Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



Januar 2002
Axel Klingenberg
für satt.org

Oliver Maria Schmitt:
Die schärfsten Kritiker der Elche.
Die Neue Frankfurter Schule in Wort und Strich und Bild

Alexander Fest Verlag, Berlin 2001

288 Seiten
EUR 14,90

Oliver Maria Schmitt: Die schärfsten Kritiker der Elche.

» amazon

Hurra, hurra,
die Schule brennt



“Die Experten” schreibt Oliver Maria Schmitt im Vorwort “werden noch schnell genug herausfinden, welche offenkundigen Mängel dieses Buch birgt: Distanz zur Sache, Abgeklärtheit, Unabhängigkeit und Überparteilichkeit, all das fehlt hier völlig.” Bescheiden fügt er an: “Auch das Neue Testament wurde nicht von kritischen Biographen des Menschensohnes, sondern von dessen glühendsten Bewunderern geschrieben. Dennoch wurde es ein schöner Bucherfolg.” Für einen Rezensenten ist es natürlich sehr angenehm, wenn ihm der Autor des zu besprechenden Buches die Arbeit derart leicht macht, kann ich doch nun gleich zu den schönen Seiten des Lesens kommen. Schmitt legt hier nämlich die erste Gesamtdarstellung der Werk- und Wirkungsgeschichte der Neuen Frankfurter Schule vor. Illustriert wird dies durch etliche Text- und Bildbeispiele.

Also: Im September 1962 befindet sich Deutschland und sein Humor noch in der Adenauer-Ära. Heinz Erhardt macht harmlose Späße, das altgediente Satireblatt Simplicissimus aus München bemüht sich witzig zu sein, nur im Kabarett wird kräftig gelacht, wenn auch vor zahlenmäßig beschränkter Kulisse, besonders wenn der Bayerische Rundfunk rituell und ganz demokratisch die eine oder andere Übertragung abbricht. So geht das nicht weiter, denken sich Hans Traxler und Chlodwig Poth gründen in Frankfurt zusammen mit Hans A. Nikel und Kurt Halbritter die Zeitschrift Pardon. Schon in der allerersten Ausgabe der “deutschen satirischen Monatsschrift” sind Texte und Zeichnungen von Hans Magnus Enzensberger, Martin Walser, Erich Kästner, Loriot, Erich Kuby, Otto Köhler, Ephraim Kishon, Hanns Dieter Hüsch und Gerhard Zwerenz zu finden. Später folgen dann noch Bazon Brock, Hannes Wader, Günter Wallraff, Alice Schwarzer, Henryk M. Broder, Herbert Feuerstein und noch später ein gewisser Gerhard Seyfried und ein ebenso gewisser Brösel.

Der größte Teil des Heftes wird jedoch von fünf dichtenden Zeichnern (Poth, Traxler, Waechter, Gernhardt, Bernstein) bestritten, die die Keimzelle der NFS. Sie wollen nicht nur “anprangern, geißeln, Mißstände aufdecken, nicht nur spotten und beleidigen” (Schmitt), sondern auch “antäuschen und verwirren, verarschen, verscheißern, verhohnepipeln” (schon wieder Schmitt) also: “lächerlich machen, auf den Arm nehmen, vergackeiern” (Poth). Günter Grass z.B. wird gegen seinen Willen (bzw. eine willenlose Büste desselben) wird in den nationalen Ruhmestempel Walhalla bei Regensburg geschleppt, was laut bayerischer Presse eine “beispiellose Mißachtung eines deutschen Nationaldenkmals” in Tateinheit mit der Verhöhnung des “gesunden Volksempfindens” darstellt. Die Pardon-Redaktion fühlt sich ob dieses Lobes gebauchpinselt. 1967 führen sie dann den Kollegen von der Frankfurter Rundschau eine waschechte LSD-Orgie vor, bei der diese eine “Horde grölender, sabbernder, kreischender und im Rausch auf Matratzen sich wälzender Provos” (halten Sie sich zurück, Schmitt, dies ist mein Artikel!) fotografieren, von denen jedoch jeder einzelne (einschließlich des sich unter einer Papptüte versteckenden Chefredakteurs) absolut nüchtern ist.

Die Auflage des Magazins wird bald sechstellig; besonders viele Exemplare werden verkauft, wenn die Pardon eine neue Schlacht an der Sex-Front schlägt und einen sogenannten “Tittentitel” hat, was damals tatsächlich als ein Beitrag zur Emanzipation angesehen wird. So ändern sich die Zeiten.

Doch die Herren Texter und Graphiker geraten schon bald in Konflikt mit Hans A. Nikel, dem autoritären Eigentümer, Herausgeber und Chefredakteur des Blattes. Das Redaktionskarussel dreht sich munter: Redakteure werden zu freien Mitarbeitern, freie Mitarbeiter erstellen die regelmäßige Beilage Welt im Spiegel (WimS) und irgendwann stoßen auch noch Eckhard Henscheid, Peter Knorr und Bernd Eilert zur Pardon. Nach der Schmittschen Zählung, die sich an den Schätzungen Gerhard Henscheids orientiert, wäre die NFS damit vollzählig. Zu fragen ist allerdings, ob der Begriff hiermit nicht sehr eng gefasst wird, ob nicht auch andere - die bösen “Epigonen” nämlich - dazu gerechnet werden müssten. Der schon erwähnte Nikel lernt währenddessen mit Hilfe der Transzendentalen Meditation das Fliegen, gerät jedoch mit der Pardon ins Trudeln. Nach und nach vergrault er seine wichtigsten Mitarbeiter, die schließlich 1979 die Titanic gründen, was zu einer endgültigen Bruchlandung der Pardon führt. Die Titanic wird als ihr legitimer Nachfolger angesehen und gilt nunmehr als das Zentralorgan der NFS, auch wenn nicht alle Schulangehörigen das Magazin mitgründen und redigieren, doch Beiträge liefern sie alle, zumindest am Anfang. Auch wenn heute größtenteils andere Redakteure die Zeitschrift herausgeben, ist sie doch ihrem Konzept und ihrem abseitigem Humor treu geblieben. Ja ja.

Aus den Frankfurter Schuljungen werden im Laufe der Jahre Hochschüler und schließlich Lehrer (das gilt besonders für F.W. Bernstein, der es unter seinem richtigen Namen Fritz Weigle zum “Professor für Karikatur und Bildgeschichte” gebracht hat). Die acht Leute bringen zusammengezählt knapp 250 Bücher (Romane, Gedicht- und Bildbände) heraus, dazu Theaterstücke, Fernseh- und Radiosendungen, Filme, Platten, Klosprüche und auch Otto ist Kunde bei den Frankfurter Schulhofdealern. Die Haupt- und Meisterwerke der NFS erscheinen in den 60er und 70er Jahren; exemplarisch möchte ich hier die “Trilogie des fortlaufenden Schwachsinns” von Eckhard Henscheid (Prosa), “Wörtersee” von Robert Gernhardt (Lyrik) und “Die Wahrheit über Arnold Hau” (eine sehr skurrile Gemeinschaftsarbeit von Bernstein, Waechter und wiederum Gernhard alias Lützel Jeman) nennen.

Ja, und noch nicht einmal zwanzig Jahre nach der Geburt erhält das Kind auch einen Namen. 1981 wird für eine Gemeinschaftsausstellung von Gernhardt, Traxler und Waechter der Name “Die neue Frankfurter Schule” ge- oder erfunden. Auf dem Ausstellungsplakat ist ein brennendes Schulgebäude zu sehen. Was? Woher der Name kommt? Tja … ist doch ein guter Witz, oder nicht?

“So ist beiden Schulen vor allem eines zwingend inhärent: der Wille zur Aufklärung. Hie dialektische, hie komische, helle aber und erhellend wollen beide immer sein. Eine Satire, die nicht auf den Rahmen der Aufklärung gespannt ist: sie hätte keinen Ort, von dem sie operiert, kein Ziel, das sie anvisiert, keine Korsage, die sie hält und ihr federnde Elastizität verleiht” Schmitt - Sie haben ja lange nichts von sich hören lassen! “Satire als Kritik mit komischen Mitteln - das ist die unartige kleine Schwester der Kritischen Theorie.” SCHNAUZE SCHMITT - Ich habe sie gewarnt! Wie bitte? Ich soll noch erzählen, worum es in diesem Text hier überhaupt geht.

Ach ja: Dies ist eine Buchrezension und das rezensierte Buch heißt “Die schärfsten Kritiker der Elche - Die Neue Frankfurter Schule in Wort und Strich und Bild” und wurde von Oliver Maria Schmitt, einem langjährigen Titanic-Mitarbeiter geschrieben (was erklärt, warum die - zugegebenermaßen - beste deutschsprachige Satirezeitschrift …. äh, siehe Anfang des Textes). Die Hauptvertreter der NFS werden porträtiert und ein Überblick über ihr Schaffen mit Text- und Bildbeispielen gibt dazu. Schön anzusehen ist übrigens auch das hier dokumentierte Fotomaterial, auf dem zu erkennen ist, wie aus den adretten Jünglingen mit den “Haare kurz und Ohren frei, bitte”-Frisuren gestandene Männer werden, deren eine Hälfte gewaltige Bärte und Haare bis zum Arsch trägt, während die andere mehr so die gesetztere Hemd-und-Jacket-Fraktion darstellt. Es wäre sicherlich eine interfakultative Untersuchung wert, in welchem Zusammenhang äußere Erscheinung und künstlerischer Ausstoß stehen.

Zufrieden, Schmitt?
Das freut mich.