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September 2003
Stan Lafleur
für satt.org

Heinz Ratz:
Hitlers letzte Rede

Edition AV 2003

Heinz Ratz: Hitlers letzte Rede

63 S., br.
9,00 EUR
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Letzte Worte?

Für sein Monologstück „Hitlers letzte Rede“ läßt der Karlsruher Autor und Liedermacher Heinz Ratz den großen seitengescheitelten Diktator aus dem Zwielicht zeitgenössischer Demokratie ins Rampenlicht treten, um ein paar jederzeit gern unterschlagene Gesellschafts-Phänomene herauszuposaunen: Austauschbarkeit von Ideologien, Machtwillen versus schäfisches Massenverhalten und willkürliche Dehnbarkeit von Moralbegriffen sind die Themen dieses Einakters.

Klasse schon der Buchumschlag, gestaltet von Reinhard Kleist: Selbstbewußt, mit konzentrierter Miene und knalliger Pappnase steht des gemäßigten Deutschen Inbegriff vom Despoten hinterm Standmikro und fixiert – ja wen eigentlich? Sich, uns? Vermutlich alle, mal abwechselnd, mal zusammen, genau wie im Verlauf der eigenwilligen Rede, zu der das scheinbar abgetakelte Phantom sogleich anhebt. Schließlich handelt es sich um eine Eroberernatur, die vor nichts und niemand – mal abgesehen von sich selbst – haltmacht. Also gibt Hitler eine scharfe Rede, mit Vokabeln der Moderne aufgefrischt, eine Rede voller starker stichelnder Sätze, eine Rede, die man deswegen ungern anhören mag. Allzuschnell fühlt man sich allzudirekt angesprochen. Ein guter Schuß Wahnsinn macht die Chose bekömmlicher.

Folgende Szenerie gilt es sich vorzustellen: Auf der Suche nach einem ebenbürtigen Gegner tourt Adolf Hitler ein letztes Mal durch die heutige Bundesrepublik, das Kernland seines einstigen Reichs. Müde gleichwie siegesgewiß ahnt Hitler, daß dieser Gegner “der sagt: ich rette die Welt …!“ ihm nirgendwo entgegentreten wird. Wie einst im Mai analysiert er den Status quo der Gesellschaft: “Heißgelaufene Fernseher, brave Studenten, Banklehrlinge, eine Ablenkungsindustrie ohnegleichen und weil das nicht genügt: die Gehirne im Bierbad, im Drogennebel, im übelsten Dunst esoterischer Selbstbeweihräucherung ( …). Und daraus ( …) soll eine Idee geboren werden, mächtig genug, den Absturz der Menschheit aufzuhalten? Ihre Jugend ist morbide, kraftlos und ohne Einfälle. Sie gibt nicht im geringsten zu Hoffnungen Anlaß!“

Unversehens findet sich das Publikum in der Defensivrolle. Mit Schwung und gradezu aufs Ziel läßt Ratz seinen Hitler abledern, da bekommt jeder sein Fett weg, natürlich auch der Deutsche an sich: “Maschinenmensch oder Idealist! Diese Weißwurst- und Knödelfresser und Bierschlürfer und Wirtsstubenhelden! Wie kann man behaupten ich hätte die gemocht?“

Hitlers munteres Starkstrompalaver kurvt waghalsig voran, streift, was zu streifen ist, der Meister aus Braunau sieht sich als universeller Erneuerer und Verbesserer “( …) in eine Reihe zu stellen mit den großen Wertschaffern und Wertzerstörern der Menschheit – am besten gleich neben Christus“, ein nietzscheanischer Großsprecher und Blender, sich seiner Macht qua Rhetorik bewußt: Die Masse ist bereit zu Folgsamkeit. Punkt. Doch gegen Ende gerät der Rhetor ins Schlingern.

Daß das Stück mit einer gehörigen Portion politisch motivierter Wut angemischt ist, macht es wuchtig. Hitlers gegen Redeschluß zunehmende Verwirrtheit schwächt die darin enthaltenen Anklagen auf ein Maß „menschlichen“ Betrachtens ab. Die wirklich großen Ideen bleiben Göttersache. Mit Menschen lassen sie sich schonmal garnicht umsetzen.

Der Band ist ergänzt um ein fingiertes Interview, das den privaten Blick des Autors auf sein Werk anbietet, sowie einen Essay „Von der zuweilen notwendigen Obszönität historischen Begreifens“ von Alessandro Topa.