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April 2003
Tobias Lehmkuhl
für satt.org

Sibylle Lewitscharoff:
Montgomery

DVA, Stuttgart 2003

Sibylle Lewitscharoff: Montgomery

352 Seiten
19,90 EUR
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Sibylle Lewitscharoff:
Montgomery


Wenn die Hauptfigur eines Romans "um die 50", aber doch eher an die 60 Jahre alt ist, einen überempfindlichen Magen und einen aufreibenden Beruf hat, zu allem Überfluss noch raucht und täglich mit Mama telefoniert, kann es mit ihr eigentlich kein gutes Ende nehmen. Heißt sie dann nicht einfach nur "Montgomery", wie der Titel von Sibylle Lewitscharoffs neuem Buch lautet, sondern trägt sie den umständlichen Namen "Montgomery Cassini-Stahl" und den unglücklichen Spitznamen "Blechle", dann scheint das Feld für die Betrachtung einer problematischen, wenn auch nicht unbedingt schwierigen Persönlichkeit bereitet. Dazu braucht es keine Rahmenhandlung, die die Erzählperspektive rechtfertigt. Man tut gut daran, die entsprechenden Seiten zu überblättern, und sich direkt "Montgomery" zuzuwenden, der, in Stuttgart aufgewachsen, seit vierzig Jahre in Rom Filme produziert.

Als ihn der Leser kennen lernt, ist er gerade mit seinem ehrgeizigsten Projekt beschäftigt, der Verfilmung des Lebens von Josef Süß Oppenheimer, eines Juden, der im 18. Jahrhundert am württembergischen Hof Finanzdienstleister war und nach dem Tod seines Herrn von den dessen eifersüchtigem Gefolge aufs Schafott gebracht wurde. Montgomerys Eifer, diesen Film zu realisieren, speist sich nicht zuletzt aus der braunen Vergangenheit seiner Familie, die als bitterböse Satire immer wieder anklingt: "Die Gegnerschaft seines Großvaters hatte sich darauf beschränkt, daß er Gauleiter Murr für zu primitiv, Hitler für zu laut, Göring für zu fett und einen Krieg, den man nicht gewann, für verfehlt gehalten hatte."

Der Produzent ist ein Manager, seine Haupttätigkeit besteht darin, Leute zu unterhalten, sie aufzupäppeln, für etwas zu begeistern oder von etwas abzubringen, er ist ein Mädchen für alles auf dem Gebiet der Gemütspflege, jemand, der einsam ist, eben weil er nur als Gesellschaftswesen existiert. Raum zur Identifikation gibt es insofern reichlich, als Lewitscharoff deutlich vor Augen führt, wie anstrengend und ermüdend jedes Leben sein kann, was für eine Tour de Force manchmal selbst ein informeller Snack in einem Straßencafé bedeutet.

Sag mir was du isst, und ich sage du, wer du bist: Ganz Schlaue haben bei Montgomery da ein leichtes Spiel, aber viel mehr Zeit, ihn kennen zu lernen, hat kein Leser, gerade mal sechs Tage, und er weiß das (es sei denn, er überblättert den Erzählrahmen). Doch diese Spanne reicht Lewittscharoff vollkommen, um ein einleuchtendes Portrait dieses Montgomery zu vermitteln, der manche Züge des Fürsten Salina aus Lampedusas "Leoparden" trägt. Nur ist er eben ganz hager, weil sein Magen kaum mehr als Joghurt und Pfirsiche verträgt. Nach außen aber ist er brillant, ein auftrumpfender Macher der Traumfabrik, ähnlich wie – um die Verhältnisse wieder gerade zu rücken – der Regisseur Georg in Thomas Lehrs auch nicht schlechtem Roman "Nabokovs Katze". Für den Leser aber ist er ein zum Tode Verurteilter (und das ist seine einzige Gemeinsamkeit mit Oppenheimer), dem nur sechs Tage und ein kurzes Glück bleiben, bis er sich auflöst.

Man beklagt gern die Flut an Berlin-Romanen, bezaubern lässt man sich aber immer wieder von Rom-Romanen. Die Gründe dafür liegen wohl auf der Hand, bzw. in der Goethes. Und viel bedarf es gar nicht, ein paar klingender Namen, einer Idee von frischem oder faulendem Obst in italienischer Sonne, und es ist, gerade im deutschen Winter, ein Schauplatz hergerichtet, an den man sich gerne versetzen lässt. Die Tragödien, große wie kleine, wiegen hier etwas leichter. Es mag einem hier Thomas Bernhards "Auslöschung" in den Sinn kommen, kein Rom-Roman, aber einer, dessen Ich-Erzähler ebenso wie Lewitscharoffs Cassini in Rom ansässig geworden ist, ohne sich von der verhassten Heimat wirklich lösen zu können. Und ob für "Montgomery" diese Parallele eine Rolle spielt oder nicht, an einer Stelle blitzt Bernhard auf, und darin Lewitscharoffs stilistisches Vermögen: "Es war mir ein Vergnügen, und es währt noch, da wir auf diesem Gehsteig stehen, sozusagen ein Gehsteigvergnügen, ein wie auch immer, entschuldigen Sie meine Worte, außerordentliches Vergnügen. Ich fürchte -"