Andreas Maier: Klausen Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2002
215 Seiten, geb. EUR 18,00 » Buch | CD
|
|
Schluss mit dem Gerede? Andreas Maiers zweiter Roman Klausen
Wer Maiers ersten Roman Wäldchestag gelesen hat, mag sich erwartungsfroh gefragt haben, wie der zweite Roman wohl ausfallen werde und wohin sich Maiers Besessenheit vom Konjunktiv und der indirekten Rede wohl entwickeln werde. Wenn man Klausen aufschlägt, fühlt man sich denn auch zunächst in die Provinz zurückversetzt, nicht der Wetterau diesmal, sondern des Südtiroler Eisacktals, in eines jener Gasthäuser, in denen Maier schon im ersten Buch gerne seine Figuren aneinander vorbei reden ließ. In der Tat lässt sich auch die Erzählung in Klausen von Gerüchten tragen, sie beobachtet ihre Entstehung und Verselbständigung und setzt sie geschickt ein, um dem Leser Informationen hinzuhalten, nur um ihn damit hinzuhalten, und sie ihm gleich wieder zu entziehen. »Möglicherweise, sagten die einen, war Gasser dort oben spazieren gewesen, hatte die besagte Wirtschaft betreten und sich über die Touristen empört; aber vielleicht, sagten andere, war einfach alles vom Unterwirt aus Wichtigtuerei erfunden …«; so liest man auf den ersten Seiten.
Klausen beginnt mit Mutmaßungen einiger indirekter Zeugen - sozusagen Zeitungszeugen - über ein Ereignis, das in der Eisacktaler Öffentlichkeit schnell weite Kreise gezogen hat, so weit, dass sich der Kern der Gerüchte, die Stelle, an der der Stein die Wasseroberfläche berührt hat, kaum mehr ausmachen lässt. Es ist von einem Schuss die Rede, von einem Präzisionsgewehr, mit dem Gasser - einer der Protagonisten - womöglich einen Anschlag geplant haben soll, quer über die Eisacktaler Autobahn. Um diese Autobahn dreht sich das Geschehen dann immer enger. Eine Bürgerinitiative gründet sich, die den Lärmpegel in dem einst ruhigen Ort messen will. Darüber spaltet sich die Klausener Gesellschaft, es kommt zu Gewaltakten, hinter denen bald ein Grundstücksspekulant, bald Terroristen, dann wieder die Albaner oder Pakistanis von der Ploderburg vermutet werden, gegen die eine gereizte, fremdenfeindliche Stimmung entsteht. Klausen gerät ins Fieber, der Ort wartet förmlich auf ein Ereignis, von dem der Leser nur vermutet, dass es mit der Autobahn zu tun haben wird - wenn es denn eintrifft.
Die »Initiative Lärmschutz Klausen« mag einem zunächst wie ein kleines Sujet vorkommen, an dem sich, wie in Wäldchestag, eine ironisch-kritische Bestandsaufnahme eines Provinzstädtchens und der Eigenheiten seiner Bewohner vornehmen lässt. Es kommt in Klausen aber doch mehr ins Spiel. Es geht hier grundsätzlich um die Macht des gesellschaftlichen Diskurses, es geht um die Macht der Medien und ihrer Rezipienten, Dinge Wirklichkeit werden zu lassen, die man für wirklich hält: »[ …] Diese Artikel haben mit deiner Tochter überhaupt nichts zu tun, denn sie funktionieren alle nach demselben Schema, Kati dient nur zur Bebilderung dieser Ideen, verstehst Du das nicht?,« brüllt Gasser an einer Stelle seine Mutter an. Die Mechanik des Berühmt- oder Berüchtigtwerdens ist es, die Maier im Auge hat. Was Fiktion ist und was Wirklichkeit, das ist in Klausen (und im Roman) nicht mehr unterscheidbar, weil die Klausener die Fähigkeit zu unterscheiden verloren haben. Andererseits produziert diese Fehlleistung eine neue gesellschaftliche Realität, das lässt Maier seine Protagonisten Gasser und Auer bitter erfahren. Wenig helfen das Reden Gassers und die satirischen Zeichnungen Auers gegen die verbohrten Stadtbewohner, die sich die ungeliebte Autobahn, deren Nutznießer doch alle in irgendeiner Weise sind, einfach aus dem gemalten Bild ihrer Stadt haben tilgen lassen. Klausen will Ferienidyll sein, ein Geschäft machen mit den Touristen. Von den lästigen Auswirkungen des modernen Nomadentums, den Gastarbeitern, den Wirtschaftflüchtlingen, der Transitautobahn und dem Lärm, möchte man sich am liebsten befreien, oder sie doch zumindest aus dem Eisacktal verbannen.
Maier entwickelt in diesem Roman eine Stimme, viel hörbarer, als er das in Wäldchestag tut. Sicherlich gleicht dieser zweite Roman dem ersten in eineigen Aspekten - bezüglich der Erzählstruktur, die nun besser durchkomponiert ist, oder der grundsätzlichen Thematik des Gerüchts. Dabei lässt sich in Klausen jedoch weit deutlichere Kritik heraushören, etwa wenn es um die Xenophobie der Klausener geht, deren Kritikunfähigkeit, den schizophrenen Umgang mit den modernen Veränderungen unserer Zivilisation. Dass man sich bei Maier gelegentlich an Thomas Bernhard erinnert fühlt, ist inzwischen zum Gemeinplatz der Literaturkritik geworden; der Unterschied liegt trotz stilistischer Gemeinsamkeiten im überaus geschickten Einsatz des Stadtgeredes für die Erzählung, mit der Maier zu demonstrieren gelingt, worüber er zugleich berichtet. Die egomanen Erzählerfiguren Bernhardts sind Maier fremd. Und überzeugender gelingt ihm die Darstellung des Geredes über die Ereignisse, als die Schilderung der Ereignisse selbst, die immer irgendwie trocken bleibt. Trotzdem ist Andreas Maier ein Zweitling gelungen, der es mit dem hochgelobten ersten Buch aufnehmen kann - und es muss doch auch erlaubt sein, sich ähnlich zu bleiben, und ein Thema zu kultivieren, anstatt das Feuilleton unbedingt mit Neuem zu unterhalten. Man kann jedenfalls wiederum gespannt sein.
|