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Mai 2004
Christina Mohr
für satt.org

Fünf Jahre Ventil Verlag – ein Grund zum Feiern!

www.ventil-verlag.de
www.testcard.de www.bender-verlag.de

Fünf Jahre Ventil Verlag
– ein Grund zum Feiern!



Der Mainzer Ventil Verlag wurde als Zusammenschluss verschiedener Kleinverlage gegründet, die bis dahin von zu Hause aus gearbeitet hatten, darunter Verlag Jens Neumann und testcard-Verlag. Seit fünf Jahren arbeitet man unter dem Namen Ventil in der Mainzer Altstadt, seit Januar 2004 gehört noch der Theo Bender Verlag (Filmbücher) dazu. Ventil macht Bücher über Musik und Subkultur – aus der Szene selbst heraus, also keine highbrow-cultural studies, sondern von den Protagonisten selbst geschrieben. Idealismus und eigenes Fantum wird großgeschrieben bei Ventil, Glaubwürdigkeit ist keine leere Phrase sondern selbstverständlich.
Die testcard-Reihe dürfte vielen ein Begriff sein: seit 1995 erscheinen die Bücher mit Schwerpunktthemen zur Popkultur, bisher unter anderem „Pop und Krieg“, „Gender – Geschlechterverhältnisse in der Popmusik“, im Mai 2004 erscheint „Black Music“, das sich mit schwarzer Musik von Soul bis HipHop, afrikanischer Musik, Voodoo-Mythen u.a. beschäftigen wird. Andere Highlights des Ventil Verlags sind (auch von den Verkaufszahlen her) Martin Büssers „If the kids are united“, mittlerweile ein Standardwerk zur Punk-Geschichte, Thees Uhlmanns Tocotronic-Tourtagebücher „Wir könnten Freunde werden“ und der testcard-Band # 12 von Volker Barsch, „Rastafari“.
Der Ventil Verlag besteht aus Oliver Schmitt (Layout), Martin Büsser (Lektorat, Redaktion testcard), Theo Bender (Vertrieb, Filmbücher/Lektorat) und Jens Neumann (Verwaltung, Lektorat).

Hier einige Fragen an Martin Büsser:

In Zeiten der Rezession: Wie sieht es im Moment für die kleinen Verlage aus? Angeblich stehen ja die kleinen besser da, weil sie sich auf ihr (Nischen-)Publikum verlassen können – im Gegensatz zu den großen, die sehr stark bestsellerabhängig sind.

Richtig. Den finanziellen Einbruch haben wir nicht so stark wie große Verlage zu spüren bekommen, müssen daher aber auch darauf achten, unsere Nische zu bedienen, was im Fall Ventil Bücher über Pop sind (im weitesten Sinne „Indie“) – im Belletristik-Bereich haben wir zum Beispiel viel weniger Verkaufschancen als große Verlage, die hierfür ein ganz anderes Budget zur Verfügung haben und daher auch ganz anders auf ihre Titel aufmerksam machen können. Deshalb: Die Nische bindet einerseits, ist aber auch unsere Chance zum Überleben.

Der Ventil Verlag stellt eine Schnittstelle zwischen Fan- und Unternehmertum dar – was steht im Vordergrund?

Im Vordergrund steht das Fantum. Aber manchmal muss das Unternehmertum dann doch siegen, etwa bei Büchern, die wir gerne machen würden, die aber rein rechnerisch zu schwer verkäuflich sind. So wurde uns z.B. die Autobiographie von Nikki Sudden angeboten, aber da diesen Musiker in Deutschland vielleicht noch 10.000 Leute kennen, von denen sich höchstens jeder Hundertste das Buch kaufen würde, lassen wir es. Ideal war Tocotronic: Wir mögen die Band und das Buch war zugleich erfolgreich. Eine seltene Schnittstelle.

Welche Bücher würdet Ihr gern machen? Und welche auf keinen Fall?

Puh, jetzt besser keine Namen nennen … Wir würden gerne mehr in den künstlerischen Bereich gehen, also Bücher mit beigelegter CD, Comics, Farbabbildungen, etc., aber da sind uns finanzielle Grenzen gesetzt. Deshalb sind bis jetzt auch nur ganz wenige Hardcover erschienen. Gar nicht machen? Nun, das, was gemeinhin als „Popliteratur“ gehandelt wird oder dieser ganze Post-Houellebecq-Provo-Kram.

Pop, Diskurs und Poesie: die drei Standbeine des Ventil Verlags – kannst Du das etwas erläutern?

Für Diskurs ist eigentlich testcard zuständig, doch auch Poesie ist bei uns sehr stark mit Pop verlinkt. So erscheint diesen Monat der erste Roman von Kerstin Grether, die früher für Spex geschrieben hat, bei uns hat Linus Volkmann vom Intro seine Prosa veröffentlicht, Lee Hollis, der Spermbirds-Sänger ebenfalls – insofern kommen unsere Literaten größtenteils auch aus der Pop-Ecke (aber eben, siehe oben, nicht zu verwechseln mit dem, was die Feuilletons „Poplilteratur“ nennen).

Definiere Popkultur:

Bestenfalls Kultur „von unten“, die sich keinerlei Zensur unterwirft, eine Art kulturelle Selbstermächtigung, die hierfür keine akademischen Weihen benötigt.

Wie sehen die Verflechtungen innerhalb der Szene aus? (Stichwort Intro)

Kerstin Grether beispielsweise kam auf uns zu, weil Linus Volkmann, der bereits bei uns veröffentlicht hat, empfahl, sich an uns zu wenden. Aber direkte Synergie würde ich das nicht nennen – wir sind sicher nicht der Intro-Hausverlag

Wird Euch viel Material angeboten – wie sehen Eure Kriterien für eine Veröffentlichung aus?

Manchmal kommen bis zu drei unverlangt eingesandte Manuskripte pro Tag. Sehr viel Fantasy und Science Fiction, obwohl wir sowas defintiv gar nicht machen – aber die Autoren scheinen sich noch nicht einmal unser Programm anzusehen, bevor sie ihr Zeug rausschicken. Damit wir ein Manuskript veröffentlichen, muss es nicht nur gut geschrieben sein, das versteht sich von selbst, sondern eben auch in unser Programm passen. Obwohl unverlangt eingesandte Manuskripte zum schlimmsten Verlegererlebnis gehören, kann man sich über die Formulierungen der Anschreiben zum Teil kaputtlachen.

Standardfrage: Könnt Ihr von den Verlagserträgen leben?

Nein, der Verlag ist Nebenjob. Oli arbeitet als Layouter noch für andere Verlage (z.B. Piper), ich schreibe für Zeitungen (Intro, konkret, etc.) und so hat jeder auch noch ein anderes finanzielles Standbein.

Gibt es Situationen, in denen Euch der Idealismus verläßt und Ihr am liebsten alles hinwerfen würdet?

Der Idealismus verläßt einen immer nur für kurze Zeit, wenn einem alles über den Kopf wächst, weil ein solcher Verlag eigentlich viel professioneller und zeitaufwändiger betrieben werden müßte als wir das bewerkstelligen können.

Offenbarst Du uns die größten Ventil-Pleiten?

Oh, da gibt es einige. Völlig unverkäuflich waren die Titel aus der kurzzeitig gestarteten Satire-Reihe mit Leuten aus dem Titanic-Umfeld. Von einigen dieser Bücher, die noch in unserem Keller lagern, könntest Du die Dächer einer ganzen Straße pflastern!

Wo seht Ihr Euch in fünf Jahren, wenn es heißt „10 Jahre Ventil“?

Ziel wäre, bis dahin als erste Adresse für Musikbücher jenseits von Klassik und Filmbücher angesehen zu werden.

Vielen Dank für Deine Antworten!

Nachklapp: Am 24.4.04 feierte Ventil im Mainzer „Schick und Schön“ ein rauschendes Jubiläumsfest: Livereading von Linus Volkmann, Kerstin Grether und Jan Off, Konzerte von Preslisa (eine extrem süße Sängerin, die die kitschigsten Elvis-Filmhits in Low-Fi-Versionen zu Gehör brachte) und ein entfesselt gutgelaunter Auftritt von Knarf Rellöm with the ShiShaShellöm, die die Horde von Brillenträgern zum Shaken und Grooven brachten. Danach gab´s Poetry Slam und Party bis in die frühen Morgenstunden. Der Laden war proppevoll, die Stimmung großartig – wenn man von diesem Abend ausgeht, kann bei Ventil eigentlich nichts schiefgehen. Und andere Verlage können sich zum Thema Zielgruppennähe bei Ventil eine dicke Scheibe abschneiden!
Über Neuerscheinungen des Ventil Verlags werden wir Euch bei satt.org regelmäßig informieren, versprochen.