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Oktober 2001
Marc Degens
für satt.org

Johannes Ullmaier:
Von Acid nach Adlon und zurück. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur.

Ventil Verlag
Mainz 2001

Johannes Ullmaier: Von Acid nach Adlon und zurück.

216 Seiten, Tb.
mit zahlreichen Abbildungen und CD-Beilage.

DM 39,92
EUR 20,41

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Alles Pop?



Was haben Peter Handkes experimentelles Sprechstück "Kaspar" und Alexa Hennig von Langes Jugendbuch "Relax", was Peter Paul Zahls Politlyrik und Moritz von Uslars Stilglossen, was Detlef Opitzs barocker Luther-Roman "Klio, ein Wirbel um L." und Helge Schneiders unverschämte Hörspiele gemeinsam? All diese Texte werden in Johannes Ullmaiers Kompendium "Von Acid nach Adlon und zurück" als Vor-, Aus- und Endläufer der deutschsprachigen Popliteratur gedeutet.

Sicherlich, das Etikett "Popliteratur" ist bloß ein Schlagwort - und wird derzeit nach Belieben als Kampfbegriff, Schmähung, ästhetisches Programm oder Verkaufsargument verwendet, allein der Autor macht es sich doch zu einfach - und dem Leser zu schwer -, wenn er eingangs schlicht behauptet, daß die deutschsprachige Popliteratur der Tendenz nach immer das ist, was Martin Walser nicht ist. Insofern genügt das Werk literaturwissenschaftlichen Ansprüchen nicht, Punktausbasta!

Und trotzdem lohnt sich die Anschaffung des Buches, und sei es vorrangig auch nur als permanente Lektüreanregung, nicht zuletzt wegen der beigefügten CD mit zahlreichen O-Ton-Hörbeispielen (etwa Wolfgang Müllers grandiosem Ohrwurm "Es lebt der Elf") und der umfassenden Bibliographie am Schluß.

Zum Inhalt: In vier Kapiteln begibt sich Ullmaier auf Spurensuche und klopft im Galopp fast vierzig Jahre deutschsprachiger Literaturgeschichte nach popliterarischen Aspekten ab. Fündig wird er zunächst in den sechziger und frühen siebziger Jahren, bei den, der Beatliteratur nahestehenden Autoren wie Rolf Dieter Brinkmann oder Hubert Fichte, aber auch bei eher avantgardistischen Schriftstellern wie H.C. Artmann, Elfriede Jelinek und nicht zuletzt Peter Handke. Ihnen allen gemeinsam ist, daß ihre Texte formal und/oder sprachlich auf einen popkulturellen Hintergrund aufbauen, etwa auf Filmen (Handke), Groschenromanen (Artmann) oder Comics (Brinkmann), frei nach Leslie A. Fiedlers Forderung: Cross the Border - Closs the Gap. Verfolgt man diese Linie weiter, gelangt man unweigerlich zu Gegenwartsautoren wie Rainald Goetz oder Thomas Meinecke, die gemeinhin als Popliteraten gelten, weil sie ihr sprachliches Material aus/auf popkulturelle Sphären beziehen, und insofern ist die Fährte durchaus richtig.

Doch Schriftstellern und gleichfalls sogenannten Popliteraten wie Benjamin Lebert, Christian Kracht, Benjamin von Stuckrad-Barre und all die Fräuleinwunder von Zöe Jenny bis hin zu Judith Hermann wird man derart nicht gerecht, das weiß und betont auch Johannes Ullmaier. Denn waren im ersten Fall technische, sprachliche und formale Gestaltungselemente der Texte das Auswahlkriterium, so spielt die Literatur im zweiten Fall bloß eine untergeordnete, und wenn, dann überhaupt nur inhaltlich eine Rolle. Im Vordergrund stehen hier nicht Texte, sondern Autoren. Junge Leute, die als Repräsentanten einer bestimmten Generation (Golf, Berlin, Yps, Aktenzeichen XY … ungelöst) wahrgenommen werden, und von einem großen, ebenfalls jungen Publikum gelesen und mitunter wie Popstars verehrt werden. Allein die Jugendlichkeit der Autoren und ein immenser Publikumszuspruch entscheiden also darüber, wer zu der Gruppe der Pop(star)literaten gehört und wer nicht.

So weit, so gut und nachvollziehbar, doch Johannes Ullmaier geht noch einen Schritt weiter und schlägt auch die Gruppe der Schreibenden, die sich einst oder immer noch hauptberuflich oder nebenher in Popmusikgefilden tummeln, der Popliteratenfraktion zu, und so finden sich plötzlich Max Goldt, Thomas Kapielski, Françoise Cactus, Frieder Butzmann, Blixa Bargeld, Wolfgang Müller und Helge Schneider nebeneinander wieder. Darüber mag man im Einzelfall noch trefflich streiten können, doch wenn im letzten Kapitel schließlich auch das gesamte Prenzlauer-Berg-Literatentum und die alternative Social-Beat-Szene - irgendwie - der Popliteratur zugeschlagen werden, ist der Bogen endgültig überspannt.

Das ist bedauerlich, denn Johannes Ullmaier erweist sich durchaus als profunder Kenner der Materie, und seine Abhandlung ist eine durchaus kurzweilige und interessante Lektüre, doch an vielen Stellen sind seine Einschätzungen zu abwägend, seine Beurteilungen zu vorsichtig, vermißt der Leser einfach eine klare und entschiedenere Vorgehensweise, den Mut zur Unterscheidung, die Kraft einer These. Insofern beschäftigt sich "Von Acid nach Adlon und zurück" bloß beiläufig mit dem Phänomen der deutschsprachigen Popliteratur, sondern ist primär nur eine eigenwillige, informative, zum Teil willkürliche Literaturgeschichte der deutschen Literatur der letzten vierzig Jahre. Schade, aber immerhin.