Thomas Kapielski: Sozialmanierismus. Je Dickens destojewskij.
Merve Verlag Berlin 2001
Tb, 434 Seiten DM 38,94 EUR 19,95
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Political Suspectness.
Lange galt Thomas Kapielski als völlig unterschätzter Autor. Seine Bücher, die in kleinen und sympathischen Verlagen wie "Karin Kramer" erschienen, wurden noch bis vor wenigen Jahren unter guten Freunden von Hand zu Hand gereicht. Sie waren witzige und geistreiche Zeugnisse davon, daß Alkoholismus sehr wohl die Sinne schärfen kann. Mehr noch: Sie waren eine Art stilistisch brilliante Wiederkehr des frühen Arno Schmidt in zeitgenössischem Gewand. Vor etwa zwei Jahren schließlich schmückte das Konterfei von Thomas Kapielski die Tragetaschen von "Zweitausendeins" und brachte an den Tag, daß dieser Mann zu allem auch noch wie der mittelfrühe Arno Schmidt aussieht.
Die Betonungen "früh" und "mittelfrüh" sind als lobender Vergleich nicht ohne Bedacht gewählt. Wer sich einmal die Mühe gemacht hat, in den späten Arno Schmidt - vor allem in "Zettels Traum" - reinzulesen, wird als halbwegs anständiger Mensch ob der sabbernd-pädophilen Witzeleien nur noch Mitleid und Scham für den einsamen Eremiten empfunden haben. Keine zwei Jahre ist es her, daß Kapielski zum Schlager bei "Zweitausendeins" wurde, schon liest auch er sich wie der späte Arno Schmidt, nämlich wie einer, dessen Gedanken bei aller stilistischen Finesse ebenfalls über weite Strecken Mitleid und Scham erzeugen. Über die "große Laberlawine" beschwert er sich in seinem neuesten Buch "Sozialmanierismus", über "Abfall von allen, für alle", doch sein Tagebuch- Neuling ist mit über 400 Seiten selbst zu einem Brocken geworden, der dieses beachtliche Format einer geschmiert rollenden Laberlawine verdankt. Das wäre nicht weiter schlimm, wären die Seiten nur mit klugen, bierseligen Weisheiten wie jenen gefüllt: "Die Tatsache, daß man da ist, beweist, strikt darwinistisch gedacht, daß man von rücksichtslosen, durchsetzungsfähigen (fitten) Arschlöchern abstammt." Oder - auch gut: "Jemanden, der Arbeit hat, kennt man kaum noch. Unter den wenigen, die einen haben, ist aber auch nicht einer, der etwas Reales täte: Tische bauen, Brötchen backen, Fernsehröhren blasen." Schreckliche Entfremdung der Intellektuellen.
Solch flotte, im frischen Rausch notierte Geistesblitze werden allerdings von langen Passagen der Ernüchterung überschattet, etwa, permanent vom Vater-Sein erzählen zu müssen, vom eigenen Sohn - "Schnulzenputzi" genannt - und davon, wie der sich entwickelt. Stolze Eltern, zeigt sich da, sind die schlimmsten unter allen Pädophilen. Selbst noch das zarte Seelenleben der Kleinen wird da aller Welt bis ins kleinste Detail vorgeführt. Reinhard-Mey-Syndrom im Spätstadium. Das aber wäre noch zu entschuldigen, würde Kapielski nicht fast jede dritte Seite dafür nutzen, Witz aus der billigsten Sache der Welt zu ziehen, nämlich dem Hohn über "political correctness" und damit über solche, auf deren Rücken sowieso schon genug ausgetragen wird. Über mehrere Seiten werden da türkische Jugendliche - "in Überzahl auftrumpfende Türkenwurf" - als kriminelle Kulturbedrohung dämonisiert, die es auf den armen kleinen "Schnulzenputzi" abgesehen hat. Pünktlich zur Hysterie, hinter jedem türklischen Gemüseladen gleich einen Bin Laden zu vermuten, liefert "Sozialmanierismus" so viel undifferenziert antisilamischen Stoff wie ein zentnerschwerer Sack voller Leserbriefe an die BILD-Zeitung. Da hilft auch kein humanistisch gemeinter Vorwurf, daß Homosexualität in den Augen türkischer Jugendlicher "als Abschaum" gilt, denn über genau jene hat sich Kapielski in seiner "Laberlawine" wenige Seiten zuvor auch schon mißbilligend geäußert. Seinem "Schnulzenputzi" gegenüber witzelnd, daß "Schwuchteln" eben nun mal ebenso wie "Bauspekulanten" und "Massenmöder" zu unserem "Volkskörper" gehören, fasst er das "abendländische Anliegen" als zutiefst dekadent zusammen: "Schutz und Ehrenbezeigung an das Häßliche, Verworfene, das Verbrechen, den Wahnsinn, das Kranke und Verdorbene aller Abstufungen."
Mit Wortwitzen wie "rationalsozialistische Losungen" kämpft Kapielski einsam wie Don Quixote fast nur noch gegen Schimären, nämlich gegen eine längst geschwächte und fast gar nicht mehr vorhandene Linke, von der so getan wird, als wäre sie Meinungsführer dieser Republik. Sätze wie "Deutschland? Nie wieder! Nation: böse" verhöhnen linke Slogans als Hundegekläff und machen sich damit einer inhaltlichen Verkürzung schuldig, die Kapielskis Bücher den rechten Spießern geradezu auf den Nachttisch treibt. Linke Stereotypen zu entlarven könnte durchaus witzig und erhellend sein - nicht aber Kapielskis revisionistische Methode, linke Inhalte wie Antinationalismus in einen mentalen Zusammenhang mit den Nazis zu stellen, was in der beknackten Klagenfurt-Passage gipfelt, in der er stolz von seiner 'ganz normalen' Begegnung mit Jörg Haider erzählt. Haß wird auf diesen Seiten nicht dem österreichischen Rotzpopel-Im-Anzug entgegengebracht, sondern nur den "Softies", die gegen diesen frei gewählten Mann - "kein Diktator noch Tyrann" - etwas einzuwenden haben. "Arschlöcher! Obstesser!", tippt Kapielski ihnen gegenüber aufs Papier.
Für die "Tristesse Royal"-Jungspunde, die ihre ganze Überheblichkeit daraus ziehen, Style über jeglichen Inhalt und alle ernsthafte Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen zu stellen, hat der 1951 geborene Kapielski verständlicherweise nicht viel übrig. Umso erschreckender, daß "Sozialmanierismus" inhaltlich ähnlich wie Stuckrad-Barre- und Kracht-Prosa funktioniert: In seinen Argumenten so blass wie die Gesichtsfarbe von Blixa Bargeld - dem bei IKEA zu begegnen Kapielski voller Scham in "Sozialmanierismus" beschreibt -, zieht Kapielski seine Mißbilligung von Linken, Türken und Schwuchteln aus dubiosen Style-Kriterien, genauer: piefig bürgerlichen Verhaltensregeln. Wer so schreibt, hat zwar die Lacher auf seiner Seite, darf sich aber auch nicht wundern, wenn die Lacher plötzlich aus ganz unvermuteten Kehlen kommen. Steckengeblieben in einer Zeit, in der es die Boheme für witzig empfand, mit hingekritzelten Hakenkreuzen die "Meinungsdiktatur" von betroffenen Ökos zu erschüttern, kommt Kapielski inzwischen gerade mal zwanzig Jahre zu spät und trifft damit - wenn auch vielleicht unfreiwillg - den Ton der Neuen Mitte in all seinen Schwingungen. Auf daß Otto Schily ganz Berlin mit Kameras übersät und dafür sorgt, daß der kleine "Schnulzenputzi" sicher zur Schule gelangt, ohne von Islamisten sein Pausenbrot geklaut zu bekommen.
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