Friedrich Achleitner:
einschlafgeschichten
Ein Platz in der Literatur- und Kunstgeschichte ist ihm bereits seit langem sicher: Friedrich Achleitner war Mitglied der legendären Wiener Gruppe, einer der letzten authentischen Äußerungen der Avantgarde, konzeptpoetische Kaderschmiede und Keimzelle des Happenings noch vor dem eigentlichen Aufkommen von Aktionskunst und Fluxus.
Seit dem Ende dieser Gruppierung zu Beginn der 60er Jahre konzentrierte sich Achleitner verstärkt auf seinen Brotberuf, die Architektur, und machte sich zudem als Baukunstkritiker einen Namen. Literarische Veröffentlichungen blieben jedoch rar. Jetzt aber ist er mit einem kleinen Prosabüchlein hervor getreten, das eine gelungene Mischung aus jener anti-literarischen Tradition der Wiener Gruppe und einem locker-ironischen, ja altersweisen Umgang mit Sprache und Wortspiel darstellt. Die bisweilen hermetisch-unzugängliche Praxis der Wiener Gruppe ist hier zugunsten eines pointierten Blicks auf die kleinen Dramen und Grotesken des Alltags gewichen, ohne dass dabei die sprach- und obrigkeitskritische Perspektive aufgegeben würde, die für den avantgardistischen Autorenkreis um Oswald Wiener, Konrad Bayer und Gerhard Rühm symptomatisch war.
Achleitners "einschlafgeschichten" verströmen einen typisch österreichischen Witz und Charme, zuweilen geprägt von einer Lust am Morbiden. Wenn etwa ein "dichter höheren grades" im vertrauten Kollegenkreis Überlegungen anstellt, analog zum "Vorlass", der Einrichtung eines archivarischen Depots zu Lebzeiten, eine "Vorleich" zu machen, ein präventives Leichenbegängnis, bei dem der "Jubilar" sich einen Geschmack davon verschaffen kann, was seine intimen Freunde und Bekannten wohl beim realen Totenmahle so von sich geben werden.
Die phantasievollen Geschichten beziehen sich häufig auf die alltägliche Realität, aber verschieben sie bisweilen auch und lassen so das Mögliche im Wirklichen aufscheinen. Wie beispielsweise die fiktive Kampagne eines österreichischen Tourismusortes, in dem die Besitzer von Andenkenläden auf einmal ihre Waren offensiv als "Kitsch" auszeichnen und den Konsumenten vom Kaufe abraten. Selbst nach Aufhebung dieser Maßnahme bleibt ein Bewusstsein vom Kitsch zurück, ein Dilemma, das allein ein Einreiseverbot der bisherigen Kurgäste für ganze zehn Jahre aufzulösen vermag.
So harmlos und humorvoll diese Geschichten scheinen, sind sie nicht immer, folgendes Beispiel mag veranschaulichen, wie spielerisch Achleitner auch historisch ernste Themen ideologie-kritisch einzuarbeiten versteht:
vorzeichen
Als die dogge des tierfreundes und deutschen reichskanzlers otto von bismarck-schönhausen den dackel des hoteliers straubinger zu tode biss, sahen viele kurgäste von bad gastein darin ein schlechtes vorzeichen für die künftigen deutsch-österreichischen beziehungen. Allerdings wurde gleichzeitig und glaubwürdig von augenzeugen berichtet, dass der dackel voll bewunderung für das edle deutsche tier sich mit wollust hatte zerbeißen lassen. auch das war ein vorzeichen.
In solch buchstäblich "bissiger" Weise thematisiert Achleitner den nur allzu willigen Anschluss seines Landes an das Dritte Reich, eine Tatsache, die man dort bis heute gern verdrängt. Die kleine Parabel demaskiert so den kollektiven Unschuldsmythos der österreichischen Gegenwartsgesellschaft, die sich in Verfälschung der historischen Fakten immer mal wieder als Opfer des Faschismus, statt als Täter hinzustellen beliebt.
So tiefgründig ist nur ein Teil der Achleitner’schen Kurzprosa, anderes ist von der reinen Freude am spielerischen Gebrauch der Sprache gekennzeichnet. Was für Schwitters der Schnupfen, ist für Achleitner der Husten einer alten Dame, die im Bahnhof von Bruneck zwei knallende Huster loslässt und im Zug immer wieder "zweifach heftig, laut, trocken, sozusagen hoch, ganz vorne am Gaumen" hustet, was das Zeug hält. Die also die gesamte Palette möglicher Hustensarten inszeniert, denn – kein Zweifel! – "ihr husten war perfekt, ein kunstwerk."
Kleine Kunstwerke sind auch Achleitners "einschlafgeschichten", der Buchtitel trifft ihren Charakter perfekt, denn diese kurzen Texte lassen sich eher häppchenweise goutieren, um sich einzunisten, sich zu verändern, dann fortzuwirken.