Jean Echenoz: Die großen Blondinen Berlin Verlag 2002
240 Seiten, geb. EUR 18,00
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Tief ausgeschnittene Bedeutung. »Die großen Blondinen« von Jean Echenoz
Wofür heuert der TV-Produzent Salvador einen Privatdetektiv an? Um ihn bei seiner Arbeit filmen zu dürfen? Um die Pläne der Konkurrenz ausspionieren zu lassen? Um sicher zu gehen, dass der neue Moderator keine Stasi-Vergangenheit hat? Wenn das auch alles sinnvolle Aufgaben wären, die ein TV-Produzent einem Privatdetektiv anbieten könnte, so ist der Fall in Jean Echenoz kürzlich erschienenem Roman doch anders gelagert: Ein ehemaliges Sternchen der Medienwelt mit dem bezeichnenden Namen Gloria Stella soll aufgespürt werden. Ihr Ruhm als Sängerin war zwar nicht besonders groß, ein Mordprozess gegen sie und schließlich ihr völliges Verschwinden von der Bildfläche erregten aber doch so einige Aufmerksamkeit. Vier Jahre nachdem sie sich in Luft aufgelöst hat, plant der Salvador eine fünfteilige TV-Serie mit dem Titel »Die großen Blondinen«, so auch der Titel des Romans, und als krönenden Abschluss möchte er der staunenden Öffentlichkeit in der letzten Folge Gloria Stella präsentieren, die zwar immer mal wieder gesucht, aber nie aufgespürt wurde. Um das zu ändern, engagiert er Jouve, den Chef einer Detektei. Der greift in seinen Pool von Mitarbeitern und beauftragt den unglücklichen Kastner mit der Aufgabe die große Blondine zu finden. Kastner aber kehrt nicht heim und nur der Leser weiß warum: Er hat das Zielobjekt gefunden. Bevor er es aber erkannt hat, wird er eine Klippe hinuntergestoßen und von einer Springflut auf Nimmerwiedersehen davongetragen. Jouve muss einen neuen Versuch starten und schickt den etwas glücklicheren Bocarra los, der der beherzten Dame mit einer Axt in der Windschutzscheibe seines Autos entgeht. Da wird es Jouve zu bunt und er aktiviert seinen Spitzenmann Personnettaz. Personnettaz ist ein Name, den man lieber nicht aussprechen möchte und passt deswegen hervorragend zu seinem Besitzer, der zu der in Detektivkreisen großen Fraktion der beharrlichen Schweiger gehört. Beharrlich setzt er sich auch auf die Fährte Gloria Stellas. Die allerdings will um keinen Preis entdeckt werden. Sie hat sich ganz in ihre eigene Welt zurückgezogen mit dem Homunkulus Béliard als einzigem Begleiter. Der sitzt die meiste Zeit auf ihrer rechten Schulter und flüstert ihr ein, was sie zu tun hat: sich zu verstecken. Zuerst flüchtet Gloria nach Australien, wo sie weiter ihrer Neigung frönt, Männer in tödliche Tiefen zu stoßen, dann kreuz und quer durch Indien, immer mit Personnettaz auf den Fersen. Dass er sie schließlich, wieder in Frankreich, stellt und von einem TV-Auftritt überzeugt, bekommt ihr nicht besonders gut, ihm aber um so besser, denn er gewinnt das Herz von Donatienne, der Assistentin des Produzenten, die einen ganz besonderen Kleidungsgeschmack hat: »Ihre Oberbekleidung war derart kurz und derart ausgeschnitten, dass die beiden Adjektive geradezu ineinander übergingen, als wollten sie zu zweit im selben Eintrag des ersten besten Wörterbuchs Platz finden.«
Jean Echenoz hat fast einen klassischen Krimi geschrieben, nur dass es hier nicht um die Aufklärung eines Verbrechens geht, sondern um die Einforderung einer vermeintlichen Schuld: Wer sich einmal mit den Medien eingelassen hat, hat ihnen lebenslänglich zur Verfügung zu stehen. Dass der Plot nicht besonders originell, die Geschichte nicht besonders spannend ist, macht Echenoz mit seinem brillanten Gefühl für Stimmungen wett. Jede einzelne Beschreibung der häufig wechselnden Handlungsorte ist ein kleines Meisterstück. Auch die Darstellung der Schizophrenie Glorias überzeugt durch Unaufdringlichkeit. Es ist der Widerwillen Echenoz, seinen Romanen so etwas wie tiefere Bedeutung zu verleihen, den der Großmeister der französischen Prosa, Alain Robbe-Grillet, kritisiert. Dass aber jemand, der durch seine Meisterschaft in der Beschreibung und Beobachtung von Orten und Menschen zu bezaubern versteht, den angesehensten französischen Literaturpreis erhielt (für den auch im Berlin Verlag erschienen Roman »Ich gehe jetzt«) und nicht der dozierende Buchhalter Michel Houellebecq, erfüllt den Rezensenten mit Genugtuung.
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