Deutsche Lyrik
von Luther bis Rilke
Enno Stahl über Textarbeit von morgen und eine neue CD-Rom der Digitalen Bibliothek
Der globale Autor, mit dem Laptop reisend und schreibend, dabei immer auf der Höhe der Information - das wäre sicher für viele Schreibende ein Traum. Ein Traum aber, dem wir Jahr für Jahr näher kommen. Zum einen werden Laptops immer schneller, immer leichter, immer kleiner, zum anderen gibt es da die Digitale Bibliothek.
Dieser Berliner CD-Rom-Verlag bringt ständig neu-digitalisierte Standard-Lexika und Nachschlagewerke heraus (etwa aus den Bereichen Philosophie, Kulturgeschichte, Architektur, Religion u.v.m.), die in der Buchform bisweilen 10, 15 Bände umfassen mögen. Im handlichen Pocket-Format passt das auf eine einzige Scheibe, mit ca. 20 Cds, die zusammen wohl noch nicht einmal ein Kilo wiegen dürften, hat man bereits so ziemlich alles Weltwissen beisammen, um einen Roman oder ein weiteres Standard-Lexikon zu verfassen (für deren Transport es wiederum einer CD-Rom bedürfte).
Einer der größten Erfolge der Digitalen Bibliothek war die Prosasammlung "Von Lessing bis Kafka", die bereits mehrere Neuauflagen erlebte. Nun ist dazu eine Lyrik-Anthologie getreten "Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke", und vermutlich hat der Verlag Recht, wenn er behauptet, mit ungefähr 53.000 Gedichten handele es sich hierbei um die Lyrik-Anthologie im deutschen Sprachraum. 500 Gedichtsammlungen von 207 Autoren aus fünf Jahrhunderten auf 115.000 Bildschirmseiten - viele Superlative und sicher eine schöne Sache, denkt man sich, denn: wer wird das je lesen?
Nun, der Witz bei den Veröffentlichungen der Digitalen Bibliothek liegt im Detail, nämlich der herausragenden Betriebssoftware. Diese liegt sämtlichen Bänden des Verlags zugrunde, sie ist also bereits als eine im Aufbau befindliche, virtuelle Bibliothek angelegt. Ist die Software einmal installiert, tritt jede neu erworbene CD-Rom an den ihr vorgezeichneten Platz, so als ordne man Bücher ein ins Regal. Die Stärke des Programms liegt in seiner Übersichtlichkeit, seiner Schnelligkeit und der Vielfältigkeit an Suchfunktionen. So kann man einfache oder komplexere Begriffsrecherchen vollziehen, man kann aus deren Resultaten einen individuellen Kassiber anlegen, und zwar nicht nur für den Bereich
einer CD-Rom, sondern aller, die man besitzt. So ist es möglich, eigene Thesauri und Themenfelder zu erstellen und zu speichern. Die aktuelle CD bietet neben den Gedichten auch Porträts und Biografien der Autorinnen und Autoren, die Edition gehorcht einer wortgenauen Seitenkonkordanz zur Buchausgabe, auf die sich die Herausgabe bezieht. Bisweilen sind Typoskripte antiker Ausgaben eingeschaltet.
Der Nutzen für den literarisch, journalistisch, wissenschaftlich tätigen Menschen liegt auf der Hand, zeitraubendes, teils erfolgloses Blättern nach dieser einen bestimmten Stelle ("bei wem war das noch?") gehört so der Vergangenheit an. Kein Dichter braucht mehr um ein Zitat verlegen zu sein, und sei es in Timbuktu oder in der grönländischen Eiswüste. Nur ein frommer Wunsch bleibt bestehen: dass auf diese Weise auch das Grimm’sche Wörterbuch erschlossen werden würde. Leider sind die Rechte anderweitig vergeben, an der Uni Mainz wird derzeit im Rahmen eines DFG-Projekts an einer Umsetzung gearbeitet, deren Vorfassung im Internet belegt, wie man so etwas genau nicht machen sollte (vgl. http://www.dwb.uni-trier.de/).
Könnte dies nur auch in die Hände der Digitalen Bibliothek gelegt werden, doch wie gesagt: es ist bloß ein frommer Wunsch …