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Dezember 2001
Mascha Kurtz
für satt.org

Tanja Dückers:
Café Brazil.
Erzählungen

Aufbau Verlag, Berlin 2001

203 Seiten
EUR 15,29

Tanja Dückers: Café Brazil

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Café Brazil



Tanja Dückers könnte Drehbücher für Splattermovies schreiben. Gegen Splattermovies ist nichts einzuwenden. So lange "Die Nacht der lebenden Toten" nicht so tut, als wäre er ein Autorenfilm. Beim Lesen von Dückers Erzählband "Café Brazil" kriegt man ab und zu das Gefühl, im falschen Film gelandet zu sein. Denn von außen sieht das Buch so harmlos aus: Zurückhaltender Einband in Brauntönen, halbleere Kaffeetasse auf einem Tisch. Aber innendrin in dem Buch, da passieren schlimme Sachen: Leute wollen vom Mörder ihrer Schwester umgebracht werden, halten sich auf Sonntagsausflügen Pistolen an den Kopf, zünden ihrer Freundin das Dach über dem Kopf an oder lassen sich auf dem Klo vom Exfreund pimpern.

Dückers schreibt schnell, auf den Punkt hin, handlungsorientiert. Daran merkt man, dass die Autorin aus der PoetrySlam-Szene kommt: Das Publikum langweilt sich schnell, wenn's mal nicht kracht. Also lässt Dückers es krachen. Und krachen. Und krachen. Man möchte sich die Ohren zuhalten, so laut sind ihre Stories über Bekloppte, Nymphomaninnen, Eso-Tanten, schnellen Sex. In Berlin. Berlin-Mitte. Mittendrin in der Hausbesetzer-Szene, der Bar-Szene, der Wohngemeinschafts-Szene, DER Szene. Darin geht es, wenn gerade mal niemand abgeschlachtet wird, reichlich banal zu. Etwa stellt sich die drängende Frage, wer die Nummer hundert auf der Liste der beschlafenen Männer werden soll oder wie sich der glutäugige brasilianische Barkeeper rumkriegen lässt.

"Als ich sah, wie er eingerollte Heringe aß, wusste ich, dass ich nicht mit ihm schlafen würde", sagt die Erzählerin in einer Story. Okay. Aber warum soll die Leserin sich dafür interessieren, ob eine langweilige Frau mit einem langweiligen Typen im Bett landet oder nicht? Tanja Dückers gelingt es nicht, unter die Oberfläche der Ereignisse zu schlüpfen, und darum bleibt Alltag in ihren Geschichten einfach Alltag. In ihrer Welt gibt es kein Geheimnis. "Er sieht mir wieder in die Augen während wir den ersten Schluck nehmen". Mit solchen Nullsätzen weicht sie der Wahrhaftigkeit aus, die Sprache plustert Belanglosigkeiten auf. Nur wer solchen Füllstoff für bedeutsam hält, kann übersehen, dass dieses Paket vor allem Schaumstoff-Flocken enthält.

Ausnahmen gibt es aber auch. Wer sich nicht abschrecken läßt, entdeckt ein paar Geschichten, in denen wird nicht gemetzelt oder gezündelt. Da wuchert das Unheimliche in der Normalität. Ein Mann schleicht sich in die Wohnung seiner Exfreundin und hinterläßt kaum wahrnehmbare Spuren seiner Besuche: "Seit Kirsten weg ist, lege ich unauffällig kleine Dinge von mir in ihre Wohnung ( …). Ich lege einen Teebeutel Matetee von mir in ihre halbvolle Schachtel Matetee". Das ist gruselig. Und echt. Ebenso "Der Flamencospieler". Die Geschichte erzählt vom Au-Pair-Dasein in einer amerikanischen Kleinstadt. Der Gastvater bittet das Au-Pair ins Ehebett als wäre nichts dabei: "Sweetie, warm up". Das Mädchen will ihn nicht brüskieren und legt sich zu ihm. Der Gastvater zappt durch die TV-Kanäle, spielt Gitarre und verwirrt das Mädchen durch seine Ankündigung, später werde er ihr etwas wirklich Schönes zeigen. Die tablettenabhängige Gattin kommt dazu, aber diesmal wird niemand abgeschlachtet, sondern nur das Mädchen aus dem Haus geworfen. Kein Schockeffekt, aber viel spannender als Neunjährige, die ihre Klassenkameraden abstechen wie Schweine (in "Der Nacken").

Eine Großmuttergeschichte gibt es natürlich auch, aber was für eine: Die Enkelin liegt halb komatös mit Nierenentzündung im Bett und versucht, der dementen Oma klarzumachen, dass sie Medikamente besorgen muss. Oma begegnet der Verwirrung stets mit der Frage: "Wie wär's mit ein paar Olivchen?". Die darauffolgende Erzählung begibt sich in die Perspektive der senilen Großmutter selbst. Schade, dass es nicht mehr solcher Geschichten in diesem Buch gibt. Tanja Dückers kann viel mehr schreiben als nur Splatter-Stories, wenn sie auf die leisen Töne vertraut.