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Juli 2002
Wolfram Hasch
für satt.org

Anton Szandor LaVey:
Die Satanischen Essays
Second Sight Books, Berlin 2001

Anton Szandor LaVey: Die Satanischen Essays

392 Seiten, geb.
30,00 Euro

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„Gut ist,
was Du magst,
böse,
was Du nicht magst“

Über das Notitzbuch
des Anti-Gottes Anton S. LaVey


Der 1997 verstorbene Anton Szandor LaVey, Gründer der 1966 ins Leben gerufenen Church of Satan und Verfasser der „Satanischen Bibel“ hat der Nachwelt mit seinen „Satanischen Essays“ knapp vierhundert Seiten niedergeschriebenen Text hinterlassen, auf denen das steht, was man schon immer über den Teufel wissen wollte. Die etwa hundertfünfzig kurzen Aufsätze des okkulten Meisters beschäftigen sich mit einer Vielzahl von Phänomenen, welche Mister LaVey einer kurzen luziferischen und recht prägnanten Reflexion unterzieht. Obwohl ich kein Satanist bin, hat mich keiner der Aufsätze LaVeys zum „Überfliegen“ von Seiten veranlasst. Die Texte sind kurzweilig, eigen und kein religiöser Unfug für Teufelsanbeter, sondern „lebensnah“, so daß man auch hier mit dem Problem konfrontiert zu werden droht, was denn nun gefährlicher ist: eine Sekte, die offenkundig schwachsinnig, einengend und (überkünstlich) befremdend wirkt oder eine solche, die „aus dem Menschen“ spricht, freie Strukturen bevorzugt und obendrein noch eine nicht geringe Portion Selbsthumor mitbringt.

Einen solchen Humor fordert Anton Szandor LaVey nicht nur, er hat ihn auch, wie nicht wenige Passagen in seinen “satanischen Essays“ beweisen. Jedoch entspringt dieser Humor bei ihm nicht dem Bedürfnis, im Mittelpunkt einer frivol erheiternden Situation zu stehen, in der (warholartiger) Klatsch den Ton angibt. Denn für Klatsch, dessen Heiterkeit, seitdem es ihn gibt, noch nie satanisch war, hat der Priester der „Nightsides of Life“ nichts übrig, wie er in einem seiner Texte nachhaltig erklärt.

Seine Gedankenwelt ist schnörkelos, geradlinig, aber ermangelt nicht des sensiblen Blicks auf all die Nuancen, die ihm eine Aufmerksamkeit abgewinnen können. Und dererlei gibt es bei Anton LaVey nicht wenige, ob es sich nun darum handelt, dass auch eine kaputte Uhr zweimal am Tag richtig geht und sich hervorragend dazu eignet, den Zeitpunkt für eine bestimmte regelmässige Erledigung anzuzeigen oder darum, dass ältere Menschen Moll-Töne meiden, weil deren traurige Stimmung sie dem Sterben näher bringt als eine Sinfonie in Dur.

Aber zurück zum Teufel. LaVey erinnert den Leser noch einmal daran, was Satanismus, sowohl nominell übersetzt als auch dergestalt, wie er ihn in seiner legendären 1969 erschienen „Satanischen Bibel“ dargelegt hat, eigentlich ist: vor allem eine sehr widersprüchliche Sache. Und das in einem außerordenlich unsuspekten Sinn.

Im Gegensatz zu seinen Erzfeinden, den Christen, - an denen LaVey, wie man es bei einem Teufelspriester auch angenommen hätte, kein Haar übrig lässt - zielt der Satanismus nicht auf eine simple Eintracht des Denkens und Fühlens, sondern auf die Erzeugung von Widerspruch („Ist es Zufall, daß ausgerechnet Warum? das wichtigste Wort für einen Satanisten ist?“) und ist damit nicht einfach bloss die formale (dunkle) Kehrseite des christlichen Formalismus, sondern unterscheidet sich schon in der Methode grundlegend von seinem religiösen Kontrahenten. Ausserdem distanziert er sich damit zugleich von solchen Satanskulten, die sich bloß in einer symbolfetischistischen Uniformität gefallen. “Satanismus ist im wesentlichen das, was aus der Balance wirft und das Pendel nach der anderen Seite ausschlagen lässt“ sagt LaVey, um daraufhin „das Böse“ mit einer Vitalität gleichzusetzen, die ihm schon der Vergleich zweier Termini nahelegt: „denn evil (böse) heisst rückwärts gelesen immer noch live (Leben) und sind wir böse,so leben wir!“

Nicht zuletzt mit solchen „intravenös“ rezipierbaren Metaphern hat Anton LaVey eine ganze Anzahl bekannter Künstler (Ferlinghetti, Biafra, Lydia Lunch, Henry Rollins) in seinen Bann gezogen. Magifizierend steht sein Name - oft beiläufig wie eine hintergründige machtvolle Reference - auf den Covern diverser Schallplatten und verweist auf die Anleihen, die die Künstler beim Teufel gemacht haben, um ihrem Werk die letzte Inspiration durch „das Böse“ zu geben und den Hörer des Vinyls auf ihre ideelle Verwandtschaft mit Luzifer aufmerksam zu machen.

Im zweiten Teil des Buches, welcher “Jetzt spricht Satan“ lautet, ist es Marylin Manson, der dem okkulten Meister ein Vorwort widmet und sich für die Anregungen bedankt, die ihm LaVeys dunkle, widersprüchliche Welt während seines künstlerischen Schaffens gegeben hat.

Dieser zweite unterscheidet sich vom ersten Teil des Buches (dessen Titel “Notitzbuch des Teufels“ lautet) nicht grundlegend, auch hier sind es Aspekte, die LaVey in kurzen Essays beleuchtet.

Lediglich die Anklagen des Christentums, vor allem der dieser Religion immanenten „Gutmenschen-Plakette“ (die Charakter-Plakette für den christlich integeren Menschen), der aphoristische Teil und die rituellen Anweisungen für satanische Übungen treten zurück zugunsten einer Vielfalt teuflischer Gesichtspunkte, die den Leser (zumindest mich) auch bis zur letzten Seite des Buches in einem Zustand kurzweiliger Aufmerksamkeit halten, auch wenn man dabei zuweilen mit gewissen Plattheiten konfroniert wird. So z. B. dann, wenn LaVey sich in einen sozialdarwinistisch anmutenden Übermenschen-Ethos „hereinkultiviert“, der der Welt einer sensiblen Wahrnehmung, wie er sie uns in weiten Teilen seines Buches präsentiert, frappierend widerspricht. Hatte er doch selbst über die von ihm in seinem Text “Begabte Sensitive“ lobbyisierten feinsinnigen Menschen geschrieben: “Jemand, der wirklich sensitiv ist, hat seine Empfänglichkeit für äussere Reize verfeinert. Ein sensitiver Mensch ist schüchtern und häufig introvertiert. Ihm fehlt die kolossale Frechheit und übertriebene Selbstsicherheit, die all jene auszeichnet, die sich freimütig als Sensitive bezeichnen.“

Eben diese übertriebene Selbstsicherheit findet man bei LaVey aber, wenn er seine höhere Art im Vergleich zum „Pöbel, Mob, Gesindel, Schwächlichen, Schwuchteligen“ darlegt, um die innere Stärke seiner Gedanken gegen ein formales Stärkegebahren auszutauschen und damit den Gesamteindruck seines vielfältigen satanischen Kosmos´ schmälert.

Wenn - nach LaVey - dasjenige „böse ist, was ich nicht mag“, dann sind es diese Gedankengänge des Autors, die in seinem Buch ziemlich böse sind.