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September 2004
Stan LaFleur
für satt.org

Mark Dunn:
Nollops Vermächtnis

marebuchverlag, Hamburg 2004

Mark Dunn: Nollops Vermächtnis

Übersetzt von Henning Ahrens
239 S., 19,90 EUR
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Das große Pangramm

Mark Dunn: Nollops Vermächtnis

Die Nollopier leben als kleines rückständiges Inselvolk unbeachtet irgendwo südlich der Vereinigten Staaten. Einen einzigen großen Sohn hat das beschauliche Eiland in seiner wenig aufregenden Geschichte hervorgebracht: seinen Namensgeber Nevin Nollop, dessen, jenseits der Ufer seiner Heimat durchaus bezweifelte, Großtat darin bestand ein Pangramm zu ersinnen, einen Satz, in dem alle Buchstaben des Alfabets mindestens einmal vertreten sind.

Weit über hundert Jahre ziert Nollops sinnfreier, von den Nollopiern gottgleich verehrter Prachtsatz bereits das Denkmal im Stadtzentrum der Inselhauptstadt, als eine der Buchstaben-Kacheln, ein Z, sich aus der Reihe löst, zu Boden fällt und birst. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Denn anstatt die gefallene Kachel durch eine neue zu ersetzen, deutet der Hohe Inselrat den Kachelfall als Wink des großen Nollop aus dem Grabe, das Z künftig, und zwar bei Strafe, aus der nollopischen Sprache, sowohl mündlicher, als auch schriftlicher Natur, zu bannen. Ein kleiner Buchstabe nur, doch die Folgen sind schwerwiegend: Infinitive verschwinden, Zahlen müssen umschrieben werden, praktisch alle Bücher sind auf einen Schlag verboten.

Die Nollopier haben kaum Zeit, sich an die neue Sprachregel zu gewöhnen, erste Übertretungen werden streng geahndet, Unruhe breitet sich unter den friedfertigen Bewohnern aus, Inselradio und -zeitung stellen ihren Betrieb ein, als ein zweiter Buchstabe fällt. Auch diesen tilgt der Hohe Rat per Dekret aus dem Sprachgebrauch. Beim dritten Buchstaben merken die ersten Insulaner, wie die Angelegenheit ausgehen wird. Schrittweise beraubt der Wahn des Hohen Rates das Volk seiner Sprache. Angst und Schrecken nehmen zu. Widerstand regt sich und nimmt Formen an.

Mark Dunn erzählt mit "Nollops Vermächtnis" eine ebenso wunderbare wie einfache, bei allen naheliegenden Assoziationen zu den Bereichen Politik, Gesellschaft und Sprache, und trotz Folter, Tod und Verbannung beinahe niedliche Geschichte, die sich bald in der illustren Reihe humoristisch gefärbter Allzeitklassiker wiederfinden dürfte, zumindest sollte. Zur Beschreibung der Vorgänge auf Nollop bedient sich Dunn der Form des Briefromans, ein geschickter Kniff. Nicht nur schreiben Nollopier besonders viele Briefe, um auf der telefonlosen Insel Kontakt zu halten, sondern natürlich läßt sich der Verfall der ständig weiterer Buchstaben beraubten Sprache in Briefen wunderbar direkt ablichten. Dunn läßt dabei hauptsächlich weibliche Personen zu Wort kommen, Frauen sind prädestiniert, Leiden auszuhalten und zu spiegeln und Frauen sind es, die das Schicksal weben.

Neben der Handlung, deren Ausgang hier nicht verraten wird, lohnen insbesondere die kuriosen Satzstellungen und einfallsreichen Umschreibungen "verbotener" Wörter, die den Briefbetrieb und somit den Widerstand, das gegenseitige Verständnis unter verschärften Bedingungen, letztlich die Geschichte von Nollop aufrechterhalten, die Lektüre, die Henning Ahrens sicher unter reichlich Schweiß aus dem Amerikanischen übersetzt hat.