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November 2002
Tobias Lehmkuhl
für satt.org

Javier Cercas:
Soldaten von Salamis
Berlin Verlag 2002

Javier Cercas: Soldaten von Salamis

223 Seiten, 18,00 EUR
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Soldaten von Salamis

Im Kloster Collell kommt es gegen Ende des spanischen Bürgerkriegs zu einer Massenhinrichtung. Bevor die Republikaner in Richtung Frankreich flüchten, möchten sie noch möglichst viele von denen töten, die im künftigen franquistischen System für Schlüsselpositionen vorgesehen sind. Dazu gehört Rafael Sánchez Mazas, Schriftsteller und einer der Gründer der faschistischen Falange. Im Tumult der Hinrichtung gelingt ihm die Flucht.

Fast sechzig Jahre später erzählt der Sohn Sánchez Mazas’ einem erfolglosen Schriftsteller, der in der kleinen katalanischen Stadt Gerona sein Geld als Journalist verdient, von dieser Flucht und davon, wie sein Vater kurz darauf von einem republikanischen Soldaten entdeckt, nicht aber verraten oder erschossen, sondern überraschenderweise laufen gelassen wird. Dieses Ereignis historische ist der Ausgangspunkt der „Soldaten von Salamis“

Javier Cercas, 1962 geboren und in Gerona lebend, hat mit seinem Roman vor einem Jahr einen ungeahnten Erfolg in seinem Heimatland erlebt. Über 200 000 Exemplare sind inzwischen verkauft und an der Verfilmung wird bereits gearbeitet. Mario Vargas Llosa hat im Meinungsteil der größten Zeitung des Landes eine mehrseitige Eloge geschrieben und dem bisher wenig beachteten Schriftsteller damit höchste Weihen zuteil werden lassen. Die Gründe für diese Begeisterung sind vielfältig. Bücher, die auf die eine oder andere Weise den Bürgerkrieg berühren, stehen nach wie vor hoch im Kurs. Dieser Krieg, der außerhalb Spaniens zumeist als eine Art Vorlauf zum zweiten Weltkrieg angesehen wird, ist für die Spanier selbst das zentrale Ereignis des 20. Jahrhunderts. Und zwar heute mehr denn je, denn mit der Aufarbeitung dieser blutigen Vergangenheit konnte erst nach Francos Tod 1975 begonnen werden, wobei in den Jahren der transición, des Übergangs zur Demokratie, zuerst andere Probleme im Vordergrund standen. Spät wurde die Befragung von Zeitzeugen in Angriff genommen und so ist jetzt die Enkelgeneration die erste, die sich mit einiger Unbefangenheit dem für die jüngere Geschichte ihres Landes entscheidenden Thema zu nähern versucht.

Dass einer derjenigen, die in den 30er Jahren das Ende der Republik betrieben haben, nun zum Gegenstand eines Romans wird, gehört zu dieser Unbefangenheit ebenso wie die knappe Charakteristik der Franco-Diktatur, in der Sánchez Mazas Ideen „am Ende nichts mehr waren als sinnentleerter Klimbim, mit dem eine Bande ungebildeter Bauern vierzig dumpfe Jahre lang ihr beschissenes Regime zu rechtfertigen trachtete.“ So wischt man alle Revisionismus-Vorwürfe vom Tisch und kann sich in Ruhe fragen, auf welchem Mist diese Scheiße gewachsen ist. Ein vergleichbarer Fall einer literarischen Analyse von innen, einer „Erzählung nach der Wirklichkeit“, wie der Journalist in „Soldaten von Salamis“ sie plant, wäre in Deutschland wohl einzig Marcel Beyers Roman „Flughunde“, der zum Teil aus der Perspektive der Familie Goebbels, erzählt wird.

Nachdem der Journalist und Ich-Erzähler von der missglückten Eliminierung Sánchez Mazas’ erfährt, beginnt er sich für dessen Geschichte zu interessieren. Der Leser folgt ihm auf der Spur, die Sánchez Mazas in jenen Sommertagen 39 hinterlassen hat, folgt gleichzeitig aber auch der Spur des Journalisten, seinen Motiven, sich mit diesem Ereignis und jener mehr als fragwürdigen Person auseinander zu setzen: „Es ist wohl nicht übertrieben, Sánchez Mazas als den ersten Faschisten Spaniens zu bezeichnen; und absolut zutreffend ist es, ihn den einflussreichsten Theoretiker des spanischen Faschismus zu nennen.“ Worin besteht der Reiz, sich mit dieser Person zu beschäftigen? Ist es vielleicht die Sehnsucht „nach der erträumten, so verlorenen wie unmöglichen Welt des Paradieses, nach den festgefügten Strukturen des ancien régime“, die Sánchez Mazas verkörpert und die so viele umtreibt? Niemand weiß es, viele Fragen stellen sich und wenige Antworten werden gegeben. Wenig befriedigt ist der Leser und wenig befriedigt auch ist der Journalist, als er die Biographie dieses Mannes schließlich geschrieben hat. Er ahnt: „Heute erinnern sich nur wenige Menschen an ihn, und vielleicht hat er nichts anderes verdient.“

An dieser Stelle scheint der Roman sich selbst erledigt zu haben, da aber trifft der Journalist auf den chilenischen Dichter Roberto Bolaño. Dieser erzählt ihm die Geschichte eines republikanischen Soldaten, den es vom spanischen Bürgerkrieg direkt in den zweiten Weltkrieg und nach Afrika verschlug. Wie besessen sucht der Journalist nun diesen Mann, denn er hält ihn für jenen, der Sánchez Mazas das Leben schenkte. Er glaubt, dass Miralles, so sein Name, das fehlende Teil im Puzzle der Geschichte ist, die er erzählen möchte. Dem ist auch so, aber auf ganz andere Weise, als er zuerst meint.

„Soldaten von Salamis“ ist scheinbar schlicht und teilweise im Stil eines Berichts geschrieben. Nach und nach aber spürt man wie präzise Cercas mit Sprache umgeht, durch sie entfaltet seine Geschichte am Ende eine wahre Sogwirkung. Es ist das Verdienst des Übersetzers Willi Zurbrüggen, dass auch der deutsche Leser dieser Kunst ausgesetzt ist. Man lausche der folgenden Passage: Sánchez Mazas „verherrlichte die alten Werte – Treue und Mut -, handelte aber verräterisch und feige und trug wie wenige andere durch die Rhetorik der Falange zur Verrohung dieser Werte bei. Er verherrlichte auch die alten Institutionen [ …], rührte aber keinen Finger, um Spanien zu einem König zu verhelfen, ignorierte seine Familie, von der er häufig getrennt lebte, und hätte den gesamten Katholizismus für einen einzigen Gesang der Göttlichen Komödie hergegeben; und was das Vaterland angeht, nun, da weiß man nie so genau, was das ist, möglicherweise nichts als eine Ausrede der Niedertracht oder der Faulheit.“

Der Roman ist spannend und unterhaltend, die minutiöse Rekonstruktion der Ereignisse im Kloster Collell birgt jedoch zugleich das Versprechen, dass in ihm auch größere geschichtliche Zusammenhänge aufscheinen. Das geschieht allerdings nicht. Nach zwei Dritteln des Romans wendet sich Cercas enttäuscht von der Szenerie ab und wechselt von der Perspektive der Sieger schließlich doch zu der der Besiegten und verfällt damit in einen schwarz/weiß-Schematismus, der die einen banalisiert und die anderen heroisiert. Seine Hauptfigur sucht die vielbeschworenen doch selten verwirklichten Werte, die vor Diktatur und Tyrannei schützen und die Welt zu einem freien und lebenswerten Ort machen sollen. Miralles, „der Mut bewiesen und den Instinkt der Tugend besessen hatte“, gilt ihm als die Verkörperung dieser Werte. Ein banales Romanende, dessen große Geste gar zu hohl wäre, würde man nicht einen Moment lang von Cercas’ Sprache dazu verführt, alle Abgeklärtheit beiseite zu legen, das Schnupftuch herauszuholen und sich die Tränen der Ergriffenheit aus den Augenwinkeln zu löschen.