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November 2003
Anne Kathrin Hahn
für satt.org

Carlo Collodi:
Pinocchio

Thienemann Verlag, Stuttgart/Wien 2003

Carlo Collodi: Pinocchio

Übersetzt und bearbeitet von Sonja Hartl, mit Bildern von Barbara Scholz

208 S. mit vierfarbigen Ill., 13,90 EUR
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Da lügt er immer noch …

Pinocchio - der Kinderbuchklassiker wurde wieder einmal neu übersetzt und illustriert



Da wächst die Nase aus dem Gesicht des Holzmännleins wie eh und je, es will nicht gehorchen, es tanzt übermütig davon und lügt, dass das Holz knirscht. Pinocchio ist ein lebendes Stück Holz, das Carlo Collodi in einem Florentiner Dachstübchen vor mehr als 120 Jahren erfand. Und den pädagogisierenden Umtrieben seiner Zeit folgend, packte er dem eigentlich witzigen Bübchen gewichtigen Moralkitsch auf die zarten Schultern. Man soll den Vater achten, brav zur Schule gehen … Sie wissen schon. Gähn, wie langweilig. Generationen von Literaten, Trickfilmern und Filmemachern versuchen sich seitdem an dieser Marionette. Mit genialen Ergebnissen, wie die russische Version des Burratino beweist – und weniger originellen. Leider muss die Neuerscheinung des Pinocchio im traditionellen, dem Kinderbuch verpflichteten Thienemann Verlag, letzteren zugerechnet werden.

Vor uns liegt eine umfangreiche, auf 200 Seiten in Hardcover gebrachte Neuübersetzung des Kinderbuches. Sonja Hartl hat das umständliche Italienisch Collodis in ein schwer verständliches Deutsch aus Grimms Zeiten gebracht, das in krassen Kontrast zu den modernen Bildtafeln von Barbara Scholz steht. Die Illustratorin erfand erstaunliche Bildsituationen zu der Geschichte und interpretierte andere neu. Doch so überraschend die Tafeln wirken, dem schon Pinocchio-vertrautem Kind fehlen gleich eingangs die Grille, das Küken, die Fibel und der Feuerfresser, um nur einige wichtige Reliquien zu nennen. Von der Fee mit den blauen Haaren und ihrem Pudel ganz zu schweigen, sie fehlen komplett! Den größeren Kindern, die selbst lesen und der Geschichte nicht von Illustration zu Illustration harren, mag das sehr gefallen. Kleinere Kinder winken ab.

Das große Problem dieses an sich schön gestalteten Buches sind jedoch die sprachlichen Stolpersteine. Auch wenn die Übersetzerin sich gemüht haben mag, altertümliche Äquivalente wie Keilerei, Maiswedel, Deichsel, Docht und Schemel zu finden, sie lassen das Vorlesen zur Qual werden. Ständig ist der Vorleser in Worterklärungen verstrickt oder müht sich selbst um das, was gewitzte Übersetzer hätten leisten können – Pinocchio endlich in unsere Zeit zu holen. Leider bleibt er aber der Hampelmann, dessen Ungehorsam heute wenig rührt. Aber vielleicht hat ein Kind wirklich Freude daran, Sätze wie diesen zu verstehen: Der Pudel trug „des weiteren rote Kniehosen aus Samt, Seidenstrümpfe, zierliche Schühchen und rücklings hatte er eine Art Schirmetui aus dunkelblauem Stoff als Schwanzspitzenschoner bei Regenwetter.“

Puh, bald wird unser Kind nach dem Burratinobändchen verlangen oder doch lieber den Pinocchio Trickfilm im Fernsehen schauen. Schade um die verpasste Chance!