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April 2004
Patrick Baumgärtel
für satt.org

Ariane Grundies:
Schön sind immer die andern

Piper 2004

Ariane Grundies: Schön sind immer die andern

176 S., geb., € 15,90
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Mehr Mut!

Von der verwirrenden Suche
nach einem dunklen Gefühl:
Ariane Grundies' Debüt-Erzählband
"Schön sind immer die andern"

Die einundzwanzig kurzen Erzählungen der jungen Absolventin des Deutschen Literaturinstitutes Leipzig Ariane Grundies drehen sich allesamt um ein altes Thema: Die Suche nach Liebe. Da gibt es zum Beispiel Marie-Lyse, die heimlich in Babette, die frankophile, extravagante Mitschülerin verliebt ist, die aber wiederum nichts von ihr wissen will, auch weil sie am nächsten Tag "eingewiesen" wird. Da ist Thorsten, der auf der Suche nach der Liebe seines Lebens ist und meint, sie in der Nachbarin Magda, der Freundin seiner Mutter, gefunden zu haben. Da ist die dicke Frau, die sich den Mann, der sich im Regen mit seiner Freundin streitet, von der Straße in ihre Wohnung holt. Grundies' Protagonisten sind jung und auf der verwirrenden Suche nach einem dunklen Gefühl, das sie weniger kennen, als dass sie davon gehört haben. Nähern sie sich einmal dem auserwählten Objekt ihrer Sehnsucht, tun sie das auf scheue, ungelenke Weise. Manchmal erfahren die Angebeteten nicht einmal etwas von dem ihnen angedachten Glück. Dann reicht den Liebenden die Liebe in Gedanken. Davon leben sie, wenn die Realität sie im Stich lässt. Und das tut sie meistens. Sie schließen einfach die Augen, wie es die Archäologiestudentin in der vielleicht besten Erzählung "Loïc" tut, wenn Karl, der doch um alles in der Welt Loïc sein sollte, sie weckt: "ich kenne niemanden, der nicht auf eine sinnlose Sache wartet. Ich, zum Beispiel, warte auf Loïc." Und das schon "seit mehr als einem Jahrzehnt"; ein Ende ist nicht abzusehen. Als sie ihn schließlich in der Apotheke abfängt, schafft sie es nicht einmal, Na' zu sagen, schon "das würde wie eine Bedrohung klingen." Ihre aufgesetzte Antipathie scheint dazu verdammt, weiter bestehen zu bleiben. Eine Vermittlung von Innen und Außen fällt schwer, da möchte man den Protagonistinnen schon manchmal "Mehr Mut!" zurufen.

In "Loïc" gelingt Grundies etwas, das ihr in den meisten anderen Erzählungen schwerfällt: einen überzeugenden Plot zu schaffen, der glaubwürdig und nicht vorhersehbar ist. Auch sprachlich ist die Erzählung genauer, konzentrierter und mehrdimensionaler gearbeitet und nicht zu so sehr darauf aus, den Leser durch eine unerwartete, skurrile, aber unglaubwürdige Wende im Geschehen zu überraschen. Hier zeigt sich, dass die Autorin durchaus mit Sprache umgehen kann, was nicht immer offensichtlich ist: In der Eröffnungserzählung Kummer etwa, wird das Fruchtfleisch der Erdbeere "mit Zunge und Gaumen zerquetscht", anstatt "zwischen", da erscheint ein Baby "deformiert", da fallen Sätze wie: "Einfach war es nicht mit ihrem Körper." Die am wenigsten überzeugenden Erzählungen in Schön sind immer die andern sind sprachlich, wie es der Titel schon andeutet, zwischen Alltagssprache und Allgemeinplatz angesiedelt. Nur weil einige der Protagonisten Kinder sind, muss sich das nicht auch in Sprache und Thematik wiederspiegeln, die immer wieder ins Mädchenhafte, Niedlich-Süße abgleiten. Da ist zum Beispiel die kleine Agnes, die in der Erzählung "Schneelandschaft" von ihrem Busfahrer Oswald eine grüne Petroleumlampe geschenkt bekommen hat. Prompt nennt sie ihr Zwergkaninchen Petronella! "Ich mag es so, wenn es schneit, sagt Agnes und nimmt vorsichtig eine weitere Schneekugel in die Hand. Oswald sitzt daneben und schüttelt ein altes Ehepaar auf einer Bank."

Sicherlich kranken einige der Geschichten an dem engen Themenspektrum. Grundies versucht dem durch Verfremdung und Überzeichnung zu entgehen, was aber nur selten gelingt. Die Sujets werden dadurch ja nicht komplexer. Die daraus entstehende liebenswürdige Skurrilität ist nicht immer ein Garant für Komik, wie beispielshalber die Figur der Tante Sissi, der bekanntesten "Hure der Stadt" beweist. Was auch damit zusammenhängt, dass die psychische Konstitution der Protagonisten zumeist recht schlicht gehalten: Tante Sissi verspricht sich beispielsweise das Glück ihrer Nichte Puppi davon, sie zusammen mit einem blonden Zirkusjungen in ihre geliebte Badewanne zu stecken. Vorher musste Puppi noch üben, mit dem Hintern zu wackeln. Wenn's nur so einfach wäre mit dem Glück!