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Juli 2004
Mascha Kurtz
für satt.org

Felicitas Hoppe:
Verbrecher und Versager

Fünf Porträts
Marebuchverlag 2004

Felicitas Hoppe: Verbrecher und Versager. Fünf Porträts.

€ 18,00
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Die Unmöglichkeit der Biografie

Felicitas Hoppe:
Verbrecher und Versager


Zu Helden taugen sie nicht gerade, die Hauptfiguren aus Felicitas Hoppes neuem Buch. In fünf kurzen Portraits beschreibt sie Biografien von "Verbrechern und Versagern". Aber es sind keine, die spektakulär ins Verderben rennen oder glorios scheitern, sondern Unbekannte, von denen vier tatsächlich gelebt haben: Der frühere Zimmergenosse von Schiller, Franz Joseph Kapf, ist darunter, und auch John Hagenbeck, unglückseliger Bruder des berühmten Zoogründers. Alle suchen sie ihr Heil in der Flucht, doch finden werden sie es nicht.

Hoppe folgt den kärglichen Spuren, die ihre Protagonisten hinterlassen haben und die sich meist im Nichts verlieren. Anders als bei berühmten Forschern oder Reisenden sind die Leben der Versager nur lückenhaft dokumentiert. Das gibt der Autorin die Möglichkeit, die Leerstellen durch Fantasie zu füllen. Sie hat sich entschieden, ihren Figuren nicht auf den Fersen zu bleiben, sie nicht zu begleiten bei ihren Reisen ins Nichts. Stattdessen nähert sie sich ihnen über die Perspektive der Zurückgebliebenen, die selbst nur spekulieren können. Kapfs Zimmerwirtin erinnert sich an ihren Untermieter, Nachricht erhält auch sie nur über Umwege: Briefe von Kapfs Diener, der früher Schillers Diener war. Nichts Genaues weiß man nicht, und eben das scheint die Autorin gereizt zu haben.

Hoppe hält kaum inne, um Atem zu schöpfen, erzählt nicht, sondern rast im Zeitraffer durch Fakten, Lebensdaten, Orte, Daten, verwickelt alles mit allem und macht etwas Neues daraus. Wie lange Monologe wirken die Portraits manchmal, dazu gehört auch etwas Geschwätzigkeit. Wo der Grund weich wird, gestattet sie sich ein bisschen Fabulierlust: Wilde Tiere, Dschungelfieber, Stürme auf hoher See; das Reisen, der Aufbruch ins Ungewisse bleibt Hoppes großes Thema. Trotzdem geht es hier noch um etwas Anderes: Darum, dass es unmöglich ist, jemandes Leben zu beschreiben. Nie wird der Biograf schreiben können, wie etwas tatsächlich war. Ist es da nicht besser, sich unbekannte Existenzen vorzunehmen, deren Lebensläufe zu kennen man sich gar nicht erst anmaßen kann? Weder das Verbrechen noch das Versagen interessieren Hoppe sonderlich; dies ist kein Buch über Außenseitertum, sondern darüber, dass niemand je genau wissen kann, was gewesen ist.

Hoppes fünfter Gescheiterter ist übrigens eine Figur aus Wilhelm Raabes Roman "Abu Telfan". Doch auch dieser Leonhard Hagebucher soll auf eine historische Person zurückgehen. Listig zeigt Hoppe uns, wie Leben und Literatur, Belegtes und Erfundenes sich so lange vermischen, bis man das eine nicht mehr vom Anderen unterscheiden kann.