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Oktober 2003
Christian Bartel
für satt.org

Koen Brams:
Erfundene Kunst

Eine Enzyklopädie fiktiver Künstler von 1605 bis heute
Eichborn 2003

Koen Brams: Erfundene Kunst

376 Seiten, geb.
EUR 27,50
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Koen Brams: Erfundene Kunst
Eine Enzyklopädie fiktiver
Künstler von 1605 bis heute



Daß der börsennotierte Eichborn-Verlag mit großem Engagement ziemlichen Unfug verlegt, wird keiner bestreiten wollen, am wenigsten der Verlag selber. Ein Beispiel der jüngsten Zeit ist das nur mit verächtlich gespitztem Mündchen "Kulinarischer Ratgeber" zu nennende Machwerk "Aldi dente", das jeder Bundesbürger völlig unaufgefordert mindestens vier Mal im Jahr von meist nur sehr entfernt befreundeten Menschen geschenkt bekommt. Man kann nicht kochen, was drinsteht, weil es nicht schmeckt und man kann nicht lesen, was drinsteht, weil es langweilt. Mit so einem Unsinn verdient dieser Verlag sein Geld. Dort arbeiten jedoch Menschen, die sich durch völlig abseitige Magister- und Promotionsarbeiten diverser Geisteswissenschaften gequält haben, um ihren Traum, einmal in der Verlagsbranche Fuß zu fassen, Wirklichkeit werden zu lassen. Jetzt sitzen sie da und schreiben Klappentexte für Bücher mit Titeln wie "Besser leben mit Work-Life-Balance".

Damit sie deswegen nicht von den Kollegen von Suhrkamp auf der Buchmesse verarscht werden, verlegt Eichborn auch richtige Bücher, zum Beispiel die "Essais" von Montaigne in einer erschreckend bibliophilen Leinenausgabe. Damit fahren sie ziemlich gut, so daß dem Eichborn-Verlag über die Jahre eine gewisse Literatur-Credibility und gleichzeitig ein verlagsunüblich dickes Finanzpolster angewachsen ist. Im Juni 2000 ist der Eichborn-Verlag an die Börse gegangen, um ein bißchen von letzterem loszuwerden. Das hat gut geklappt, nicht zuletzt dank eines teuer lizensierten und potthäßlichen Harry-Potter-Merchandising, das nicht einmal Hausautor Walter Moers mehr haben wollte. Dieser verließ jüngst auch den Verlag mit der Fliege und heuerte mit neuem Buch bei Piper an. So ganz ging er dann aber doch nicht, schließlich gehören ihm stolze zehn Prozent des Verlages.

Mehr Freude dürfte der Eichborn-Verlag derzeit an der Reihe haben, die Schwerdenker Hans Magnus Enzensberger und Typograph Franz Greno seit 1989 für den Verlag zurechtbosseln. Sie heißt "Die andere Bibliothek" und die ZEIT verstieg sich einst zu der Behauptung, damit "die schönste Buchreihe der Welt" gefunden zu haben. Genauso sieht sie auch aus. Wer ein Exemplar in Händen hält, fühlt unwillkürlich die lang überwunden geglaubte bildungsbürgerliche Erhabenheit des "guten Buches" und den nicht zu leugnenden Distinktionsgewinn eines Druckwerks, welches über Lesefädchen und Goldschnitt verfügt.

Diese "andere Bibliothek" verfolgt kein fest umrissenes verlegerisches Programm, die monatlichen Veröffentlichungen folgen den Grillen und Launen ihres Herausgebers Enzensberger. Neben Romanen wie dem des fantastischen Christoph Ransmayrs (Letzte Welt, Band 44) stehen journalistisch-ethnologische Studien einer Gabriele Goettle (Deutsche Spuren, Band Nr. 152) und literarische Capricen wie "Nie wieder!" (Band 122), eine Anthologie mehr oder minder furchtbarer Reiseerinnerungen. Nun hat Enzensberger mit "Erfundene Kunst – Eine Enzyklopädie fiktiver Künstler von 1605 bis heute" abermals ein Zeugnis seines eher akademischen Humors abgelegt oder besser, ablegen lassen, handelt es sich bei dem vorliegenden Band doch um das Werk einer Handvoll flämischer Enzyklopädisten unter der Leitung von Koen Brams, der ansichtig seiner beachtlichen Bibliographie zu jedwedem gewichtigen Thema Stellung zu beziehen in der Lage zu sein, seine Meriten jedoch hauptsächlich durch die Herausgabe einer belgischen Zeitschrift für Kunst namens "De Witte Raaf" erworben zu haben scheint.

Nun entspringen die fiktiven bildenden Künstler nicht etwa der Phantasie der flämischen Autoren, sie sind vielmehr in mühevoller Lesearbeit dem gewaltigen Steinbruch der Weltliteratur entrissen – "Kunst in der zweiten Potenz" wie der Verlag seine Klappentextschreiber bemerken läßt. Von veritablen Protagonisten wie dem Maler Karabekian, Rabo (* San Ignacio, Kalifornien, 1916; gest. East Hampton, Long Island, 1988) aus Kurt Vonneguts "Blaubart" über eher randständige Figuren wie den Miniaturenmaler Adelmo (*Otranto, Italien; gest. November 1327) aus Umberto Ecos "Der Name der Rose" finden sich bekannte und unbekannte Künstler aus der Literatur mit Biographie und Werk in diesem Lexikon versammelt, sogar ausgewiesene Dilettanten wie Wilhelm Buschs Klecksel, Kuno (*Deutschland, 19.Jahrhundert) finden Gnade und Eingang in das richtungsweisende Werk. Brams und seine Enzyklopädisten treffen den Ton des Künstlerlexikons mit spielerischer Leichtigkeit und wissen ihn auch bei dürftiger Quellenlage und obskursten Persönlichkeiten aufrecht zu erhalten. So wird im trockenen Duktus des Lexikons aus der Karikatur des infantilen Kleinstadtbohemiens Klecksel die beinahe glaubhafte Vita eines deutschen Malers, der wegen seines aufbrausenden und zügellosen Naturells hinter den eigenen künstlerischen Möglichkeiten zurückbleiben mußte. Sehr komisch ist das außerdem.

Ebenfalls entzückend ist die Detailversessenheit und die scheinbar verbissene Seriösität mit der die Autoren die fiktiven Künstlerbiographien und Werke diskutieren. Nirgendwo wird die Wand der Fiktion brüchig und so tut sich ein lebhafter Kunstraum auf, der wohl mit der realen Kunstgeschichte korreliert, bisweilen seinen Vorbilder ganz unverhohlen huldigt oder sie schamlos nachäfft, aber wegen seiner dramatischen Konstruiertheit sinnfälliger und pointierter ist als sein reales Gegenbild.