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September 2003
Ron Winkler
für satt.org

Lars Gustafsson:
Auszug aus Xanadu

Gedichte
Aus dem Schwedischen von Hans Magnus Enzensberger und Verena Reichel
Hanser Verlag, München 2003

Lars Gustafsson: Auszug aus Xanadu

104 Seiten, geb.
14,90 EUR
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Auszug in die Erfindungen

Was im Gedicht steht, mag sehr oft ganz treffend sein. Damit ist aber noch nicht geklärt, ob es auch das jeweils Richtige ist. Vielmehr scheint es so zu sein, als berichtige das Gedicht das Richtige. Und spreche der Realität die Authentizität ab, um deren Korrektur im eigenen Fundus als eigene, primäre Kreation zu etablieren.

In Lars Gustafssons neuen Gedichten lässt sich das hin und wieder sehr schön beobachten. Natürlich ist ein Morgen, wie Gustafsson schreibt, kein kalter grüner Streifen. Aber durch jenes dekretierte Emblem, die poetische Fassung, tritt er an uns heran. Als in eine mögliche Richtigkeit verfälschte, in gewisser Hinsicht sogar prägnantere Realität.

Es sind die Erfindungen der Kunst, die auf die Essenz einer Sache verweisen können, indem sie diese ein wenig ignorieren und anders machen.

Eingangs der poetischen Beweisführung „Natürlich ist Supermann Clark Kent“ heißt es auktorial kühl:

Für Bertrand Russel und noch länger nach ihm
war das mit der Existenz nicht besonders verzwickt.
Die Existenz war eine Krähe,
die geflogen kam, wenn man sie brauchte,
ein umgedrehtes E
das besagte, daß etwas,
das sich »x« nannte, ein Wert
auf einer Variablen war. Die oft »f« hieß.
Ex (fx): es gibt ein x, das f ist.
-Ex (fx): es ist nicht so, daß es ein x gibt, das f ist.
Mit dieser Methode konnte man zeigen:
es ist nicht der Fall, daß jemand jetzt
König von Frankreich ist und glatzköpfig.
Also wird diese Behauptung nicht sinnlos,
sondern falsch.

Für die Poesie sind falsche Behauptungen keineswegs sinnlos, sondern Arbeitsgerät. Ihr Kalkül: mittels der Verschiebung von Werten und Variablen neue Semantiken zu erschließen.

Lars Gustafsson gelingt das in seinem neuen Gedichtband ein ums andere Mal sehr gut. Sei es, indem wie eben eine Beobachtung auf groteske Weise examiniert wird, sei es durch kalkulierte Schrulligkeit oder aufsässige Ironie. Oder durch das mit propädeutischer Ruhe vollzogene Weihen einer seltsam richtig werdenden Situation. Wie zum Beispiel in „Landschaften Seelenzustände":

Keine Landschaft ist ein Seelenzustand.
Aber einige Seelenzustände sind Landschaften.
Es gibt einen, der sieht aus
wie das Land westlich von Pecos.
Vollständig flach, so weit das Auge reicht,
mit zahllosen Sträuchern und einigen wenigen
kleinen schwarzen Ziegen,
denen es auf seltsame Art gelingt,
bittere Blättchen
von den Dornenzweigen zu rupfen.