass es eine Bearbeitung des Mythos ist, hat mich schon fasziniert, was den Mythos steuert, und den steuert nicht nur eine politische Dimension, von Anfang an nicht. Sondern das steuert natürlich auch eine bestimmte Identifikation mit einem gewissen radikalen Gestus, der schon auch kulminiert in dem heroischen oder auch symbiotischen Paar und auch in dem, was in dem Mythos, narrativ jedenfalls, immer auch als Road Movie angelegt war, und das hab ich versucht rauszuarbeiten. Natürlich ist das ein subjektiver Zugang, das ist ganz klar.
Es geht also eher um eine Art Liebes-Konstrukt, wie es in einem speziellen Geschichtsraum medien-mythisch aufgeladen wird. Wie aber kann das private Erzählklima, die verletzlichen, ja hyper-subjektiven Romanfiguren in Zusammenhang mit dem Medien-Ereignis RAF gesehen werden, wie schafft es ein unvoreingenommener Leser, abzusehen, von dem, was er historisch weiß?
Leander Scholz: Naja, ein historisches Ereignis ist natürlich auch immer die Geschichte seiner Repräsentation, was mich jetzt eher fasziniert hat, war ja den Figuren, die ja ästhetisch immer eher im Raum des Erhabenen sind, die ja die kalten, konsequenten Terroristen sind, letztlich auch etwas Unmenschliches oder Übermenschliches haben, auch eine ästhetische Bearbeitung gegen zu setzen, die sie natürlich aus dem Raum des Erhabenen heraus nimmt und auch parodistische Elemente zulässt. Und das ist natürlich auch …. ein menschlicher oder emotionaler Zugang, der die Figuren natürlich auch brüchiger macht.
Brüchig sind die Akteure allemal, sie befleißigen sich einer mustergültigen Sprache der Befindlichkeit, wie man sie aus den 70er Jahre kennt und fürchtet. Ein kurzes Nachwort zeichnet sie denn auch aus als literarische Figuren, die - wie zufällig - die Namen Andreas Baader und Gudrun Ensslin tragen. Dennoch: gerade weil es sich um Literatur handelt und nicht um eine Doktorarbeit, erscheint es schwer möglich, die eigenen Assoziationen auszuschalten und hier eine reine Meta-Liebesgeschichte mit zu verfolgen.
Leander Scholz: Das ist natürlich das Experiment des Romans, er wildert im kollektiven Gedächtnis. Und das Experiment besteht darin, ob man im Laufe des Lesens einer solchen Geschichte die Bilder, die man immer schon im Kopf hat, verliert, ob man beispielsweise den Figuren diese Gefühle zutraut.
Die gegenseitige Beeinflussung zwischen der fiktionalen Lesart des Romans und der historischen, die der Leser automatisch selbst beisteuert, verwebt beides fest miteinander. Letztlich wird keine der beiden Perspektiven allzu sehr dadurch erhellt, die Liebesvariante befördert nicht wirklich ein neues Verständnis der RAF-Geschichte. Und die Anbindung des Liebesmotivs an jenes des bewaffneten Kampfes, veranschaulicht nicht unbedingt die Funktionsweise des Mythos “Liebe in Zeiten ihrer medialen Verwertung. Wo ist also der Erkenntnisgewinn?
Leander Scholz: Ich glaube, der Roman versucht ja nicht, historisch etwas zu erklären, sondern es ist ja ne ästhetische Auseinandersetzung mit dem, was ich als Mythos beschrieben hatte. Er versucht ja nicht eine Erklärung historischer oder psychologischer Natur zu geben, sondern er versucht es ja genau mit den Figuren, die ja nach ihrem Tod medial fast einbalsamiert weiter gelebt haben, und diese ästhetische Auseinandersetzung behält sich ja oder nimmt sich die Freiheit raus, weder moralisch zu urteilen noch politisch Stellung zu nehmen.
Gäbe es also die Notwendigkeit zu einer Neubewertung von Baader und Ensslin, ist dieses Buch vielleicht gar erster Ausdruck dessen, erster Versuch einer revidierten Geschichtssicht?
Leander Scholz: Die Frage, die das Buch eigentlich viel stärker aufwirft ist, wie sehr in unserem Geschichtsdenken Geschichte personalisiert ist, gerade in dieser Spannung der Figuren zwischen Helden und Verbrechern, wie stark man das Bedürfnis hat zu jeder Tat den Täter auch zu haben und als Projektionsfläche auch zu nutzen und ihn deshalb zu verurteilen oder heimliche Anhängerschaft auszubilden anhand dieser Bilder.
Neu an diesem Zugang ist sicher die individualisierende Charakterzeichnung der Akteure. Auch für Scholz selbst müssen sie nicht so gewesen sein, aber sie hätten so oder ähnlich sein können - in ihrem Gefühl der Selbstentfremdung, in ihrer Identitätsproblematik. Ist dies ein bewusster Versuch, der verklemmten Gemütslage der 60er, Anfang-70er Jahre nachzuspüren, auszuloten, wie die Psyche der Leute damals funktioniert hat?
Leander Scholz: Ja, ich hab ja die Figuren so versucht zu zeichnen, wie man sich historisch mit ihnen identifizieren konnte, also sonst wären sie ja keine Projektionsflächen, das sie natürlich auch Anlass boten, sich nicht in ihrem politischen Programm zu identifizieren, sondern mit der psychologischen Disposition. Und das ist ja sicherlich das, was ja auch ihre Popularität ausgemacht hat.
Wie immer man also zu Leander Scholz´ Romandebüt stehen mag. Auf jeden Fall hat er den Mut bewiesen, dieses Thema als erster auf eine Weise zu ästhetisieren, die für viele noch immer ein ganz heißes Eisen ist. Dass hier weitere historische Deutungsarbeit zu verrichten ist, das allemal haben die Reaktionen auf das “Rosenfest bewiesen.
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