Letztes Jahr, am dritten Adventwochenende, erlebten die Spaziergänger, die zufällig die Backfabrik im Prenzlauer Berg betraten, eine Überraschung: Das gesamte Gelände war mit großen, bunt bedruckten Reklamezetteln verziert. Sie klebten an Mauern, Fenstern, Bäumen und sogar auf dem nassen Asphalt der Parkplätze und warben für die dort gerade stattfindende 2. Berliner Buchmesse. Der Rest der Spreemetropole war ahnungslos. So wußte selbst der Redakteur eines großen Berliner Zeitungsfeuilletons am Donnerstagabend noch nicht, daß er 72 Stunden später hier eine Gesprächsrunde leiten sollte. Doch tatsächlich – dort hinter den Scheiben konnten die Spaziergänger eine Halle mit gedeckten Büchertischen verschiedener Kleinverlage entdecken. Am ersten Tag vielleicht 60, am zweiten Tag ungefähr die Hälfte. Am horrenden Eintrittspreis änderte das allerdings nichts.
Die Spaziergänger, die sich davon nicht abschrecken ließen, konnten die zweite Überraschung erleben, als sie sich nach den Organisatoren der Messe erkundigten. Von allen Seiten strömten plötzlich anmutige, freudestrahlende Elfenmädchen herbei. Sie lachten, schüttelten ihr Haar und erklärten: "Wir sind der Erste Stock." Auf Nachfrage erklärte der einzige männliche Elf, der seine Nase weit über den Kopf trug: "Das ist ein interdisziplinäres, studentisches Kulturprojekt."
Die 2. Berliner Buchmesse war für die Verleger ein Reinfall, für die Besucher ein teurer Spaß und insgesamt eine vertane Chance – offenbar aber nicht für die Elfenwesen des Ersten Stocks. Denn sie zeichneten auch für die Organisation der 3. Berliner Buchmesse verantwortlich, die am vergangenen Wochenende in den Rathauspassagen am Alexanderplatz stattfand.
Diesmal sollte alles anders, größer und besser werden: neuer Raum, neues Glück. Im Vorfeld prahlten die Veranstalter damit, daß mindestens 60.000 Einladungen an Berliner Haushalte herausgehen würden und bereits 5.000 Eintrittskarten vorbestellt worden seien – wahrscheinlich als Auftrag beim Drucker. Zudem sollte das Rahmenprogramm der Messe per Großbildleinwand auf den Alexanderplatz übertragen werden, wow!
Doch Pustekuchen. Am Samstag wußte die Verkäuferin der Wohlthats-Buchhandlung am Alex nicht, wo die Messe stattfinden sollte … das nur als Omen. Auch direkt in der zwischen Bahnhof und Rotem Rathaus gelegenen Ladenstraße wiesen Plakate zwar auf die Paulus-Remmers-Schau, nicht aber auf die Buchmesse hin. Viel tragischer aber war der Umstand, daß in der Presse kaum Berichte auf das Ereignis hinwiesen – und noch tragischer die Tatsache, daß die Messe selbst gelungen war.
Sicherlich hundert Aussteller präsentierten an drei Tagen von 10 bis 18 Uhr ihre Produkte und Leistungen, am Freitag quasi ohne Publikum. Es waren vor allen Dingen kleine und größere Verlage aus Berlin, zudem gab es eine eigene eBook-Abteilung, eine originelle Hörbuchlounge – bestehend aus zwei Skoda-Automobilen, in die man sich zum Hören zurückziehen konnte – drei gleichzeitig bespielte Lesebühnen und enorm viel Platz für Antiquariate aus Berlin und Umgebung. Letztere klagten allerdings zu Recht über den Schmutz in den unfertigen, zwischengenutzten Hallen – wer seine Tasche abstellte oder sich gegen eine Wand lehnte, war sofort mit einer feinen weißen Staubschicht überzogen.
Am Samstag und Sonntag besuchten deutlich mehr Gäste die Messe – auch ein Resultat der drastisch gesenkten Eintrittspreise. Ursprünglich 6 Euro (ermäßigt: 3) sollten verlangt werden – für eine Verkaufsmesse mit beachtlichem, aber eigentlich nachgeordnetem Rahmenprogramm deutlich zu viel. Bereits die im letzten Jahr in der Backfabrik veranstaltete Messe zum Berliner Comicfestival krankte an den zu teuren Eintrittspreisen. Auf Druck der Aussteller wurde nun der Eintritt auf 3,50 Euro (ermäßigt: 2) gesenkt – das konnte dann doch den ein und anderen Weihnachtsmarktsbesucher zum Messerundgang verführen.
Der wird sich gewiß gewundert haben, wie viel sich derzeit in Berlins Literaturszene regt. Vielerorts werden neue Lesebühnen aus der Taufe gehoben – jüngst "die ueberfluessige" im Kreuzberger Privatclub –, kommt es zu Zeitschriften- und Verlagsgründungen. Auf der Buchmesse wurde so die erste Ausgabe des edel aufgemachten, 16seitigen Gratismagazins "Gold" verteilt, das fortan regelmäßig über die hiesige Literaturszene berichten will. Auch Kookbooks, die sicherlich spektakulärste Verlagsgründung der letzten Jahre, war natürlich mit einem Stand auf der Buchmesse vertreten, und frisch gedruckt konnte man am Sortiment-/Reprodukt-Stand die langersehnten Comicbände "Die Band" von Mawil und "Persepolis 2" von Marjane Satrapi erstehen.
Die Messe an sich war also durchaus ansprechend. Und wenn die Veranstalter demnächst ihre Hausaufgaben in puncto Pressearbeit machen, dann sollte die 4. Berliner Buchmesse auch für die Verlage ein Erfolg werden. Geeignete Instrumentarien, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, wie etwa die Vergabe der Berliner Buchpreise, sind schließlich vorhanden – sie müssen einfach nur genutzt und publik gemacht werden.