Was geht uns der Orient an?
Navid Kermanis Reiseberichte
Schöner Neuer Orient.
Berichte von Städten und Kriegen.
Unter den Folgen der Anschläge auf das New Yorker World Trade Center im Jahr 2001 gab es eine, die sich mit ein wenig Medienroutine und einer Portion Zynismus von vornherein absehen ließ: die Gier einer schockierten Öffentlichkeit nach Informationen über die Täter, über die islamische Welt und ihr Verhältnis zu den westlichen Industriestaaten. Schnelligkeit ist die Kunst, von dieser Gier zu profitieren; von der Masse an Publikationen, die in aller Eile auf den Markt bzw. in die Medien gelangen, hält allerdings wenig einer kritischen Lektüre stand. Für gewöhnlich liest oder sieht man nach Kurzem über dergleichen Berichte hinweg schließlich gibt es immer wieder neue Nachrichten. Dass sich unter den Reaktionen auf die Anschläge auch kenntnisreiche und differenzierte befanden, dass vieles ohnehin Beachtenswerte über die islamischen Gesellschaften erst jetzt Aufmerksamkeit erfuhr, bleibt davon unberührt. Dazu gehören Navid Kermanis großartige Reiseberichte aus Ägypten, Pakistan, Tadschikistan, Indonesien, Israel, Palästina und dem Iran, entstanden in den Jahren 1995 bis 2002. Sie sind kürzlich gesammelt unter dem spöttischen Titel Schöner Neuer Orient bei C.H. Beck erschienen.
Kermani ist ein Idealist im positiven Sinne, einer, der sich nicht damit abfinden will, dass wir uns durch die Aufmerksamkeits-Rituale der vermeintlich unmittelbaren und zeitnahen Medien Internet, Zeitung und Fernsehen die Probleme der Welt auf Distanz halten, sie auf schauererregende Anekdoten reduzieren, durch die wir in einem Akt des Exotismus letztlich nur unsere eigene behagliche Weltsicht bestätigen. Die Aufteilung von Städten wie Karatschi, Kairo oder Jakarta in die bewachten und von Verkehrsadern abgeschotteten Viertel der Wohlhabenden, und die Wohngebiete jener, die sich keine Mauern leisten können, sieht Kermani auch in der deutschen Öffentlichkeit am Werk: „Man mag diese Wahrnehmung als skurril abtun, dabei drohte sie in den letzten Jahren mehr und mehr zu unserer eigenen zu werden. Der Unterschied bestand vor allem darin, daß unser Ghetto ein bisschen größer und die Wege zu unseren Stützpunkten draußen, den Hotellobbys, Feriensiedlungen und den lokalen Umschlagplätzen der Weltwirtschaft, ein bisschen länger waren. Unsere Hochstraßen verliefen auf dreißigtausend Fuß.“ Den „kulturalistischen Erklärungsmodellen“ in weiten Teilen von Wissenschaft und Presse hierzulande, die unter Verweis auf Religion, Gebräuche oder Ideologie Ländern wie dem Iran, Ägypten oder Tadschikistan die Fähigkeit zur Demokratie absprechen, setzt Kermani die These entgegen, dass die Moderne ein globales Zeitalter sei, in welchem weniger Ideologien als Profitstreben und Pragmatismus herrschten. Die humanistische Sicht, aus der er über die Menschen in kollabierenden Staaten berichtet oder die vielschichtigen Motive und Formen dessen, was wir als Islamismus zu verallgemeinern gewohnt sind, überzeugt nicht zuletzt deswegen, weil er in seinen Berichten offenbar kaum beschönigt, oft Widersprüche sichtbar macht, dafür aber zahlreiche Parallelen westlicher und orientalischer Gesellschaften nachweisen kann, und klug genug ist, aus der Analyse keinen direkten Handlungsappell abzuleiten.
Kermani wechselt in seinen Reportagen, die zunächst in verschiedenen Zeitungen erschienen, geschickt von persönlichen Erfahrungen und Anekdoten zur politischen Analyse oder dem Bericht über die Geschichte der bereisten Länder. Er erweist sich als ein einfühlsamer Übersetzer, im umfassendsten Sinn dieses Wortes, der seine Sprachkenntnisse und seine Bildung Kermani ist Iraner und Islamwissenschaftler zur Vermittlung gebraucht. Man kann als Leser Kermanis tatsächlich einiges von der Distanz aufgeben, die man vielleicht bislang empfunden hat, ob sie nun aus der oben beschriebenen Eigentümlichkeit der hiesigen Debatten herrührt oder nicht. Der Autor vertraut nun insofern zurecht auf das langsame Medium Buch, und die Texte, die er schreibt, wird man noch lange mit Gewinn lesen können. Ob man aus den Berichten lernt, und anschließend differenzierender auf die Welt blickt, oder ob man sich von Kermanis klugen Beobachtungen nicht doch einfach nur unterhalten lässt und die literarischen Qualitäten seiner Berichte über die Länder im fernen Orient genießt, das allerdings wird jeder Leser selbst entscheiden müssen.