Wolfgang Mittmann wurde am 26. März 1939 in Trebnitz/Schlesien geboren. Er lernte Lokomotivschlosser, holte später das Abitur nach und studierte Kriminalistik. Er arbeitet 34 Jahre lang als Kriminalpolizist und trat 1991 als Kriminalhauptkommissar in den Ruhestand. Mittmannn schrieb eine Reihe von Kriminalromanen und Kriminalerzählungen, die unter anderem in der BLAULICHT-REIHE erschienen. Seine Arbeiten zielten auf eine realistische Darstellung der kriminalpolizeilichen Praxis in der damaligen DDR ab. Seit den 90er Jahren konzentriert sich Mittmann auf True-Crime-Berichte über die Arbeit der Volkspolizei: "Akribisch und mit der Fähigkeit, eine Frage zehnmal zu stellen, ehe er sich für eine endgültige Antwort entscheidet, kann er Akten zum Sprechen bringen und Zeitzeugen selbst nach Jahrzehnten noch interessante Fakten entlocken." Als Sammler von Kriminalliteratur baut er seine Privatbibliothek zum KRIMI ARCHIV OST aus und veröffentlicht 1991 mit Reinhard Hillich eine Bibliographie zur Kriminalliteratur der DDR. Anlässlich seines 65sten Geburtstages hat der Bund Deutscher Kriminalbeamter im März 2004 Wolfgang Mittmann die Ehrenmitgliedschaft verliehen.
Wann und Wie kamen Sie zum Schreiben?
Ich wurde im Jahr 1945 eingeschult. Bereits als Schüler las ich gern. Vorwiegend Trivialliteratur wie "Tom Shark, König der Detektive", "Rolf Torring´ Abenteuer", aber auch Karl May etc. Ein gewisses Schreibtalent zeigte sich schon in der Schulzeit. Im Gegensatz zu vielen Schülern schrieb ich gern Aufsätze, wobei ich die freie Wahl der Themen bevorzugte. Da heimste ich regelmäßig Bestnoten ein. "Erfolgserlebnisse", die in mir den Wusch erweckten, einmal Schriftsteller zu werden.
Warum veröffentlichten sie anfangs hauptsächlich Krimis?
1957 ging ich freiwillig zur Transportpolizei. Damals gab es noch keine Wehrpflicht in der DDR und zur KVP bzw. gerade entstehenden NVA wollte ich nicht. Ich bin kein Militär. 1959 lief meine Dienstzeit ab. Da bot man mir an, in die Kriminalpolizei zu überzuwechseln. Das tat ich dann auch; woran bestimmte Vorstellungen, die man sich als Jugendlicher so über diesen Beruf angelesen hatte, nicht ganz schuldlos waren. Als ich nun tatsächlich die Kripo-Marke in der Tasche trug, musste ich ziemlich rasch einen großen Teil meiner Illusionen über Bord werfen. Dem Krimi-Liebhaber Mittmann stellte sich plötzlich die Frage: "Warum schreibt keiner Krimis, die sich um eine realistische Widergabe der Polizeiarbeit ranken?" Na, und dann hab ich`s halt selber versucht.
Worin unterscheiden sich Kriminal-Literatur-Ost von Kriminal-Literatur-West?
Allein durch ihren gesellschaftlichen Hintergrund und durch die Wertstellung, die dem Krimi in den jeweiligen Verlagsprogrammen zukam. Im Westen ging es ausschließlich um den Unterhaltungswert und die Verkaufseigenschaften eines Textes, im Osten dominierte das didaktische Anliegen, erzieherisch auf den Leser gleich DDR-Bürger einzuwirken.
Seit einigen Jahren erscheinen ihre Bände zur Geschichte der Deutschen Volkspolizei. Was interessiert sie an der VP-Geschichte?
Jede Gesellschaft hat spezifische Strategien zur Bekämpfung des Verbrechens entwickelt, d. h. Gesetze erlassen, Strukturen im Justiz- und Polizeiwesen geschaffen. Und jeder Kriminalfall spielt sich in einem bestimmten gesellschaftlichen Umfeld ab, hat zeitgeschichtliche Hintergründe, die ich aufzeigen will. Ich erzähle Fälle aus der Justiz- und Polizeigeschichte der SBZ und der DDR. Anlass war eine 1984 veröffentlichte Publikation "Geschichte der Deutschen Volkspolizei", in der ich mehrere Propagandalügen aufdeckte, z. B. "Das Eisenbahnattentat von Burkau". Die historische Wahrheit zu ergründen, die hinter solchen Fällen steckt, erscheint mir wichtig.
Sie gehen in ihren Büchern kritisch mit der VP-Geschichte um. Wie sehen ihre ehemaligen Kollegen ihre heutige Arbeit?
Die Frage wird durch die Tatsache beantwortet, dass mir der "Bund Deutscher Kriminalbeamter" anlässlich meines 65. Geburtstages die Ehrenmitgliedschaft verliehen hat. Darüber hinaus bin ich häufig Gast in verschiedenen Seniorenvereinen, denen u.a. ehemalige Polizisten angehören. Weil man aus meinen Texten Authentisches über jene Ereignisse erfährt, die zu DDR-Zeiten mit Gerüchten und Mythen behangen waren, ist die Aufnahme überwiegend positiv.
Warum bearbeiten sie die Geschichte der VP nicht in Krimis, sondern eher dokumentarisch? Hat das auch etwas mit heutigen Lesegewohnheiten zu tun?
Ich schreibe die authentischen Kriminalfälle mit dokumentarischer Detailtreue, bin mir aber immer bewusst, dass in jedem Fall Menschen mit eigenen Lebensgeschichten, Gefühlen und Überzeugungen sowohl auf Opfer-, Täter- als auch Verfolgerseite involviert waren. Diese mit erzählerischen Mitteln einzubringen, so dass der Leser meine Berichte nachvollziehen kann ohne sich diffamiert zu fühlen, erscheint mir sehr wichtig. In meinen Texten versuche ich die Elemente der Dokumentation mit den stilistischen Mitteln des freien Erzählens zu verknüpfen.
Glauben sie an den "Robin Hood" im Kriminellen?
Nein, den gibt es gewiss nicht. Höchstens Gauner, die es verstehen, ihre Opfer mit besonderem Witz und Pfiff übers Ohr zu hauen. Ich denke da an Hasso Schützendorf, der in den fünfziger Jahren den größten Optik-Schmuggler-Ring in der DDR aufgezogen hatte, und die ostdeutsche Wirtschaft um Millionen schädigte. Selbst als es nach der Wende plötzlich "in2" wurde, sich als politische Gegner des DDR-Regimes in den Medien zu präsentieren, bekannte Schützendorf, ihn habe nur die kriminellen Möglichkeiten interessiert, die die deutsche Teilung bot, um Geld zu machen. Politische Aspekte lagen ihm fern. Eine solche Antwort nötigt mir in gewissem Maße Respekt ab.
In ihrem letzten Buch behandeln sie die legendäre Berliner Gladowbande. Im Gegensatz zu anderen Schriftstellern (Schlesinger, Brasch, Gröschner) sehen Sie in Gladow einen normalen Verbrecher. Warum?
Vielleicht hätte man zunächst einmal ergründen müssen, warum die Genannten in Gladow einen Helden sehen wollen. Ich teile Schlesingers Kritik (in seinem Buch "Randow") an der zweifelhaften Verfahrensweise beim Zustandekommen des Todesurteils gegen Gladow. An Tatsachenverdrehungen aus "künstlerischen Gründen" oder reinen Spekulationen, wie sie in anderen Werken auftauchen, kann ich mich nicht beteiligen. Für mich zählen Fakten. Nach beiden Weltkriegen stieg die Gewaltkriminalität in allen Ländern Europas ins Unermessliche an. Auf die 44 Banden im Nachkriegsberlin bin ich in meinem Gladow-Buch eingegangen. Aber auch in München, Wien, Bremen und in Rheinland-Pfalz gab es damals ähnliche Bandenkriminalität.
Dass die Gladow-Bande etwas "Besonderes" gewesen sein soll, ist nach meinem Dafürhalten ein Mythos, der genährt wurde und wird aus der politischen Situation der geteilten Stadt Berlin. Gladows aktivste Zeit fällt in die Monate der Berlin-Blockade. Polizisten wurden an den Sektorengrenzen entwaffnet; dass es auch Westpolizisten traf, wird häufig verschwiegen. Gladow hatte keinerlei politische Ambitionen. "Ob Ost- oder Westpolizei – das war uns völlig egal. Uns interessierten nur ihre Pistolen."
Als spektakulär blieb vielen Berlinern die Schießerei in der Schreinerstrasse in Erinnerung. Die Presse in Ost und West trug nicht wenig dazu bei, das Ereignis auszumalen. Die Polizeiführung Ost feierte die Zerschlagung der Bande als großartigen Erfolg. In den ersten Tagen würdigte sie auch den Anteil, den die Westberliner Polizei zweifelsohne hatte, in aller Öffentlichkeit. Als die ideologische Polarisierung in den Blättern beider Seiten zunahm, verschwand der Dankesanteil. Nahezu gehässige Töne begleiteten die Prozessberichterstattung. Und auch die Todesurteile sind im Gedächtnis haften geblieben. So bietet die Gesamtheit des Falles immer wieder Möglichkeiten, die Phantasie der Autoren, Journalisten aber auch des einfachen Mannes auf der Strasse anzuregen. Suspekt wird es immer dann, wenn Wahrheit, Halbwahrheit und Desinformation genutzt werden, um angeblich "neue Seiten an der Geschichte der Gladow-Bande" aufzurollen. Spekulationen wie das "Gesetz über die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters" sei in der DDR nur eingeführt worden, um das Todesurteil gegen Werner Gladow nachträglich zu rechtfertigen, entbehren jeder Grundlage. Die SED-Führung war zur Durchsetzung ihrer politischen Zielstellung auf möglichst große Einvernahme der Jugend angewiesen. Dafür setzte sie das Volljährigkeitsalter auf 18 Jahre herab. Indem sie den Jungerwachsenen das aktive Wahlrecht zuerkannte, sicherte sie sich einen hohen Anteil an Wählerstimmen.
Welche Kriminalfälle reizen Sie?
Spektakuläre Fälle, die durch hohe kriminelle Energie auffallen, also Serientäter etc. Fälle, deren Aufklärung sich äußerst kompliziert gestalteten, so dass die Leistungen beteiligter Kriminalisten nachträglich zu würdigen sind. Aber auch Fälle, die nur unter bestimmten historischen Bedingungen möglich waren, wie Optikschmuggel o.ä.
Was können die Leser noch aus ihrer Feder erwarten?
Zunächst ein Buch über die Magdeburger "Mordäffäre Helling", die im Jahre 1926 zu Deutschlands Justizskandal Nr. 1 ausuferte. Ein Stoff, der die Vorlage für den DEFA-Spielfilm "Affäre Blum" lieferte. Weniger bekannt ist, dass der Mörder Schröder 1945 aus dem Zuchthaus entkommen konnte und in Wanzleben unter falschem Namen Mitglied der neugegründeten KPD wurde. Als Funktionär des "Antifaschistischen Bereinigungsausschusses" machte er von sich reden. Schröder flog durch Zufall auf und landete erneut im Zuchthaus. Einer der Hauptbeteiligten an der Magdeburger Justizaffäre, der Kriminalkommissar Tenholt, war Gestapochef in Recklinghausen geworden. 1949 stand auch er vor Gericht. Und nur ein Jahr später wurde der Mann, der großen Anteil an der Aufdeckung der Magdeburger Affäre hatte, der ehemalige Kriminaldirektor a.D. Otto Busdorf, im Prozeß um die "Köpenicker Blutwoche" zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Geist des Nationalismus und des Antisemitismus, dem seinerzeit die Magdeburger Justizaffäre entsprang, ist auch heute wach. Für mich ein Grund, das Buch zu schreiben.