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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



November 2003
Anne Kathrin Hahn
für satt.org

Laura Hird:
Nägel

Eichborn, Frankfurt/Main 2003

Laura Hird: Nägel

223 S., 19,90 €
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Freunde im Geiste

Ein brutaler, sinnlicher
Erzählungsband von Laura Hird



" …Er hielt ihr die Hand hin, auf der etwas weiße Soße schwamm, die wie Flüssigseife aussah, und sagte, das sei ein ganz besonderes Elixier. Wenn sie das trinken würde, könnte ihre Mutter nie erraten, dass sie Schokolade gegessen oder mit Streichhölzern gespielt hatte. Er hielt ihr die Hand vor die Nase. Es sah nicht gerade lecker aus …"

Ein kleines Mädchen wird mit diesem Elixier eingerieben, das, der Leser merkt es bald, nicht anderes als einen Samenerguss darstellt. Der Klavierlehrer Mr. Paterson in der Erzählung "Freunde im Geiste" wichst angesichts der süßen Schülerin heimlich im Badezimmer, um die Kleine danach mit dem weißen Zeug einzureiben und … Igitt! Aber aus der Sicht der Kindes zögert unser Empfinden dann wieder, die Kleine sieht das gar nicht so. Wie kann etwas eklig sein, das wir nicht kennen? Dieser Mann ist doch bezaubernd, er verspricht, ihr das Fliegen beizubringen und streichelt sie ganz zärtlich.

Die zehn Erzählungen der Engländerin Laura Hird, 1966 in Edinburgh geboren, versammeln ein Kaleidoskop an extremen menschlichen Exemplaren und Handlungen. Das verrückte daran ist nur, dass die Scheidewand zwischen normal und extrem sehr, sehr dünn ist.
Meisterhaft führt Hird uns hinters Licht, wenn sie – in brillanter Sprache – alltägliche Situationen beschreibt, uns in ein England der Middleclass führt, um dann irgendwann die Keule auszupacken. Da wird ein Kater zu Tode gequält, eine Tote serienweise vergewaltigt, die eigene Schwester verbal gefoltert … Es geht hart zur Sache!

Besonders ergreifend sind die Erzählungen, die aus der Perspektive von Kindern oder Jugendlichen geschrieben sind. Zum Beispiel die Erzählung "Busfahrten". "Ist mein zwölfter Geburtstag heute. Auf dem Plakat in der Bushalte prangt das Foto von einem mickrigen Bubi, und darüber steht 'Sie wollen Drogen? Kein Problem, fragen Sie einen Zwölfjährigen'. Aber wenn mich wer fragt, sag ich kein Wort, weil sonst prügelt mich Scott windelweich. Mum hat ihren Stoff im Wohnzimmer, oben auf der Schrankwand in der Obstschale, versteckt in einer Filmdose, da, wo auch die Knete liegt; also könnte ich jederzeit ran, wenn ich wollte, aber ich will nicht. Drogen sind kacke …"

Die Einfühlsamkeit in ihre Personage ist das besondere Kunststück dieser Erzählungen Laura Hirds. Ob Soldat, Hausfrau, Teeni, gar tote Lesbe, sie schafft es, uns glaubhaft aus deren Gedankenwelt zu berichten. Möge Hird die Schreiblust nicht verlassen und ihr geschärfter Blick auf die Zwischentöne des Lebens noch viele krasse Bücher hervorbringen.