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Februar 2003
Ron Winkler
für satt.org

Johannes Jansen:
Dickicht Anpassung

Ritter Verlag, Klagenfurt 2002

Johannes Jansen: Dickicht Anpassung

Im Dickicht in Schleifen voran

Und die Skepsis in Lauerstellung. Zu neuen Texten von Johannes Jansen.


Homogenität ist Fiktion. Harmonie ein Trugbild. Immer ist etwas beschädigt. Oder schädigend. Oder beides. Und was auf die eine Art und Weise funktioniert, schlägt von einem anderen Standpunkt aus gesehen vielleicht fehl. Die Wirklichkeit erlaubt Einblicke, lässt sich aber nie ganz durchschauen. Und keine Utopie vermag sie je zu ersetzen. Diese Gedanken sind wesentliche Komponenten des Schreibens von Johannes Jansen, der unermüdlich die Diskrepanz und Nichtsynchronisierbarkeit zwischen Innen und Außen thematisiert. Zwischen dem Wahrnehmenden und dem (für) wahr zu Nehmenden existiert mindestens eine Furche, die als Dickicht und „Splittergraben“ (so der Titel eines früheren Bandes) tief ins Bewusstsein ragt.

Jansens Prosa führte schon immer in die Gefahrenzone vollzogenen und drohenden Mentalitätsverlusts. Und auch seine jüngsten Texte sind hoch konzentrierte Sondierungen in das psychische Befinden zwischen Sein und Scheinbarkeit, Wollen und Müssen, Daseinsbegierde und Entfremdung.

Die Ausgangssituation ist denkbar schlecht: Man steckt fest im „Bunker“ seines eigenen Schädels/Denkens, umgeben von mindestens einer platonschen Höhle. Das Ich reguliert zwar seine Umwelt, gehört aber auch zum Regulierten. In einem Dickicht, das es größtenteils selbst verursacht. Man sei darin „aller tatsächlichen Handlung enthoben“, schreibt Jansen und meint damit, stets nur Vorläufigkeit, nie aber eine dauerhafte Autarkie erreichen zu können. Für das Ich gelte bloß „ein verschwindend kleines Wirkungsareal.“

Dieses ließe sich übersetzen mit Unermüdlichkeit. Es gilt vor allem, sich zu behaupten. Gegen den Mangel an Perspektive, den Mangel an Relevanz. Auch gegen sich. Auch gegen die Utopien, die sich aufdrängen, in ihrer Uneinlösbarkeit.

Der gegebene Raum erscheint diesem kaum fingierten Ich unrein. Nichts ist objektivierbar. Alles entzieht sich einem Eins-zu-Eins-Verstehen. Johannes Jansen benutzt dieses Dilemma als Impuls. Seinem zutiefst skeptischen Frage- und Gedankenvorgehen ist es um dessen Offenlegung zu tun. Die erschwerte Orientierung, zeigt Jansens Oeuvre, ist zunehmend zu einer Orientierungsmöglichkeit geworden.

“Auf meinem Strategiepapier stand: Sieh zu, daß du nicht zurechtkommst …“ Auch dies ist Indiz für die akzeptierte Produktivität einer aufgenötigten eigensinnigen Haltung. Selbst wenn der Autor die Anweisung erteilt, sich außerhalb des Mahlstroms zu halten, ist das „Verstörtsein“ eine dunkle, eine „herbe Energie, die mich im Verhalten voranbringt.“

Das Dickicht verlangt Anpassung. Anpassung an dieses Dickicht. Eine Anpassung, die letztlich selbst wieder Dickicht ist und verursacht. So dass einem vielleicht nur übrigbleibt, spekuliert das Ich jener Texte, als sarkastisches Experiment das Gegenteil zu leben und zu vertreten. Und zu hoffen, dass die Erfahrung jener besonderen Dialektik das Leben zu durchdringen erleichtert. Was aber bestenfalls lokal gelingt und temporär. Mechanismen zu durchschauen heißt nicht, sie bewältigen oder benutzen zu können. Erkenntnis, scheinen die Texte zu sagen, verschärft die Umstände nur. Weil deutlich werden könnte, dass das mögliche Richtige im falschen Ganzen bloß aus Details besteht.

“Den Standort errechnen“, das funktioniert gerade noch. Aber dadurch allein lässt sich eine Engführung mit der Umgebung nicht gewinnen. Nur etwas ähnliches vielleicht. Das Abwägen der Zustände, die Wiederholung der existenziellen Zweifel ermöglicht, sich eine Bastion zu schaffen, eine Position zu haben. Und sei diese auch nicht mehr als die sinnliche Sinnsuche vermittels Literatur.

Der Autor setzt darauf, „sich ein Leben zu erschreiben durch die Arbeit am Text, die das Leben ist.“ Und dem Alltag, wenn ein Beikommen schon nicht möglich ist, „mit Formulierungen hinterherzukommen.“ Literatur ermöglicht wenigstens eine gewisse Authentizität. Konstruktionen. Das Abgegriffene durch Begreifen zu erschließen suchen und durch die Frage: Wo wäre ein freiwilliger Raum, ein Freiraum zu finden? „So füllte ich mir“, schreibt Jansen, „die Leerstellen aus.“

Ähnlich wie Rilke im Malte Laurids Brigge, dessen artgleich fragile Bewusstseinsprosa von „schrecklicher Wirklichkeit“ und deren „zähen Unvergänglichkeit“ berichtet, blickt Johannes Jansen aus sich heraus auf das Ich und in sich hinein auf die Welt. Zwanghaft (Stichwort „Stützkorsett“), aber auch mit Lust an der Erfassung der Umstände und der Enttarnung von Trugschlüssen und Heilsversprechen. Der aggressive Ekel, der sich in Jansens frühen Texten zeigte, ist zuletzt subtileren Ausdrucksformen der Ernüchterung gewichen. Dahinter steht kein Zuwachs an konservativem Denken. Es scheint eher die Folge zu sein einer mit den Jahren erlernten Pragmatik.

Jansen verlangt sich in seinen Texten konzertierte Aktionen des Beharrens ab. Auch in Schleifen kommt man voran. Möglicherweise. In der Analyse eines unauflösbaren Rests. Sich das Dickicht dadurch anzupassen. Denn dies kann bereits eine Autonomie sein: Die Skepsis in Lauerstellung zu halten.