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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



Januar 2002
Mikko Stübner
für satt.org

Benjamin von Stuckrad-Barre:
Deutsches Theater.
Kiepenheuer u. Witsch, Köln 2001

Benjamin von Stuckrad-Barre: Deutsches Theater

EUR 25,00
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Transkript

Deutsches Theater

Es war einmal ein junger Mann, der auszog, um das Land, in dem er leben mußte, zu erfahren und für seine Leserschaft zu dokumentieren. Er erzählte "von dem großen Land im Norden, von der großen Maschine, die sich selbst baut ( …) und von den Auserwählten, die im Inneren dieser Maschine leben, die gute Autos fahren müssen und gute Drogen nehmen und guten Alkohol trinken und gute Musik hören müssen, während um sie herum alle dasselbe tun, nur eben ein ganz klein wenig schlechter". Dieser Mann wurde bald mit dem Etikett Popliterat behaftet und schrieb ein sehr gutes Buch namens "Faserland".

Doch die Rede ist heute von seinem Kollegen, der sich nach fünf qualitativ höchst unterschiedlichen Büchern nun ebenfalls sehr intensiv dem Feinzeichnen seiner Republik verpflichtet fühlte und auf Spesen verschiedener großer Tageszeitungen und Zeitschriften durchs Land reiste, um auf 11.000 Seiten das Deutsche Theater zu entlarven. Im Intro ist nachzulesen, warum es letztendlich nur 300 wurden und warum so viele dieser Seiten Bilder statt Worte zeigen.

Der Autor ist gereift, so scheint es, denn die Rede kaum noch von verlorenen Lieben und einsamen Herzen. Und damit das alle begreifen, hat er sein sechstes "Album" einer Johanna gewidmet und damit es auch die Groupies wirklich kapieren, hat er diese Widmung noch einmal mit einem Foto von einem lustigen, weil grammatikalisch nicht ganz korrekten Garagen-Graffito festgehalten. Sei's ihm vergönnt.

Und was erwartet den Leser? Nun, es ist ein Exkurs durch ein Land, in dem von Weiße-Jeans-Mädchen die Rede ist, also solchen Zeitgenossen, deren monatliche Handyrechnung den durchschnittlichen Zivisold übersteigt, während sie das Abibuch organisieren. Dann erfährt der Leser von den Schwierigkeiten der neuesten Studentenjobs, von der Arbeit hinter den (Polizei-) Kulissen während der Loveparade und der Drogenfahndung und von der Stimmung geprellter Kleinaktionäre auf Jahreshauptversammlung vom EMTV. Auf Sylt spielt er sehr gelungen Wallraff und zwischendurch zieht er immer wieder seine ganz persönliche Bilanz und rechnet ab. Mit Kitschmillionär Michael Leicher, mit Klaus Meine, mit Adelsherzchen Christiane zu Salm und natürlich mit Bild-Kodderschnauze Franz Joseph Wagner, dem er ja (zu Recht) in seinem leider ausgelaufenen Sendeformat "Lesezirkel" auf MTV eine eigene Rubrik widmete. (Diese Sendung, so muß unbedingt erwähnt werden, war nach den üblichen Anfangsschwierigkeiten übrigens mit der Zeit zu einem ganz passablen Gedanken- und Wissensüberträger gereift.) Doch BVSB tut manchmal ein wenig zu viel, offenbar kennt er seine Leser und fürchtet bei schwierigen Themen um deren Aufmerksamkeit. Es ist aber absolut überflüssig, einen Christoph Schlingensief erklären zu wollen. Damit entmündigt er den Leser und schmückt sich zugleich mit fremden Federn: den Federn der Erkenntnis, den Federn als Insider. Und streut überall - wenn auch geschickter als in anderen Werken getarnt - die üblichen meinungsbildenden Adjektive mit ein. BVSB ist also wieder da, obwohl böse Zungen fragen, ob er jemals weg war. Ein Buch pro Jahr war versprochen bzw. angedroht worden, rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft beschert uns Benjamin (er legt außer gegenüber der höchst kritischen Berliner Lokalpresse üblicherweise Wert auf das Duzen), rechtzeitig beschert er uns nun also noch sein "Deutsches Theater". Vielleicht auch deshalb die ungewöhnlich hohe Dichte an Schreib- und Tipfehlern.

Aber im nahezu ausverkauften gleichnamigen Veranstaltungsort verzauberte er anläßlich seiner Buchpremiere nicht mehr nur 25 - 35 Jahre alte Generation-Irgendwasler, sondern durchaus auch gesetzteres Publikum. Und das waren definitiv nicht nur eigens angereiste Verwandte höherer Grade und Pressegäste. Immerhin saß auch Literaturquartettler Hellmuth Karasek auf der Bühne, um das über ihn verfaßte Kapitel selbstironisch zu verlesen. Handzahm, aber den Nachwuchs damit adelnd.

Im Publikum saßen neben einem gelangweilten Florian Illies und dem später natürlich auch auf die Bühne gebetenen Stirneritzer Rainald Goetz derweil pseudorebellische Britpop-Frisuren neben Hängegürtel-Girlies, Maßanzüge neben abgewetzten Retro-Turnschuhen. Alle sorgfältig gestylt und alle überraschend überrascht ob der dargebotenen Show. Dabei waren gerade die verlesenen Texte nicht nur Hardcore-Anhängern sondern auch einfachen Stern- und Welt am Sonntag-Lesern bereits lange vorher zugänglich gemacht worden.

Aber zurück zum Autor. Es ist ja inzwischen unmöglichen geworden, BVSBs Werk ohne ihn selbst zu betrachten. Das will er ja auch gar nicht, sonst hätte er wohl kaum in den vergangenen Jahren immer wieder den vollen Jackpot der Selbstinszenierung abgeräumt. Allerdings gibt er dabei längst nicht mehr so viel von sich selbst Preis, wie in früheren Werken und das raubt dem Ganzen den Spaß. Zwar variiert er geschickt die Erzählperspektiven oder beschreibt erstaunlich detailgetreu den Alltag von n-TV-Talkerin Maischberger, aber was er dabei wirklich fühlt, das erlebt der Leser nur ganz selten. Vielleicht sind das erste Anzeichen eines kreativen Burnouts, vielleicht gibt aber sein Leben als von jedem gefeierter wacher Geist auch einfach nicht mehr her.

Ein anderes Problem ist die Kürze seiner Geschichten. Folgten die Leser anfangs noch gespannt auf durchschnittlich 250 Seiten zumindest so etwas ähnlichem wie einem Handlungsfaden und einer Charakterentwicklung, so verbleiben heute nur minimale feuilletonistische Essays. Qualität statt Quantität? Ich glaube nicht, denn die Stärke seines Wortwitzes ist gleichbleibend, offenbar reicht seine Konzentrationsspanne nicht für mehr aus. Aber vielleicht ändert sich das mit dem unausweichlichen nächsten Buch, wollen wir es hoffen.