Essay on A. G.
Zu einigen Gedichten des jungen Lyrikers Alexander Gumz
diese kurve endet
nicht im bahnhof
noch beim zaun
den die toten überleben
stehst du
leinen um die knöchel
am versuchsfeld wartet
nachdem wir
kurzärmlig
im wind standen
ein halber zug
die sonne
nagelt dich
vors schloss
dann bist du dran
In den Gedichten von Alexander Gumz sind oft zwei zu finden (vermuten), zwei oder mehrere, die sich zu einem Wir zusammengetan haben, zu einem Wir zusammengetan wurden, zwei oder mehr, die dieses Wir rettend verbindet oder die in dieses Wir verkettet sind. Für ein großes Glück reicht dieses Wir nicht aus, dennoch bildet es eine Aureole, die vor den Anschlägen von außen wenn nicht bewahrt, so doch gegen sie wappnet. Und sei es durch ein Verstehen, durch eigenwillige, poetische Vergegenwärtigung.
das meer steckt kämme/ unter unsere füße, heißt es in einem Gedicht,
und kürzt uns/ mit seinem leichten gang/ die knöchel. Das Fatale, Umschlossensein und Vorgabe, tippt scheinbar zurückhaltend in die Texte von Alexander Gumz hinein. Doch bleibt der lauernde Charakter der Welt evident. Trotz der spielerischen Überlagerung, trotz der Fluchten von einer Szene in eine andere, trotz der angewandten
Geste Beiläufigkeit.
Gumz schafft durch die raffende Form seiner Lyrik schwankende Komplexe. Geborstene Szenen von karger Reichhaltigkeit, deren Ausdeutung sowohl ins Positive als auch ins Negative ragen kann: du hast diese/ übernachtfarbe/ auf den wangen, beginnt ein Text warm und vage, um dann eher harsch fortzusetzen: (wir alle hinterlassen/ beim blenden/ spuren am wild).
Nahezu jede Bedeutungsgruppierung ist Sockel für einen von ihr wieder ablenkenden Erweiterungsbau oder löst sich auf in Überblendung. Man kann viele Einstellungen reflexiv und poetologisch lesen: das Gedicht als nicht endende Kurve, die man verfolgt, oder als pakete/ die du dir nicht/ glauben willst.
Das fragmentarisch vorgehende Gedicht wird zum Schmalbildfilm mit Bildern nahe dem Verbrennen. Sind einzelne Szenen auch sanft ausgeleuchtet, wirken sie in ihrer Summe nachgerade überbelichtet, unscharf. Linearität ist genau so wenig ein Ordnungsmoment dieser Lyrik wie etwa thematische Schlüssigkeit. Bei den einzelnen Strophen handelt es sich anscheinend um kaum mehr als lose miteinander verbundene Kapseln, die jeweils etwas Bestimmtes gegen eine Leere zu bewahren suchen. Und die Protagonisten jenes dann auffächernden Wir üben sich darin, (noch einmal) Startbahnen zu errichten in ein an Leerstellen ärmeres Leben. Rufen sich Widmungen zu, Angebote, Utopien. Etwa so: lass uns/ wetterlagen erfinden/ eintragen/ in die großen karten.
Ein brüchiger, aber ungebrochener Optimismus trägt die Szenen. Eine Stimmung, die nicht als Sozialanalyse oder heroisches Leidensdogma verstanden werden soll und darf. Es gibt bei Gumz eine latent wirkende progressive Sehnsucht. Im versuchsfeld der Welt ist genügend Raum, um anzulegen. das licht schiesst zwar durch die äste, andernorts bricht sich der tag/ die finger, aber die Zeichen zu derartigen Vorgängen sind durch die lyrische Form aufgewertet.
So bleiben die Gedichte, wie gesagt, seltsam in der Schwebe. ich liege auf reserve, schreibt Gumz, und gibt damit auch Auskunft über das Ich (des Autors). Seine Gegenüber – Vertreter des kollektiven, vielleicht zufällig kollektiven Wir – sind Garanten für wenig. Aber auch der Blick auf sich selbst ergibt ein schütteres Bild. Insofern sind die Gedichte immer auch als Berichte von einem vor sich selbst her geschobenen Ich zu lesen. Dessen Subtilitäten und polyparallelen Aktivitäten kaum (leicht) zu durchdringen sind.
Konsequenz jener unsicheren Haltung ist auch, die versorgten/ nicht … leiden zu können. Jene also, die ausgefüllt sind, eine Kennzeichnung haben (im Gegensatz zu den allesamt titellosen Gedichten) und wissen, wie man sich begegnet.
Alexander Gumz, geboren 1974, lebt in Berlin. 2002 Wiener Werkstattpreis für Lyrik. 2003 Einladung zum Leonce-und-Lena-Preis.
Quellen der Texte:
intendenzen. Zeitschrift für Literatur, Nr. 7.
wir müssen bis morgen reichen. Anthologie (kook Berlin New York), 2000.
Lose Blätter. Zeitschrift für Literatur und Photographie, Nr. 23.
Freie Zeit Art. Jubiläumsausgabe, Wien 2002.
Freiheit!? Arbeitsbuch zum 7. Wiener Werkstattpreis.
Wir. Deutsch-polnische Anthologie, Nr. 5, (Arte nova Berlin), 2000.