Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



Oktober 2001
Tobias Lehmkuhl
für satt.org

Jan Koneffke:
Was rauchte ich Schwaden zum Mond.

Dumont Buchverlag 2001
90 Seiten, geb.
DM 34,00
EUR 17,38

Jan Koneffke: Was rauchte ich Schwaden zum Mond.

Bestellung bei
amazon.de

Der ist richtig.

Jan Koneffkes neuer Gedichtband.



Jan Koneffke, Jahrgang 1960, ist als Erzähler längst kein Unbekannter mehr. Und auch als Dichter hat er schon so manche Veröffentlichung, so manchen Preis vorzuweisen. Nun aber hat er, als achten Band der Reihe DuMont Lyrik, seine erste Sammlung von Gedichten in einem Großverlag vorgelegt. Gestaltung, Druck und Bindung dieser Reihe wurden bereits häufig gepriesen und sind sicherlich mit ein Grund dafür, warum sich die Crème deutschsprachiger Lyrik (plus Michael Hoffmann, England) hier einreiht oder gerne einreihen würde. Keine Frage, Jan Koneffke ist mit "Was rauchte ich Schwaden zum Mond" in genau der richtigen Gesellschaft gelandet.

"Was rauchte ich Schwaden zum Mond" besteht aus drei Teilen, bzw. drei Gruppen von Gedichten, die jeweils um ein bestimmtes Zentrum kreisen. Im Zentrum des ersten Teils steht die Erfahrung des Traums. Bereits die Titel der Gedichte zeigen es an, sie heißen "Traumspitzel" oder "Fantasie", "Fiebertraum" oder "Nachtstück". Doch es sind keine einfachen Traumnotate, die sich hinter diesen Titeln verbergen, sondern surreale Traumgebilde, auf eine Weise überformt und stilisiert, die sie höchst lebendig erscheinen lässt. Bedrohlich lebendig zuweilen: "Niemals mehr schlafe ich ein unterm gelben Magneten/ der zieht Kanaldeckel an Polizisten/ sind ihm verfallen ich sah/ an jedem Laternenpfahl einen/ mit Handschellen festgemacht/ damit sie nicht rückfällig werden/ Autos klauen Bomben legen/ [ …]". Durch alle Traumgedichte aber zieht sich ein hoffnungsvolles, manchmal gequältes Lächeln, eine absurde Komik, so etwa im "Krankenhaustraum": "Ein Notarztwagen humpelte in mein Zimmer/ nimm mich huckepack! ich muß ins Krankenhaus!/ er war kreideweiß ich umklammerte seine/ Vorderreifen hinten schleifte er nach/ Himmel! was wimmerte er wenn wir ein Schlagloch erreichten/ [ …]".

Zwar ist auch der zweite Teil noch geprägt von einer surrealen Bildwelt, die Bilder sind hier aber einer realen Welt gegenübergestellt. Sie bilden nicht mehr, wie im ersten Teil, eine eigenständige Traumwelt, sondern dienen dazu, den Erfahrungen des eigenen Lebens eine eigenständige Form zu geben, sie näher zu rücken und greifbarer zu machen. So etwa im Gedicht "Studentenwinter": "Mit einer Axt tritt er ein/ spaltet mein Hirn/ und zerhackt meine Heizung// wird repariert heult Herr Hauswart/ eine Handvoll verfrorener Haut/ der Vierkant und Schrauben aushustet// [ …]". Der dritte Teil schließlich besteht aus einem 15teiligen Gedicht mit dem Titel "Weltmitte". Ob "Weltmitte" tatsächlich einer dieser grotesken deutschen Ortsnamen ist oder ob es sich bei dem Titel um einen ironischen Kommentar zur beschriebenen Örtlichkeit handelt ist ungewiss und spielt auch keine Rolle. Das Gedicht handelt auf jeden Fall vom Leben in der Provinz, in einem "Neunhundertseelennest das/ sich Weltmitte nennt". Die komisch-alltäglichen (bzw. allnächtlichen) Ereignisse, wie sie in den ersten beiden Teilen auf anarchische Weise abgebildet werden, sind hier einer melancholischen und zuweilen schrecklichen Erfahrung der Provinz und deren unumwundener Darstellung gewichen. "Im Leibe vertrocknet ist mir/ meine Seele zu einer Rosine" und "wer tot ist/ hieß es ja/ der bleibt verschont".

Obwohl "Was rauchte ich Schwaden zum Mond" nur 87 Seiten kurz ist, müsste man eigentlich jedes einzelne Gedicht zitieren um auch nur einen annähernd umfassenden Eindruck dieses Bandes zu vermitteln. Die Aufteilung des Bandes in drei Bereiche mit jeweils unterschiedlichem Schwerpunkt markiert zwar gewisse Unterschiede, vor allem aber in sprachlicher Hinsicht sind die Gedichte eng miteinander verwoben. Jan Koneffke hat ein ganz eigenes Idiom gefunden, eine Stimme, die immer wiederzuerkennen ist, ob sie nun von Tippsen und tippex oder von verbrannten Bauernkindern spricht. Dabei ist diese Stimme nie monoton, denn Koneffke vermag es, jedem Umstand eine eigene Phrasierung zu verleihen. Da man aus den Gedichten, wie gesagt, nicht genug zitieren kann, hier zum Abschluss noch Koneffkes Abschied von seinem Hauptmotiv, dem in der Lyrik lange Zeit für tot geglaubten Mond, dem er noch mal neues Leben einhaucht: "aufmerksam brachten mich Polizisten/ heim wo ich mir/ begegnete der/ Schwaden zum Mond rauchte bis er/ elendig gelb war". Nicht zufällig stellt sich dieser Abschied vom Mond auch als ein Abschied vom Ich dar. Denn ohne die uneingeschränkte Bereitschaft sich die Welt vollständig poetisch anzuverwandeln ist für Koneffke lyrisches Sprechen nicht denkbar. Wer den Mond nicht mag oder ihn für veraltet hält, der ist hier falsch. Wer ihn neu entdecken möchte, der ist richtig.