Wie kamen Sie und Ihre Mitstreiter auf die Idee, Bücher über Automaten anzubieten?
Marc Degens: Die Leseheftreihe ist eine sehr ungewöhnliche Reihe. Das hängt mit den Autoren, aber auch mit dem Umfang und den Texten zusammen. Wir veröffentlichen Erzählungen, Gedichte und kurze Theaterstücke, teilweise von relativ unbekannten Autoren. Damit hat man es im normalen Buchhandel naturgemäß sehr schwer. Und deshalb haben wir von Anfang an nach neuen, ungewöhnlichen Vertriebswegen gesucht. Die Idee, Literatur im Automaten zu verkaufen, drängte sich bei dem Format und dem Preis geradezu auf – die Idee ist wirklich nicht originell. Der Reclam Verlag hatte von 1912 bis 1940 eigene Heftautomaten, in den siebziger Jahren verkaufte Roth-Händle laut Auskunft des Dichters Bert Papenfuß Kurzkrimis in Zigarettenautomaten, in Hamburg stand ich mal vor einem "Comics aus der Dose"-Automat und hier in Berlin gibt es meines Wissens nach auch einen Märchenautomaten. Außergewöhnlich ist in unserem Fall allerdings die Tatsache, daß unsere "Konkurrenten" Süßigkeiten sind und wir uns neben Weingummi, Zwiebelringen und Schokoriegeln behaupten müssen. Dafür aber haben wir andererseits eine Monopolstellung in dem jeweiligen Automaten.
Welches Ziel verbirgt sich hinter dieser Aktion?
Marc Degens: Wir haben viele verschiedene Ziele. In erster Linie suchen wir einen Absatzmarkt für unsere Hefte. Und das läuft bislang auch ganz gut, so konnten wir in den ersten Monaten größtenteils tatsächlich mit den anderen Produkten umsatzmäßig mithalten. Und das ist wichtig. Außerdem ist das Medienecho gewaltig. Die Bildzeitung hat über die Aktion berichtet, aber auch die Neue Zürcher Zeitung. Der Deutschlandfunk, der Tagesspiegel, die Berliner Zeitung … Feuilleton und Boulevard. Mitunter gab Frank Maleu, unser Geschäftsführer, zwei bis drei Interviews täglich. Und in TV Berlin waren wir sogar mehrmals Nachrichtenaufhänger, der Beitrag wurde im Wochenrückblick sogar noch einmal gezeigt. Dieses Medienecho ist für uns natürlich toll. Unsere Heftreihe wird bekannt und die Leserschaft, die unsere Hefte bestellt, vergrößert sich. Aber auch neue und bekanntere Autoren können wir so für unsere Reihe gewinnen. Wir sind ja ein relativ kleiner Verlag – mit bescheidenen Mitteln. Trotzdem ist es für viele Autoren verlockend, demnächst neben Haribo und Twix zu stehen.
Was mich sehr interessiert, ist die Frage, wie der Vertrieb funktioniert? Und wie es zur Kooperation mit der Firma Quickland kam?
S-Bahn-Station Gesundbrunnen (Gleis B)
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Marc Degens: Wir haben angerufen, einen Termin gemacht und mit Quickland einen Testlauf vereinbart. Der war erfolgreich. Und der Vertrieb funktioniert so, daß wir die Hefte in der Firmenzentrale abgeben. Gebündelt zu Fünfer-Packen, denn im Automaten befinden sich pro Spirale einundzwanzig Hefte mit jeweils fünf verschiedenen Titeln – das heißt, wenn ein Heft gekauft wurde, steht ein neuer Titel vorn. Die Fahrer bringen die Hefte dann zu den jeweiligen Standorten und verteilen sie in den Automaten. Nach einer bestimmten Zeit werden die Automaten dann nachgefüllt, je nach Umsatzstärke des Automaten. Wir verkaufen bislang in Jugendhotels am besten, wir sind aber auch in Kantinen und sogar einer Kaserne vertreten. Das läuft natürlich nicht so gut, weil wir eher auf wechselnden Kundenverkehr angewiesen sind. Ideal wären wahrscheinlich Bahnhöfe.
Was uns in unseren Gesprächen mit den Automatenaufstellern hilft, ist die Tatsache, daß die Firmen selber nicht wissen, was läuft und was nicht. In Japan sollen ja auch CDs und Textilien in Automaten verkauft werden, und die Firmen sind selber neugierig und testen uns aus. Dann entscheiden allein die Verkaufszahlen und der Vergleich mit den anderen Produkten. Ein Pluspunkt für uns ist dabei die geringere Mehrwertsteuer und die längere Haltbarkeitsdauer. Bei Bahnhofsautomaten fällt der letzte Punkt allerdings nicht ins Gewicht, weil die so rasch nachgefüllt werden. Zur Zeit werden wir übrigens an einem der umsatzstärksten Bahnhofsautomaten [U-/S-Bahnstation Gesundbrunnen] in Berlin getestet. Und wenn wir da die Zahlen und den Umsatz nicht bringen, fliegen wir raus.
Auf welche Probleme und Hindernisse sind Sie bei der Realisation des Projektes gestoßen?
Marc Degens: Das Hauptproblem im Vorfeld war die Standfestigkeit und die Papierqualität der Hefte. Denn die Automaten sind gekühlt, nicht jedes Papier macht das mit. Aber nach einigen Tests haben wir die Sache in den Griff bekommen.
Ist es rentabel, Bücher für nur einen Euro anzubieten?
Marc Degens: Es kommt auf das Produkt an. Wir kalkulieren natürlich sehr scharf, aber das muß wohl jeder Verlag tun, Kleinverlage aber besonders. Uns ist klar, daß wir ein Nischenprodukt anbieten. Als wir 1996 das erste Leseheft produzierten, war das wichtigste für uns, nicht zu viel Geld zu verlieren. Inzwischen trägt sich die Reihe sehr gut, aber mit Leseheften reich werden kann man erst mit gigantischen Auflagenhöhen. Geringe Herstellungskosten senken aber nicht nur das eigene Risiko, denn wenn sie auf die Hefte umgelegt werden und diese echt preisgünstig sind, verlockt es auch viele potentielle Leser zum Ausprobieren. Und das ist ja auch eines unserer Hauptziele: Auf ungewöhnliche Texte und ungewöhnliche Autoren aufmerksam zu machen.
Wer kann alles bei Ihnen veröffentlichen? Ist es eine Chance für Jung-Autoren, auf sich aufmerksam zu machen? Wenn ja, welche Voraussetzungen sollten mitgebracht werden?
Marc Degens: Grundsätzlich kann jeder alles, was in unsere Linie paßt, bei uns veröffentlichen: Lyrik, Prosa oder Drama. Und natürlich sind wir gerade auch für Jung-Autoren ein idealer Verlag. Entscheidend ist allein die handwerkliche Qualität und inhaltliche Originalität. Man sollte sich einfach, bevor man uns Texte schickt, ausgiebig mit unserem Programm beschäftigen und sich fragen, ob man dort hinein paßt. Unser Spektrum ist sehr groß, trotzdem gibt es Verbindungslinien. Unsere Wurzeln liegen in der Comic- und Punkszene, im alternativen Literaturraum der 90er, in Sci-Fi und Pop. Dennoch sind fast alle Texte genreübergreifend. Wir veröffentlichen humorvolle, autobiographische Texte wie die von Ilse Kilic und Fritz Widhalm aus Wien, eher klassische Erzählungen und sehr kunstvolle Gedichte von Hel oder Paul Anton Bangen. Und Trash-Geschichten von Bdolf und Essays von etwa Guillaume Paoli von den Glücklichen Arbeitslosen. Unsere Autoren sind meist noch relativ jung, aber bereits sehr erfahren und fast durchweg Berufsschriftsteller.
Gibt es Lektoren, die sich der Texte annehmen?
Marc Degens: Ja, zwei.
Wer soll die Bücher kaufen? Und wie ist bisher die Resonanz auf diese Aktion?
Marc Degens: Alle sollen die Bücher kaufen, natürlich! Generell wünschen wir uns für die Leseheftreihe Käufer, die aufgeschlossen für ungewöhnliche Erzeugnisse deutschsprachiger Gegenwartsautoren sind. Und unser Wunschkunde speziell am Automaten ist der gewöhnliche Esser. Denn ihn wollen wir zum Kauf und zur Lektüre verlocken. Und die Resonanz auf unsere Aktion ist durchweg positiv, auch von den Buchhändlern. Sie sehen uns nicht als Gefahr oder Konkurrenten an, sondern eher als Ergänzung. Denn unser Wunsch ist es, daß die Käufer nach der Lektüre unseres Heftes sogleich in die Buchhandlungen laufen und dort dann die dickeren Bücher unserer Autoren kaufen. Schließlich führen wir ja auch höherpreisige Bücher in unserem Programm und man kann uns ganz normal im Buchhandel bestellen.
Sind weitere Standorte dafür geplant? Wie soll es weitergehen, was ist geplant?
Marc Degens: Wie gesagt, wir wollen das Ganze ausbauen, eventuell an Bahnhöfen vertrieben werden, gern auch außerhalb von Berlin. Interessierte Automatenaufsteller können sich gern an uns wenden. Aber auch der Verkauf in den Buchhandlungen soll ausgeweitet werden, auch hier freuen wir uns über Kontakte. Von dem Erfolg dieser Bemühungen hängt wiederum ab, wie stark wir die Produktion ausweiten können. Momentan bringen wir jeden Monat ein neues Leseheft heraus, eventuell kann man das ja noch steigern. Texte und Wunschautoren haben wir jedenfalls genug. Außerdem startet im März auch noch die BEGEISTERUNGSSHOW, eine Art Live-Feuilleton. Der Verlag
SUKULTUR ist ja Teil des Internetkulturmagazins satt.org – beziehungsweise umgekehrt. Und mit der Show, die jeweils am letzten Montag im Monat im Kaffee Burger stattfindet, wollen wir unser Kulturmagazin quasi auf die Bühne holen und dort dann aktuelle Comics, Bücher, Filme und Musik, die uns begeistern, vorstellen. Daneben soll es auch jeweils eine längere Lesung und die Präsentation eines neuen Lesehefts geben, das im Eintritt von drei Euro enthalten ist.
Die Fragen stellte Mandy Fox
Mehr zum Verlag und zu den Berliner Automatenstandorten:
» www.satt.org/SUKULTUR/automaten/
DIE BEGEISTERUNGS-SHOW findet ab März jeweils am letzten MoMo (Montag im Monat) im Kaffee Burger statt.